Uns stehen schwere Wochen in der Corona-Pandemie bevor, daran lässt die Talkrunde bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend keinen Zweifel aufkommen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kann einen Lockdown nicht ausschließen, FDP-Vize Wolfgang Kubicki legt sich mit allen an. Die Biochemikerin Helga Rübsamen-Schaeff fordert die schnelle Beschaffung zweier neuer Medikamente.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

Mehr aktuelle News

50.196 Neuinfektionen meldete das Robert Koch-Institut am Donnerstag. Das ist der höchste Wert in Deutschland, seit die Corona-Pandemie begonnen hat. Trotz dieser erschreckenden Zahlen soll am 25. November die epidemische Lage enden und mit ihr die Rechtsgrundlage für den Großteil der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus.

Die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen arbeitet in der Zwischenzeit an einem neuen Gesetz, das danach in Kraft treten und die Pandemiebekämpfung regeln soll. Doch das Virus wartet nicht, bis die neue Regierung offiziell in Amt und Würden ist.

"Pandemie ohne Politik – erst sorglos, jetzt planlos?", fragte deshalb Talkmasterin Maybrit Illner am Donnerstagabend und diskutierte mit ihren Gästen darüber, welche Schritte jetzt nötig sind.

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

  • Michael Kretschmer: Der Ministerpräsident regiert im Corona-Hotspot Sachsen. Der CDU-Politiker war ins Studio zugeschaltet.
  • Wolfgang Kubicki: Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und Bundestagsvizepräsident gilt als scharfer Kritiker der Corona-Maßnahmen. Am Donnerstagabend machte er diesem Ruf alle Ehre, stand mit seiner Meinung aber ziemlich alleine da.
  • Helga Rübsamen-Schaeff: Die Biochemikerin ist Expertin für Infektionskrankheiten und Mitglied der Leopoldina. Sie gründete und leitete bis 2015 das Biopharma-Unternehmens AiCurisc. Aktuell ist sie Aufsichtsrätin bei AiCurisc und Merck.
  • Annemarie Fajardo: Die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats berichtete von dem Druck, der auf den Pflegekräften und dem Gesundheitssystem lastet.
  • Anika Klafki: Die Juniorprofessorin für öffentliches Recht an der Universität Jena promovierte zum Thema Pandemie und Rechtsstaatlichkeit.
  • Ulrich Reitz: Der Journalist ist Chef-Korrespondent von "Focus Online".

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Worüber bei Maybrit Illner am heftigsten gestritten wurde:

Eigentlich war die ganze Sendung ein einziger Streit. Und diesen kann man ziemlich treffend so zusammenfassen: Alle gegen Wolfgang Kubicki. Der FDP-Vize erteilte einem flächendeckenden Lockdown und Ausgangssperren eine klare Absage.

Weder sei deren Wirksamkeit bewiesen, noch sei klar, ob solche Maßnahmen mit den Gesetzen vereinbar seien. Kubicki forderte stattdessen großangelegte Testungen und Monitoring, um zu erfassen, welche Maßnahmen tatsächlich wirken.

"Wenn in Sachsen und Bayern mehr geimpft worden wäre, hätten wir das Problem gar nicht", stichelte Kubicki: "Wenn wir die Empfehlung bekommen, dass wir in Schleswig-Holstein 2G einführen sollen, in dem Glauben, dass dann in Sachsen die Zahlen sinken, ist das intellektuell erbärmlich."

Und so bekam CSU-Chef Markus Söder, der die bundesweite Einführung von 2G gefordert hatte, auch noch eine mit, obwohl er gar nicht da war. Später unterstellte der FDP-Vize der Union auch noch, "Fake News" zum neuen Gesetzesentwurf der Ampel zu verbreiten.

"Was wir gerade von Herr Kubicki gehört haben, ist Teil des Problems. Hochmut kommt vor dem Fall", entgegnete Kretschmer scharf: "Wir müssen uns fragen, was ist notwendig, um diese Welle, diese Dynamik zu brechen." 2G sei eine Variante, aber die würde nicht reichen, sagte der Ministerpräsident: "Wir werden weitere Instrumente brauchen, beispielsweise zur Kontaktreduzierung. Wenn wir das nicht liefern können, werden wir in einer humanitären Katastrophe enden."

