Egal, um welches Thema es gerade geht – wenn man am Ende ein "-Krise" dranhängt, liegt man selten falsch. Gas, Arbeitskräfte, Ukraine, Renten, Pflege und natürlich Klima – die Welt befindet sich im Modus multipler Krisen. Wie und ob die zu lösen sind, erklärte am Donnerstagabend Bundeskanzler Olaf Scholz Maybrit Illner und geladenen Bürgern. Herausgekommen ist ein zerfahrener Abend. Aber auch ein paar Botschaften.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

Mehr aktuelle News

Corona, Ukraine-Krieg, alle anderen Kriege, drohende Wirtschaftskrise, Hungersnot, steigende Inflation, Pflegenotstand, Fachkräftemangel, drohender Gas-Notstand und natürlich die Folgen der Klimakatastrophe: Die To-Do-Liste von Olaf Scholz ist lang. Dementsprechend fragte Maybrit Illner am Donnerstagabend: "Krieg, Corona, Klima – eine Krise zu viel, Herr Kanzler?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

Maybrit Illner hat sich diesmal ein besonderes Format ausgedacht und statt Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft lieber Bürgerinnen und Bürger eingeladen, die Bundeskanzler Olaf Scholz ihre Fragen im Studio stellten.

  • Olaf Scholz (SPD). Der Bundeskanzler wollte keine falschen Versprechen geben, dass die Energiepreise nicht weiter steigen. Seine Regierung habe bereits Entlastungen geschaffen, in der konzertierten Aktion werde weiter beraten. "Wir werden nicht alle Preise runter subventionieren können. So viel Wahrheit gehört dazu. Das kann kein Staat der Welt", gab Scholz eine ehrliche Antwort, sagte aber auch: "Wir sind fest entschlossen, niemanden alleine zu lassen."
  • Ralf Berning. Berning ist Intensivpfleger, war früher bei der Bundeswehr und legt bereits Geld zur Seite, weil er sich um die Zukunft sorgt. Er fragte Scholz: "Was kommt auf mich zu, auf was muss ich mich vorbereiten und lohnt es sich für mich, in der Zukunft überhaupt noch voll arbeiten zu gehen?"
  • Rifka Lambrecht. Die 21-jährige Studentin sagte zu den Entlastungen: "Außer dem Neun-Euro-Ticket ist bei mir persönlich nichts angekommen." Das sei aber noch nicht einmal das Problem: "Meine größte Sorge ist, dass junge Menschen langfristig die Verlierer dieser Krisenzeiten werden, wenn wir so weitermachen." Klimakrise, kollabierendes Rentensystem, Staatsverschuldung zählte Lambrecht auf und sagte: "Wir müssen das am Ende alles schultern. Das macht mir große Sorgen, wenn nicht sogar Angst."
  • Cornelia und Steffen Stiebling (zugeschaltet). Das Ehepaar betreibt eine Familienbäckerei in Thüringen und werde von den gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen erdrückt, wie sie erzählten. Diese könnten sie wegen der Konkurrenz durch Discounter aber nicht an die Kunden weitergeben. "Wir wissen es nicht", sagte Steffen Stiebling auf die Frage, wie lange die Bäckerei noch durchhalten kann.
  • Kateryna Mishchenko. Die ukrainische Verlegerin und Autorin ist aus Kiew geflüchtet. Sie zollt der Unterstützung der Deutschen ihren Respekt: "Das schätze ich wirklich." Diese Unterstützung der Gesellschaft sei auch eine Garantie für die Politik, sich ebenfalls mit der Ukraine zu solidarisieren. Mishchenko wollte von Scholz wissen: "Wie wird es aussehen, wenn die gesellschaftliche Unterstützung nachlässt und auch die Medien andere Akzente setzen?"

Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen:

Es war ein wirklich wilder Ritt durch eine Vielzahl an Themen - und der ging auch noch hin und her und bisweilen auch im Kreis herum. Das lag vor allem daran, dass jeder der Gäste seine ganz eigenen Sorgen und Probleme in die Diskussion einbrachte und dass diese Sorgen alle in irgendeiner Weise miteinander zusammenhängen. Es lag aber auch daran, dass sich Illner in dieser Gemengelage die Probleme herauspickte, die sie am liebsten diskutiert haben wollte.

