Welche Entlastungsmaßnahmen kommen sollen, wird derzeit in einer Expertenkommission besprochen. Die Ergebnisse soll es am kommenden Montag geben, was Maybrit Illner aber nicht davon abhält, bereits am Donnerstagabend darüber zu sprechen. Dementsprechend schwirrte viel Konjunktiv durch die Runde. Aber immerhin auch ein paar handfeste Tipps für Menschen in finanzieller Not – und eine Mahnung.

Christian Vock
Eine Kritik
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Der Gaspreis ist immer noch hoch, aber er sinkt dieser Tage. Gleichzeitig will Bundeskanzler Olaf Scholz Bürger und Wirtschaft mit einem "Doppelwumms" entlasten.

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Dementsprechend fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend in ihrer Talkrunde: "200 Milliarden Euro – bremsen wir so die Krise aus?"

Bundesnetzagentur: Gaspreisdeckel bis Sommer 2024 nötig

Verbraucher und Firmen sollen vom Staat wegen der sprunghaft gestiegenen Energiepreise mit sehr viel Geld gestützt werden. Aber wie lange eigentlich? Der Chef der Netzagentur überbringt der Politik eine Hiobsbotschaft.

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

  • Franziska Giffey (SPD). Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin sagt über die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung: "Diese Entscheidung, wir gehen in einen wirklich sehr veritablen Eingriff in den Markt, wir setzen ein Stopp-Signal und gehen damit in Stabilität und Planbarkeit."
  • Annabel Oelmann. Oelmann ist Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen und berichtet aus ihrer beruflichen Praxis: "Wir haben aber auch viele Menschen, die haben schon vorher gespart und kommen jetzt einfach nicht mehr zurecht. Die können nichts mehr einsparen."
  • Karen Pittel. Die Wirtschaftswissenschaftlerin leitet das Ifo-Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen und sitzt in der Expertenkommission der Bundesregierung. Darüber, wie die Ergebnisse des Gremiums ausfallen werden, will sie noch nichts mitteilen, sagt aber ihre persönliche Meinung: "Eine Kontingentlösung ist etwas sehr Vernünftiges und da kann man auch die Einsparanreize aufrechterhalten."
  • Thorsten Frei (CDU). Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion will die Angebotsseite in den Fokus rücken: "Umgekehrt muss man auch darüber sprechen, dass man wirklich alle Potenziale nutzt. Da kann man über den Biogasdeckel sprechen. Und man muss auch über eine längere Laufzeit von Kernkraftwerken sprechen."
  • Gerald Traufetter. Traufetter ist Wirtschaftsredakteur im "Spiegel"-Hauptstadtbüro. Er sieht die hohen Kosten der Industrie, die diese hätte anderes investieren können und rät daher für die Zukunft: "Was die Industrie jetzt machen muss, mit Unterstützung des Staates, ist, den wahren Wandel einzuläuten, weg von fossilen Energien."

Das waren die Themen des Abends:

Zum Beispiel die konkreten Maßnahmen der Bundesregierung. Doch da die noch gar nicht feststehen, ist es weitgehend ein Reden über ungelegte Eier. Wie genau die Instrumente aussehen werden, kann Karen Pittel, die selbst in der Expertenkommission sitzt, noch nicht sagen, verrät aber Prinzipielles: "Es gilt eine Lösung zu finden, die zugleich sozial gerecht ist, den Finanzen gerecht wird, möglichst zielgenau, aber auch technisch umsetzbar ist. Das ist ja auch eine Herausforderung in der Kürze der Zeit, eine Lösung zu finden, die all diesen Kriterien so gut wie möglich gerecht wird, aber auch realisierbar ist."

Es ist also noch nichts konkret, trotzdem kritisiert Thorsten Frei schon einmal das vermutete Ergebnis und fordert eine All-inclusive-Lösung: "Die Lösung, die jetzt im Raum zu stehen scheint, ist nicht zielgenau, sie sendet nicht das richtige Preissignal, es ist nicht gerecht und es ist im Grunde genommen auch keine Lösung, die auch gegen Inflation wirken kann."

