Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im rot-grünen Lager an - wenn nicht eine Hamburger Spendenaffäre in letzter Minute noch alles verändert.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Hamburg wählt. Und noch vor vier Wochen sah es so aus, als würde die Hansestadt erstmals eine grüne "Erste Bürgermeisterin" bekommen. In Umfragen schienen die Grünen auf die 30-Prozent-Marke zuzusteuern und die SPD in ihrer mächtigsten Hochburg zu überholen.

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Das hätte für die deutsche Sozialdemokratie ein Desaster bedeutet, denn bei der letzten Bürgerschaftswahl war die SPD mit 45,6 Prozent noch drei- bis viermal so stark wie die Grünen (12,3 Prozent). Die Hamburg-Wahl schien eine weitere Etappe im historischen Niedergang der SPD und dem republikweiten Stabwechsel an die Grünen als neue Volkspartei der linken Mitte. Mit dem Fall Hamburgs wäre aus Rot-Grün in Deutschland endgültig Grün-Rot geworden.

Lesen Sie auch: Wer die Wahl in Hamburg gewinnen wird, erfahren Sie hier in unserem Live-Ticker.

Schafft die SPD mit Tschentscher die Trendwende?

Doch im Februar hat sich die Stimmung in Hamburg gedreht. Die SPD legt spürbar zu, die Grünen bauen ab. Es sieht plötzlich wieder nach einem klaren Wahlsieg für die Sozialdemokraten unter Peter Tschentscher aus. Für die SPD wäre das von großer symbolischer Bedeutung weit über die Hansestadt hinaus. Denn Hamburg ist eine SPD-Herzkammer, historisch tief rot verwurzelt, schon von 1890 bis zum Ende des Kaiserreiches werden alle Hamburger Mandate im Berliner Reichstag von Sozialdemokraten besetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg finden 1919 die ersten wirklich allgemeinen Wahlen in Hamburg statt - die SPD erringt 50,5 Prozent. Und seit dem Zweiten Weltkrieg stellte die SPD 11 von 14 Bürgermeistern, darunter so wirkmächtige wie Klaus von Dohnanyi und Hennig Voscherau. "Würden wir in dieser Stadt unsere Führungsrolle als linke Volkspartei an die Grünen verlieren, dann wären wir verloren", unkte ein SPD-Präsidiumsmitglied noch im Januar.

Dass der SPD die Wende nun zu gelingen scheint, hat nicht nur mit den lokalen Umständen zu tun. Demoskopen weisen darauf hin, dass die SPD auch über Hamburg hinaus derzeit ein "Comeback-Momentum" entfalte und den Höhenflug der Grünen möglicherweise weiträumiger stoppen könne. Das hat fünf Gründe:

Fünf Gründe, warum die SPD den Höhenflug der Grünen stoppen könnte:

Erstens findet derzeit ein nationaler Themen- und Stimmungswechsel statt. Die Republik hat nach monatelangen Dauerdebatten um Klimafragen, Greta und Friday für Future-Demonstrationen neuerdings völlig andere Themen. Die Grünen kommen bei der Nachrichtenlage um Coronavirus, Thüringenkrise, Wirtschaftsabschwung, Irankrise, Libyenkonflikt und dem Groko-Machspektakel kaum mehr vor. Die SPD hingegen schafft mit ihren Bundesministern zusehends wieder Sichtbarkeit.

Zweitens führt die härtere Themenlage dazu, dass das Führungspersonal der Grünen zwar latent hohe Sympathiepunkte erringt, aber konkrete Führungskompetenz eher anderen zugeschrieben wird. Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg warnt seine Partei bereits vor einem neuerlichen Absturz von hohen Umfragewerten zu bescheidenen Wahlergebnissen: "Wir sind die Partei des Rocks, nicht des Hemdes. In der Wahlkabine ist den Deutschen das Hemd aber häufig näher als bei Umfragen." Tatsächlich zeigt sich bei Katharina Fegebank dieser Effekt genau wie bei Robert Habeck, der nach seiner missglückten Einlassung auf dem Davos-Gipfel in seiner Kanzlerfähigkeit kritischer gesehen wird.