Etwa, als Rifka Lambrecht eine kurze Liste ihrer Sorgen präsentierte und dabei sagte: "Wir haben eine Klimakrise, die immer weiter auf uns zu rast. Brandenburg brennt seit Wochen, nicht weit von hier." Weil sie aber auch die Schulden angesprochen hat, die sie auf ihrer Generation lasten sieht, fragte Illner Scholz: "Wir stehen vor einem Staatsbankrott?" Und so konnte Scholz erklären, dass man, wenn es keinen großen Wirtschaftseinbruch gibt, "in relativ kurzer Zeit" auf das alte Schuldenniveau kommen werde: "Der Staatsbankrott steht wirklich nicht bevor", erklärte Scholz.

Illner kam von den Schulden zu aktuellen Problemen mit Material- oder Arbeitskräftemangel und schlug so den Bogen zu Ukraine, indem sie fragte, wie lange die Regierung bei der Solidarität bleiben wird, auch wenn die Menschen irgendwann schnelle Lösungen verlangen. Hier sagte Scholz: "Wir werden so lange solidarisch sein, das ist jedenfalls mein Wunsch, wie das notwendig ist, damit die Ukraine sich verteidigen kann gegen den furchtbaren und brutalen russischen Angriff auf das eigene Land."

Zu dieser Unterstützung gehöre die Weiterführung von finanzieller und humanitärer Hilfe, aber auch Waffenlieferungen und die Sanktionen. Über die Solidarität der Deutschen sagte Scholz: "Ich glaube, dass man immer nur mit der Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger agieren kann, aber ich glaube, dass das sehr lange möglich sein wird."

Bäcker Stiebling wollte trotzdem "über alles reden": "Man muss auch mit den Russen reden", erklärte Stiebling und meinte: "Ich kann doch nicht dieses Land komplett vor die Wand fahren, weil ich gegen den Krieg bin." Scholz erklärte, was die Bundesregierung bisher alles getan hat und sagte: "Wir bereiten uns also jeden Tag wirklich mit großer Intensität darauf vor, dass eine solche Lage entstehen kann, nur: Noch ist sie nicht passiert."

So schlug sich Maybrit Illner:

Man kann natürlich nur spekulieren, was sich Illner und ihr Team dabei gedacht haben, aus "maybrit illner" eine Art Bürgersprechstunde mit Olaf Scholz zu machen. Was man aber sagen kann, ist: Es ist misslungen. Denn die Fragen, die die geladenen Bürger stellten, hätte entweder Illner auch ohne die Bürger oder die Bürger auch ohne Illner stellen können. So war es aber weitgehend so, dass die Bürger Illner erklärten, was sie gerne von Scholz wissen wollten und Illner Scholz dann die Frage stellte. Ein wirklicher Schlagabtausch zwischen Scholz und den Gästen kam so viel zu selten auf.

Das viel größere Problem an dieser Art von Diskussion aber war, dass Illner als Moderatorin die Fragen und Themen willkürlich selektierte, wie am Beispiel von Rifka Lambrecht am dramatischsten zu beobachten war. Die größte Sorge der Studentin ist die Klimakatastrophe und wie es ihrer Generation ergehen wird, weshalb sie an diesem Abend Scholz immer wieder auf dieses Thema ansprach.

Illner fragte Lambrecht dann entsprechend: "Wie groß ist Ihre Sorge, in so eine Welt noch Kinder zu setzen, Frau Lambrecht?" Die Studentin sagte daraufhin einen Satz, der einen erschüttern muss, weil er zum einen die Dimension der Klimakrise beschreibt und zum anderen die Situation, in der sich Lambrecht und ihre Generation befindet: "Jetzt gerade sehe ich noch nicht, dass es moralisch vertretbar ist, noch Kinder in diese Welt zu setzen."