Gerald Traufetter hat offenbar ein paar mehr Informationen, aus denen er berichtet. Für ihn scheint das Hauptproblem zu sein, dass man schnell Entlastungen auf die Beine stellen müsse. "Da kommt für den Anfang eigentlich nur so ein Modell infrage, wo man einen Rabatt gewährt." Hier werde einfach der Preis pro Kilowattstunde reduziert. Über eine zweite Stufe nach dem vermuteten Rabatt-Model sagt Traufetter: "Ich denke, es wird sich so einspielen, dass man sagt: Im nächsten Jahr wird man eine Kontingent-Lösung machen. Der Verbraucher darf 80 Prozent Gas zu einem subventionierten Preis beziehen, den Rest muss er dann zu den dann handelsüblichen hohen Preisen zahlen."

Karen Pittel hat bei solchen Spekulationen, vier Tage, bevor die tatsächlichen Ergebnisse vorgestellt werden, Bauchschmerzen: "Da werden auch wieder Erwartungen geweckt und nachher kommt es dann doch anders als man gedacht hätte", erklärt Pittel, verrät aber gleichzeitig ihr favorisiertes Modell: "Ich wäre auf jeden Fall, wie viele Ökonomen auch, für eine Kontingent-Lösung. […] Damit kann man dann eben auch die Einsparanreize aufrecht erhalten."

Einsparen – auch ein großes Thema, das nicht nur Klaus Müller von der Bundesnetzagentur beschäftigt, sondern auch die Runde bei Maybrit Illner. Zu Müllers Mahnung gibt Karen Pittel zu bedenken, dass man für eine sicherere Einschätzung erst einmal den Beginn der Heizperiode abwarten müsse. Gleichzeitig sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin: "Man kann nur hoffen, dass die Menschen vernünftig sind. Also nicht nur, weil die Preise hochgehen, sondern auch weil sie sagen: Hier kann ich durch meinen Beitrag dazu beitragen, dass wir eben nicht in eine Gasmangellage kommen."

Der Schlagabtausch des Abends:

Thorsten Frei kritisiert die bisher mangelnde Geschwindigkeit der Bundesregierung, die nun rasches Handeln erfordere: "Diesen Zeitdruck hätten wir ja nicht unbedingt nötig gehabt", kritisiert Frei. Den Vorschlag eines Gaspreisdeckels gebe es schon länger, die Union habe dies auch thematisiert, aber stattdessen habe die Regierung "ein Viertel Jahr mit der Gasumlage verbraucht".

Franziska Giffey will das so nicht stehenlassen: "Ich find' ja immer: Wenn man eine Lösung schon kritisiert, bevor die Expertenkommission sie überhaupt erarbeitet hat, finde ich’s interessant." Es sei wichtig, den Experten die Zeit zu geben. Außerdem habe die Bundesregierung in den vergangenen Monaten sehr viel getan, "um das zu sichern, was dann verteilt wird. Nämlich die Gasspeicher zu füllen", erklärt Giffey und geht dann in den Gegenangriff über. "Herr Frei, Sie wissen’s auch: Wenn’s nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir ein Gasembargo gehabt, dann wären die Gasspeicher jetzt leer gewesen."

Was folgt, ist eine Diskussion zwischen Illner und Frei, ob und wie genau CDU-Chef Friedrich Merz vor nicht allzu langer Zeit gefordert hat, von sich aus auf russisches Gas zu verzichten. Das genaue Zitat von Merz ist für die Bewertung dieses Schlagabtauschs allerdings gar nicht so entscheidend, vielmehr zeigt sich hier ein kleines Dilemma von Regierung, aber auch von Opposition. Denn einerseits ist es die Pflicht der Opposition, die Regierung zu kritisieren, andererseits hat diese Kritik oft genug das sprichwörtliche Geschmäckle.

Denn wenn man über verschüttete Milch reden will, dann muss man auch die ganze Geschichte erzählen und zu der gehört, dass die aktuelle Ampel-Koalition die massiven Versäumnisse der Vorgängerregierung ausbaden muss und das am besten in einem Rekordtempo: Energie-Abhängigkeit von Russland, verschleppter Ausbau erneuerbarer Energien – um nur zwei Schlagworte zu nennen. Da kann man es sogar als Großmut auslegen, wenn Giffey irgendwann sagt: "Ich glaube, den Leuten geht es nicht um parteipolitisches Gezänk, sondern die Situation ist, wie sie ist."