Drittens hat die SPD ihre Führungsfrage geklärt und einigermaßen innere Ruhe gefunden. Zwar sind die beiden neuen Vorsitzenden keine starke Besetzung, aber die Partei wirkt derzeit innerlich so geschlossen wie lange nicht. Bei den Grünen hingegen brechen - nicht nur in etlichen Hamburger Stadtbezirken - Konflikte auf. Von Globulis bis Abschiebegesetzen, vom Schleierverbot über Steuerpläne bis zur E-Auto-Strategie reicht der Reigen neuer Streitereien. Auch die Führungsfrage, ob Robert Habeck oder Annalena Baerbock als Kanzlerkandidaten ins Rennen geschickt werden, ist offen, es schwelt wie bei der CDU ein unentschiedener Machtkampf.

Viertens war der Niedergang der SPD so gewaltig und überzogen, dass es nunmehr zu einer beinahe technischen Erholung komme. Demoskopen sagen, der Absturz sei "über das Minimum der Kernwählerschaft hinaus geschossen". Sobald die SPD als Definitionsmacht und Wahlsieger zurück kehre, dürfte sich auch die Kernwählerschaft wieder formieren. Und dies geht vor allem zu Lasten der Grünen.

Fünftens profitiert die SPD auch von der Schwäche der Union. Monatelang galt nur die SPD als unsicherer Kantonist in Macht- und Personalfragen verstrickt. Nun steckt die Union in einer Führungskrise, und schlagartig wirkt die SPD wie ein Fels in der Brandung. Leni Breymaier, Vorstandsmitglied der SPD, bringt es frohlockend auf den Punkt: "Die SPD ist der stabile Faktor in der großen Koalition."

CumEx Affäre oder Comeback der SPD?

Insgesamt hat die SPD also Chancen auf ein Frühjahrs-Comeback, zumal die anstehenden Landtagswahlen der SPD Hoffnung machen. Denn nach Hamburg findet die nächste Landtagswahl in einem Jahr in Rheinland-Pfalz statt, und auch dort hat SPD mit Malu Dreyer an der Spitze eine starke Stellung weit vor den Grünen.

Zudem führt der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Partei recht geschickt aus organisatorischen Krisen. Klingbeil tut der SPD mit seinem modernen Optimismus spürbar gut. Er hat dem Willy-Brandt-Haus sowohl das Weinerlich-Aggressive als auch das Ideologische ausgetrieben. Nun steht er mit der Parteizentrale vor dem ersten Wahlsieg seiner Amtszeit.

Doch just da man sich unter Leid geprüften Genossen schon die Hoffnungshände reibt, platzt ein angeblicher Spendenskandal in die Hamburger Szenerie. Die Warburg-Bank hat der SPD in Hamburg 45.500 Euro Spendengeld gezahlt. Nun steht der Vorwurf im Raum, dass die Finanzbehörde im Gegenzug eine Steuerforderung gegenüber der Bank in Höhe von 47 Millionen Euro verjähren ließ. Es geht dabei um dubiose Cum-Ex-Geschäfte. In den inzwischen beschlagnahmten Tagebüchern von Bank-Chef Olearius hatte dieser über Treffen mit den SPD-Politikern Johannes Kahrs und Olaf Scholz berichtet.

Der Eindruck eines Hamburger SPD-Klüngels entsteht, und die Opposition unterstellt Tschentscher sowie seinem Vorgänger Olaf Scholz Kungelei mit dem Traditionsbankhaus – zulasten der Steuerzahler. Die Grünen könnten - obwohl sie mitregieren - von dem vermeintlichen Skandal auf der Zielgeraden vielleicht noch profitieren - und den Wahlsieg der SPD einbremsen. Rot-Grün oder Grün-Rot hängt am Ende womöglich an der Warburg-Bank. Und für die SPD gilt plötzlich: CumEx oder Comeback?

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