Da müsste Illner als Moderatorin Scholz in die Mangel nehmen, doch weil Lambrecht in diesem Zusammenhang auch die für Klimaschutz notwendige Verkehrswende ansprach und sagte: "Die wird gerade von der FDP dreist blockiert und da frage ich mich, Herr Scholz, warum hauen Sie denn nicht mal auf den Tisch?", pickte Illner lieber nur die Frage mit dem Auf-den-Tisch-hauen heraus. Das war eben handlicher, als mit Scholz die Frage zu diskutieren, wie man mit der Zukunftsangst einer ganzen Generation umgeht.

So schlug sich Olaf Scholz:

Oberflächlich betrachtet schlug sich Olaf Scholz gut. Wirklich aus der Ruhe gebracht hat den Kanzler jedenfalls wenig, aber das muss nicht immer positiv sein. Denn der einzige Moment, in dem Scholz ein wenig mit der Antwort zögerte, war ausgerechnet der, in dem Illner seinen Kommunikationsstil mit dem von Robert Habeck verglich. Der habe konkret die Bürger angesprochen und zur Mithilfe aufgefordert: "Warum beziehen Sie die Menschen nicht mit konkreten Forderungen ein?", fragte Illner.

Doch Scholz argumentierte weiter auf der Sachebene, was die Regierung alles mache, doch genau an dieser Stelle brachte Ralf Berning die Kritik noch einmal auf den Punkt: "Da müssen Sie mit den Bürgern einfach klarer kommunizieren. Ich schätze das an Robert Habeck sehr, dass er klar kommuniziert, frei gerade raus und vor allen Dingen so, dass die Bürger das auch verstehen."

Das Fazit:

Es war ein geteilter Abend. Zum einen ging das Konzept der Ausgabe nicht wirklich auf. Gerade im ersten Teil des Abends stand zu befürchten, dass die geladenen Gäste nur kurze Stichwortgeber sind, weil sie nicht wirklich mit Scholz diskutieren und nur herumsitzen, während Illner mit Scholz spricht. Lebendig wurde es erst, als vor allem Lambrecht und Berning das Heft in die Hand nahmen und sich selbst in die Diskussion einbrachten, Scholz auch direkt und nicht über den Umweg Illner ansprachen.

Und auch wenn Olaf Scholz glaubhaft versichern konnte, dass die Regierung mit Nachdruck an Lösungen arbeitet: Am Ende blickte man in viele unzufriedene Gesichter am Diskussionstisch und das eigene Gesicht dürfte angesichts dieses zerfahrenen Abends nicht weniger unzufrieden ausgesehen haben.

Inhaltlich war es ein Abend, der wieder einmal zeigte, wie viel in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten an essentiellen Aufgaben liegen geblieben ist. Und je mehr Krisen es gibt, umso offensichtlicher werden diese Versäumnisse und auch, wie mit diesen Versäumnissen umgegangen wurde, und immer noch wird. Wenn etwa Maybrit Illner, als es um die Verkehrswende ging, bei einer Frage an Ralf Berning vorausschickte, er sei "überhaupt kein Grüner", zeigte das nur, in welchen Kategorien in Politik, Gesellschaft und Medien noch über die Klimakrise gedacht wird.

Wer sich gegen die Klimakrise engagiert, der muss ja ein Grüner sein, so die scheinbar logische Schlussfolgerung von Illners Aussage. Dabei sind der Klimakrise Parteizugehörigkeiten herzlich egal – genauso wie es Klimaschützern egal ist, dass sie mit ihrem Engagement auch FDP-Wähler und deren Kinder schützen würden. Daher ist es einerseits schade, dass der Abend thematisch sehr zerfahren war. Wenn aber auf der anderen Seite trotzdem die Botschaft durchkommt, dass es hier eine Generation gibt, die enorme Zukunftsängste hat, deren Gründe wir alle gemeinsam bekämpfen müssen, dann wäre bei dieser "maybrit illner"-Ausgabe trotzdem noch etwas gewonnen.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Flüssiggas als Ersatz: Warum Habecks Pläne laut Reedereien nicht umsetzbar sind

Laut Plänen von Wirtschaftsminister Robert Habeck soll Flüssiggas zur Energieversorgung beitragen. Reedereien äußern erhebliche Bedenken: Die Experten verweisen auf die begrenzte Verfügbarkeit von Schiffen und die weltweite Nachfrage. (Vorschaubild: Imago Images)


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.