Wenn das Armin Laschet sieht: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz frönt auch in der ARD-"Wahlarena" der Methode der Kanzlerin. Im Hochgefühl der ungewohnten Favoritenrolle leistet sich der ansonsten so nüchterne Scholz einen herben Angriff auf die Union. Unsouverän agiert am Dienstagabend im Lübecker Studio nur ein Kameramann.

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Demut, das ist das Wort, das Olaf Scholz derzeit oft benutzt, wenn er über seinen plötzlichen Höhenflug in den Umfragen spricht. "Der Zuspruch der Menschen erfüllt mich mit Demut", so klingt das dann in den Interviews. Hanseatisch-dröges Understatement, typisch "Scholzomat" eben. Dass er wenigstens manchmal auch anders kann, beweist er am Dienstagabend in der ARD-"Wahlarena".

Fast 75 Minuten lang hat der SPD-Kanzlerkandidat schon die Fragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet, da legt ihm ein Mann aus Leipzig das perfekte Schlusswort vor: Ob er davon ausgehen könne, dass eine Stimme für die SPD nicht in einer Neuauflage der Großen Koalition mündet?

Scholz setzt sein typisches Grinsen auf, das Markus Söder einmal recht treffend als "schlumpfig" bezeichnet hat, und formuliert eine Ansage, die auf der Scholz'schen Emotionsskala schon unter "Übermut" einzuordnen ist: "Sie können sicher sein, dass mein ganzes Ziel ist – wie ich den Eindruck habe, auch das vieler Bürgerinnen und Bürger –, dass sich CDU und CSU mal in der Opposition erholen können."

Die Botschaft: Scholz ist ein Macher

Es ist eine Chuzpe, die sich Scholz erlauben kann: Seit Monaten führt er in der Kanzlerfrage quasi uneinholbar vor Armin Laschet und Annalena Baerbock, und hat seine flügellahme Partei in den Umfragen mit sich gezogen. Bei 25 Prozent sieht Forsa in einer aktuellen Befragung die SPD, während die Union erstmals in der Nachkriegsgeschichte in einer veröffentlichten Umfrage unter 20 Prozent fällt.

Scholz ist plötzlich Favorit – und das merkt man seinem Auftritt in der "Wahlarena" an: Der Finanzminister macht, was er in diesem Wahlkampf bisher gut kann – keine groben Fehler machen. Und, wie es Armin Laschet ausdrücken würde: Angela Merkel spielen.

"Wir haben viel erreicht", das war immer eine klassische Wahlkampf-Aussage von Angela Merkel. Nun variiert sie Olaf Scholz je nach Thema: "Wir haben massive Hilfe organisiert", sagt er über die Corona-Hilfen für die Wirtschaft, "wir haben den Verteidigungsetat angehoben" über die Probleme bei der Bundeswehr, "auf den Weg gebracht" wurde das Aufholpaket gegen Bildungslücken nach der Coronakrise, der Digitalpakt und der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Botschaft an die Zuschauer im Studio und an den TV-Geräten: Hier steht ein erfahrener Macher vor Ihnen. Einer, der bewiesen hat, dass er es kann.

Plötzlich wackelt das Bild: "Es hat gescheppert"

Unsouverän agiert im Studio in Lübeck nur ein Kameramann: Mitten in einer Antwort von Scholz wackelt plötzlich das Bild, die Regie schwenkt auf eine andere Kamera, doch im Hintergrund schauen einige Zuschauer im Publikum verdutzt, während der Ton rauscht.

"Es hat gescheppert", sagt Moderator Adreas Cichowicz ein paar Minuten später zur Erklärung. "Es war eine Außenkamera, die wo gegengefahren ist. Aber wir sind alle munter."

Scholz erläutert derweil weiter routiniert die Politik der Groko. Dort, wo es das Programm der SPD vorsieht, geht Scholz auch über das Erreichte hinaus. Die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomen etwa, als Nothilfe gedacht, habe er verlängert "im Bewusstsein: Das schaffen wir nie wieder ab". Klartext wählt er auch bei einigen Kernthemen der Sozialdemokraten: Ein Mindestlohn von 12 Euro soll kommen, das Renteneintrittsalter nicht höher steigen als 67.