Kubicki sah man immer wieder den Kopf schütteln, man hörte ihn verächtlich schnauben bei den Ausführungen der anderen. Etwa als Rechtsexpertin Anika Klafki den Gesetzentwurf der Ampel kritisierte, da diese in der aktuell dramatischen Situation die Maßnahmen zurückschrauben wolle. "Ich halte das nicht für ein gutes Gesetz", erklärte Klafki, was Kubicki sichtlich ärgerte.

Als der FDP-Politiker dann behauptete, es gebe keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Lockdowns oder Ausgangssperren zur Senkung der Infektionszahlen beitragen könnten, widersprach Helga Rübsamen-Schaeff energisch. "Was Herr Kubicki sagt, das stimmt gar nicht", entgegnete die Wissenschaftlerin.

Doch Kubicki legte nach. "Die Gefahr geht nur von einem Infizierten aus. Nicht von einem Geimpften oder einem Ungeimpften", bemerkte er und spielte damit darauf an, dass Geimpfte genauso zum Infektionsgeschehen beitragen könnten wie Ungeimpfte. "Das sehen wir völlig anders", watschte daraufhin mit Annemarie Fajardo auch der dritte weibliche Gast den Politikveteranen der Liberalen ab.

Das waren die wichtigsten Aussagen bei Maybrit Illner:

Michael Kretschmer: "Wir haben überhaupt kein Ende der epidemischen Lage. Ich glaube, dass die vierte Welle alles in den Schatten stellen wird, was wir bisher erlebt haben. […] Einen Lockdown kann man nicht ausschließen. Was machen Sie, wenn die Krankenhäuser nicht mehr können? Dann muss es dieses Instrument geben. Wir können nicht sehenden Auges in eine Situation wie in Bergamo laufen."

Ulrich Reitz: "Das Wort Auffrischungsimpfung ist eigentlich falsch. Man muss sich daran gewöhnen, dass man aufgrund des Delta-Virus eine dritte Impfung braucht. Möglicherweise dann irgendwann sogar eine vierte."

Annemarie Fajardo: "Wir sind mitten drin im Kollaps. Wir sprechen ja nicht erst jetzt über einen Pflegenotstand, sondern im Prinzip seit 50 Jahren. Und jetzt kommt zu dem Pflegenotstand auch noch eine Pandemie dazu."

Anika Klafki über den Gesetzesentwurf der Ampel: "Das Ziel des neuen Gesetzes ist der Schutz von körperlicher Unversehrtheit. Es verkürzt den Maßnahmenkatalog erheblich. Ich kritisiere vor allem, dass diese Maßnahmen so unkonkret formuliert sind."

Helga Rübsamen-Schaeff auf die Frage, ob wieder ein Lockdown droht: "Ich glaube schon, dass die Gefahr besteht."

Die Forderung des Abends bei Maybrit Illner:

Helga Rübsamen-Schaeff berichtete davon, dass zwei neue Medikamente gegen Corona aus den USA - Molnupiravir und Paxovid - auf dem Markt sind. Diese können von Patientinnen und Patienten in der frühen Phase der Infektion mit COVID-19 in der heimischen Quarantäne eingenommen werden und die die Chancen auf einen milden Verlauf der Krankheit deutlich erhöhen.

"Diese Medikamente nach Deutschland zu holen, wäre dringendst nötig", forderte die Wissenschaftlerin. Denn diese Medikamente könnten helfen, die Impflücke zu überbrücken. Ministerpräsident Kretschmer erklärte, dass die schnellstmöglich passieren werde.

So schlug sich Maybrit Illner:

Die Talkmasterin hatte teilweise Mühe, die Rededuelle zu unterbrechen, führte insgesamt aber gewohnt souverän durch die Sendung.

Fazit:

Alles in allem war "Maybrit Illner" eine ziemlich düstere Talkrunde. Vor ein paar Wochen konnte man vielleicht noch hoffen, dass die schlimmste Phase der Pandemie überstanden sei. Am Donnerstagabend wurde aber mehr als deutlich, dass uns schwere Monate und vermutlich auch wieder einschneidende Maßnahmen bevorstehen.




.




JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.