So schlug sich Maybrit Illner:

Nicht gut. Dass Maybrit Illner die Eigenart hat, ihre Gäste permanent zu unterbrechen oder deren Sätze zu vervollständigen, fiel schon immer unangenehm auf, in dieser Ausgabe aber besonders. Als etwa Franziska Giffey erklärt, warum und wie Maybrit Illner ein Zitat von ihr über Stromabschaltungen völlig aus dem Zusammenhang gerissen hat, redet ihr Illner einfach dazwischen: "Diese Sendung ist auch dazu da, dass Sie das aufklären", behauptet Illner und stellt dann auch noch unüberprüfte Zusammenhänge her: "Sie ahnen nicht, was Sie ausgelöst haben, weil: Menschen kaufen tatsächlich Petroleumkocher, weil sie sich in Stadtbezirken darauf vorbereiten wollen."

Das ist auf einer persönlichen Ebene unhöflich, behindert aber auch gleichzeitig das, was Illner Giffey eigentlich zugestehen wollte: Dass die Politikerin die von Illner unvollständig zitierte Aussage richtigstellt. Ähnlich ergeht es kurz zuvor Gerald Traufetter, doch hier ist vor allem der Zuschauer der Leidtragende, denn Illner unterbricht den Journalisten bei einer der wichtigsten Aussagen des Abends. Auf die Frage nach den Schäden der hohen Preise für die Wirtschaft erklärt Traufetter, dass der Schaden groß sei. Das Geld, das man für nun teureres Gas ausgibt, hätte man in die Transformation zu erneuerbaren Energien stecken können: "Was die Industrie jetzt natürlich machen muss, ist, mit Unterstützung des Staates den wahren Wandel einzuläuten: Weg von fossilen Energien, die uns auf so eine fatale Weise …", will Traufetter erklären, doch an genau dieser Stelle unterbricht ihn Illner.

Die Mahnung des Abends:

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, mahnt derzeit, dass der Gasverbrauch aktuell zu hoch sei, um eine Gasmangellage sicher zu verhindern. Dazu sagt Karen Pittel am Donnerstagabend in Bezug auf die jüngsten, düsteren Wirtschaftsprognosen: "Die Prognosen, die jetzt auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute – und ifo ist ja auch dabei – herausgebracht haben, gehen davon aus, dass wir die Einsparungen an Energie schaffen. Wenn wir die nicht schaffen, dann steht auf einer anderen Seite, dass die Wirtschaft dann bis zu acht Prozent einbrechen kann. Und das ist eine Hausnummer, mit der wir alle nicht umgehen wollen."

Die Hilfestellung des Abends:

Was tun, wenn man finanziell mit dem Rücken zur Wand steht? Annabel Oelmann berichtet, dass, auch wenn die Fälle unterschiedlich sind, doch viele Menschen in Not seien. Doch die Verbraucherschützerin hat auch konkrete Ratschläge: "Das Wichtigste ist: In dem Moment, wo ich selber nicht weiter komme, um Hilfe fragen, staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, sich an die Verbraucherzentrale wenden und auf gar keinen Fall dafür in den Dispo", erklärt Oelmann erst einmal allgemein, wird später aber noch einmal konkreter.

Das erste, was man immer machen müsse, sei, zu prüfen: Habe ich wirklich andere staatliche Ansprüche? "Viele haben aufgrund der einmaligen hohen Anforderung auf einmal Anspruch auf staatliche Leistung, obwohl sie es nie vorher hatten." Außerdem solle man immer mit dem Versorger oder Vermieter direkt über das Problem sprechen und darum bitten, keine Sperrung zu verhängen, weil "dadurch explodieren die Kosten. Einmal gesperrt ist viel teurer als anderes vereinbart".

Das Fazit - wichtiger Punkt wird völlig vergessen:

Käme, hätte, würde. Es war ein Abend, an dem viel im Konjunktiv gesprochen wurde – weil Illner mit ihrer Runde einfach ein paar Tage zu früh dran war. Vielleicht hätte man also einfach ein bisschen die Ergebnisse der Expertenkommission abwarten und sich einen anderen Schwerpunkt suchen sollen.

Zum Beispiel die europäische Dimension. Die hat man nämlich in der Diskussion am Donnerstag völlig vergessen, obwohl es derzeit im restlichen Europa zum Teil enorme Empörung über den deutschen Alleingang in puncto Entlastung gibt. Und das, wo doch Bundeskanzler Scholz etwa bei Panzerlieferungen gerade keine deutschen Alleingänge will. Aber vielleicht ist das ja dann Thema der kommenden Woche.

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