In Hamburg wird am Sonntag gewählt - die erste Abstimmung seit dem Thüringer "Tabubruch". Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ordnet die Aussichten der Parteien nach dem "externen Schock" ein und erklärt, warum das neue SPD-Führungsduo im Wahlkampf keine Rolle spielt.
Herr Korte, nach Thüringen und allen daraus folgenden Entwicklungen: Welchen Stellenwert hat die Bürgerschaftswahl am 23. Februar in Hamburg?
Karl-Rudolf Korte: Sie hat einen besonderen Stellenwert erhalten, weil es der erste Test ist nach einer bundesweiten Zäsur, die mit Thüringen eingetreten ist. Und wir kennen das ja von anderen Wahlen: Wähler orientieren sich nicht nur an dem, was sie zu wählen haben - in Hamburg im Prinzip eine kommunale Entscheidung -, sondern möchten mit ihrer Stimme auch viel mehr zum Ausdruck bringen. Das ist immer eine Mischung aus Bürgermeisterwahl beziehungsweise Landtagswahl und bundespolitischen Wahlen.
Wird sich die Bundespolitik negativ auf das Ergebnis der Hamburger CDU auswirken?
Nein, das sehe ich nicht, weil sie mit um die 10 Prozent ohnehin nur eine marginalisierte Gruppe darstellt. Ich sehe den größten Nachteil für die FDP, die in der hanseatisch-liberalen Klientel eigentlich groß fischen könnte, mit diesem Imageverlust von Erfurt aber wirklich nicht mehr hausieren gehen kann.
In den Umfragen sieht es nach einer Entscheidung zwischen SPD und Grünen aus. Werden sie eine Neuauflage der aktuellen Regierung bilden oder schielen die Grünen, falls möglich, auch auf eine Jamaika-Koalition?
Ausschließen kann man bei wählerischen Wählern grundsätzlich nichts. Wenn rechnerisch mehrere Optionen für die Grünen zur Auswahl stehen, werden sie auch machtpolitisch dies abwägen. Den Grünen, die sowohl mit Rot als auch in einer Jamaika-Formation regieren könnten, eröffnen sich gute Verhandlungsmöglichkeiten in Koalitionsgesprächen.
Die Popularitätswerte sprechen für ihn. Die Umfragen signalisieren in den zentralen Feldern des Wahlkampfes einen unterstellten Kompetenzvorsprung. Unabhängig davon, ob wir ihn jetzt bundesweit kennen, hat er sich in Hamburg ganz offensichtlich einen positiven Namen gemacht.
Inwiefern muss die SPD Stimmeinbußen befürchten aufgrund der Cum-Ex-Affäre der Warburg Bank?
Die SPD muss keine Stimmeinbußen fürchten. Wer überschaut die Komplexität von Cum-Ex-Geschäften? Wer kann dabei politische Verantwortung und kriminelle Energie präzise benennen? Dieses Thema schadet allen politischen Akteuren.
Im Hamburger Wahlkampf tritt das neue SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht auf. Warum?
Das ist eine bewusste Entscheidung. Der Hamburger Favorit Scholz hat bei der Wahl des neuen Vorsitzes keine Rolle gespielt, insofern ist das eine kleine Retourkutsche. Man hätte das neue Duo sehr schlecht für Mobilisierungen einsetzen können, wenn jeder Sozialdemokrat am Infostand doch gewusst hätte, dass man in Wirklichkeit für Scholz war und nicht für die beiden am Ende gewählten Kandidaten. Das wäre unglaubwürdig gewesen, mit ihnen im Wahlkampf zu arbeiten.
Gibt es vielleicht auch unterschiedliche Positionen zwischen dem Duo und der Hamburger SPD?
Die gibt es grundsätzlich. Wir haben es augenscheinlich mit zwei SPD-Parteien zu tun. Es ist die etablierte SPD aus der Berliner Republik, fast schon Kartellpartei. Und dann die Bundesvorsitzenden mit dem Charme der Basis. Das sind zwei verschiedene Parteien, die nur manchmal zusammenfinden.
Tschentschers schärfste Konkurrentin ist Katharina Fegebank von den Grünen. Über sie heißt es, den Progressiven sei sie nicht radikal genug, dem konservativen Bürgertum sei sie zu radikal. Könnte sie an diesem Spagat scheitern?