ARD-Wahlarena zur Bundestagswahl mit Olaf Scholz (SPD)
Olaf Scholz (Mitte) gemeinsam mit den ARD-Moderatoren Andreas Cichowicz und Ellen Ehni. © dpa / Axel Heimken

ARD-"Wahlarena": Für Visionen sind andere zuständig

Die Frage zur Rentenpolitik stellt ein hörbar erzürnter Kerntechniker aus Brunsbüttel: "Bleiben wir beim Rentenniveau von 48 Prozent oder kriegen wir wieder, was die SPD uns weggenommen hat mit Riester?" Das Publikum applaudiert, Scholz gerät aber nicht in Versuchung, schnelle Punkte zu machen: Stabilität ja, Erhöhung nein, so lässt sich seine nüchterne Antwort zusammenfassen.

Immerhin hat die Erwiderung einen Inhalt, anders als so mancher Nicht-Satz, der Scholz entweicht: "Ein wichtiges Thema", sagt er etwa zu einer Frage zur Verrohung im politischen Diskurs, "deswegen haben wir als Bundesregierung in Zusammenarbeit mit vielen gesellschaftlichen Gruppen Vorschläge gemacht, wie man Dinge verbessern kann". Wer überhaupt noch wissen wollte, was Scholz genau meint, den speiste der Kanzlerkandidat mit dem Stichwort "Wehrhafte-Demokratie-Gesetz" ab, als ob jeder Wähler die Inhalte dieses Entwurfs sofort parat hätte.

Für Visionen, das wird an diesem Abend mal wieder deutlich, sind in der SPD andere zuständig – und im Wahlkampf auch. Die Grüne Annalena Baerbock, am Montag beim Auftakt der "Wahlarena" zu Gast in der Lübecker Kulturwerft, hielt trotz der Themenflut immer ganz klar ihren inhaltlichen Kurs: Investitionen in die Zukunft. Scholz konzentriert sich eher auf einzelne Aspekte, so etwas wie eine Leitidee lässt sich kaum ausmachen.

Kanzlerkandidat Scholz pariert die heiklen Fragen

Selbst der Klimaschutz entfacht in Scholz, der sich als "Klimakanzler" plakatieren lässt, keine wahrnehmbare politische Leidenschaft – sondern offenbar eher das Pflichtgefühl eines guten Beamten: Da ist eine Aufgabe, also muss sie erfüllt werden.

Wie groß diese Aufgabe ist, rechnet Scholz genau vor: Allein die Chemieindustrie benötige 2050 rund 600 Terawatt Strom, was mehr wäre, als Deutschland derzeit insgesamt verbraucht. Erst wenn diese Kapazitäten mit Erneuerbaren sichergestellt werden können, könnte auch der Kohleausstieg vorgezogen werden.

Auch wenn er damit keinen Fridays-for-Future-Anhänger überzeugen wird: Wieder pariert Scholz eine heikle Frage. So auch bei seinen ganz persönlichen Achillesfersen – der Cum-Ex-Skandal um die Hamburger Warburg-Bank, der G20-Gipfel und die Causa Wirecard. "Kann ich Ihnen vertrauen, dass solche Fehler nicht noch einmal passieren?", will ein Lübecker Steuerprüfer wissen.

Na klar, sagt Scholz, und zählt noch einmal die politischen Sofortmaßnahmen auf: Neue Gesetze, mehr Kompetenzen für Wirtschaftsprüfer, neuer Chef für die Bafin. Alles Fakten, sagt Scholz. Zum G20-Gipfel und Warburg sagt er lieber nichts mehr, viel Zeit bleibt ja zu seinem Glück bei diesem Format nicht für Nachfragen und ergänzende Fakten.

Keine Regierung ohne Bekenntnis zur Nato

So richtig grundsätzlich wird der SPD-Kanzlerkandidat selten, dafür aber bei einem viel diskutierten Thema: dem Verhältnis zu den USA und der Nato bei einem möglichen Linksbündnis mit Grünen und der Linkspartei. "Wir werden militärisch zusammenarbeiten, auch innerhalb der Nato, dazu bekenne ich mich. (…) Für mich kann es nur eine Regierung geben, wo nicht jeden Tag darüber geredet wird, ob das noch richtig ist."

Die konkrete Frage des Zuschauers, ob man SPD wählen kann, ohne die Linke in die Regierung zu heben, beantwortete Scholz damit nicht explizit – implizit aber eigentlich schon.

Weil Moderator Andreas Cichowicz trotzdem noch einmal nachhakt, mit wem sich Scholz als passionierter Ruderer ins Boot setzen würde, beweist der SPD-Mann noch einmal seine Schlagfertigkeit: "Erstmal muss man ein ordentlicher Schlagmann sein. Und das ist, was ich sein will." Das hat Olaf Scholz mit Armin Laschet gemeinsam – der CDU-Mann beschließt die ARD-"Wahlarena" mit seinem Auftritt am 15. September, wieder um 20:15 Uhr.

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