Sie vertritt auf jeden Fall das Gesicht der neuen Grünen, die in der Regel eher Fragen sammeln als Fragen beantworten und mit dieser räsonierenden Strategie im Bildungsbürgertum sehr gut ankommen. Es gibt keine schneidige Selbstgewissheit, Probleme schnell in drei Punkten lösen zu können. Das wäre unglaubwürdig in dem Milieu, in dem die Grünen gewählt werden. Dort weiß man, dass die Dinge in der Regel sehr komplex sind und nur schwierig zu lösen, nicht von jetzt auf gleich.
Das einzige Geheimnis des Erfolgs der Grünen?
Nein, das andere ist, dass sie monumental unbeirrt eine Haltung mittransportieren. Sie sind die Antipoden zur AfD. Da gibt es kein Wackeln im Hinblick auf liberale Migrationspolitik oder die offene Gesellschaft. Es sind also der Stil, die Haltung und selbstredend das Thema Klima und Umwelt, das immer mehr ins Zentrum rückt - die Moralwährung, die die Grünen zu den Spielmachern des Augenblicks macht.
Was ist mit der CDU in Hamburg los? Vor zehn Jahren stellte die Union noch den Bürgermeister, jetzt liegt sie zwischen 10 und 15 Prozent.
Die Union in Hamburg wirkt wie in einem Sabbatical. Man nimmt sie nicht mehr wirklich wahr, sie erscheint vielen Wählern nicht als angriffslustig oder als ein Hort für Lösungskompetenz.
Der aktuelle Spitzenkandidat heißt Marcus Weinberg. Können Sie den kurz einordnen?
Er ist weit abgeschlagen hinter dem, was SPD und Grüne an Aufmerksamkeitsökonomie vorlegen. Im Wahlkampf dreht sich alles um die beiden Spitzenparteien im Umfragehoch, die SPD und die Grünen. Alle anderen Parteien und Spitzenkandidaten haben dabei deutlich das Nachsehen.
Die FDP wird voraussichtlich nicht mehr in der Bürgerschaft sitzen, oder?
So sieht es zumindest im Moment aus. Dabei waren es die liberalen starken Frauen in Bremen und Hamburg, die 2015 wieder die ersten Einzüge in Landesparlamente schafften, nachdem die Liberalen 2013 aus dem Bundestag geflogen waren. Sie haben es vorbereitet, dass die FDP 2017 aus der außerparlamentarischen Opposition in den Bundestag zurückkehrte. Damit kann es im Moment auch wieder enden.
Wo liegt dann die Schuld? In Thüringen?
Ja, es gibt gar nichts, was der Hamburger FDP aktuell anzukreiden wäre. Es ist einfach ein externer Schock von Erfurt, der auch die Hamburg-Wahl beeinflusst.
Und dass die FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein nach Thüringen getwittert hat, sie würde im Fall einer FDP-Regierungsbeteiligung sich als Erstes um die Bekämpfung des Linksextremismus kümmern?
Das würde ich nicht überbewerten. Die Hamburger FDP ist da einfach in einem gemeinsamen Boot gelandet. Die Hamburger FDP hat sich in den ersten Sekunden geradezu exemplarisch distanziert von dem bürgerlichen Sündenfall von Erfurt und dem, was von Christian Lindner oder von Wolfgang Kubicki und von anderen noch unmittelbar danach komplett anders formuliert wurde.
Die AfD liegt in Hamburg bei 7 bis 8 Prozent in den Umfragen, also eher schlecht im Vergleich zu anderen Bundesländern. Warum?
Es gibt kein ausreichendes Protest- oder Unmutspotenzial in der Stadt, sodass eine Partei, die sich über Protest zu formieren versucht, genug Angriffspunkte hat. Wohlstandschauvinismus und Salon-Radikalismus haben im hanseatischen Bürgertum durchaus Resonanz, wie die Tradition der Schill-Partei zeigt. Das ist nicht völkisch, aber anti-demokratisch.
Und was macht die Linke in Hamburg aus, die in Umfragen mit ihrer Spitzenkandidatin Cansu Özdemir knapp über 8 Prozent liegt?
Es ist die Mischung aus Antikapitalismus und Wut, die linke Wählerpotentiale ausmacht. Eine radikale Wutkultur prägte auch den G20 Gipfel in der Stadt.
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