- Um Deutschland mit Ökostrom zu versorgen, muss sich die Leistung aus der Solarenergie vervielfachen.
- Der Druck öffnet ein lukratives, aber umstrittenes Geschäftsfeld für Investoren.
- Es droht ein unregulierter Ausbau, selbst Wälder könnten diesem zum Opfer fallen.
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien deuten sich neue Konflikte an: Als Hoffnungsträger für den Klimaschutz gilt derzeit vor allem Solarstrom. Neue und zum Teil mehrere Hundert Hektar große Solarkraftwerke nehmen nicht nur fruchtbaren Ackerboden in Anspruch. Wie Recherchen von Correctiv und RBB zeigen, stehen in Folge fragwürdiger Investmentprojekte auch wichtige Biotope vor der Vernichtung.
In der Brandenburgischen Gemeinde Bad Freienwalde, Landkreis Märkisch-Oderland, will die niedersächsische Lindhorst-Gruppe mehr als 350 Hektar Wald roden lassen. Geplant sind ein 250 Hektar großes Solarkraftwerk und zusätzlich ein 120 Hektar umfassender Gewerbe- und Industriepark. Laut einer Präsentation des Planungsbüros sollen sich dort vor allem Betriebe ansiedeln, die einen "sehr hohen Bedarf an Elektroenergie" haben. Die Investoren zielen auf ein Rechenzentrum und Wasserstoff-Firmen.
Damit steht die Energiewende an einem heiklen Punkt: Deutschland muss Solarstrom-Leistung in kurzer Zeit nach Einschätzung von Experten verfünf- bis sechsfachen. Nachdem die Entwicklung lange Zeit stockte, beschleunigt sich die Dynamik nun rasant: In Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine steht die Politik unter massivem Handlungsdruck: Bundeswirtschaftsminister
Die Frage ist nur, wo die Solaranlagen hin sollen, und wer davon profitiert. Derzeit gibt es keine übergeordnete Regulierung. Tatsächlich will die Bundesregierung die Naturschutzvorgeben noch lockern, und damit öffnet sich ein lukratives Geschäftsfeld für Großinvestoren. Die Lindhorst-Gruppe zum Beispiel, ein Agrar- und Pflegeheimkonglomerat mit Sitz in Winsen (Aller), versucht, vom Ausbau der Photovoltaik zu profitieren: Die Unternehmenstochter Visiolar plant neue Solarparks auf einer Fläche von 2000 Hektar, viele auf landwirtschaftlichen Flächen. Das entspricht von der Gesamtleistung her in etwa einem Atomkraftwerk. Aber die Nutzung von Ackerland ist umstritten, weil dabei Flächen für den Anbau von Lebensmitteln verloren gehen.
Die Lindhorst-Gruppe äußert sich nicht zu den Fragen von Correctiv und RBB. Mehrere Anfragen an die Holding und die Tochterfirma Visiolar blieben unbeantwortet.
Der Wald soll Platz machen für ein Öko-Industrieprojekt
Die Rendite von Solarenergie ist seit wenigen Jahren deutlich gestiegen; im Internet werben Fonds mit acht bis neun Prozent. Das weckt Begehrlichkeiten. In Bad Freienwalde läuft das Genehmigungs-Verfahren für das Vorhaben im Ortsteil Hohensaaten noch, auch die Umweltprüfung steht noch aus. Wenn die Gemeinde am Ende eine Baugenehmigung erteilt, wäre eine Rodung des Gebietes legal. Es müsste aber voraussichtlich ein Ausgleich für die weggefallenen Waldflächen geschaffen werden. Die Planungsfläche des Vorhabens ist größer als die Fläche der Tesla-Gigafabrik in Grünheide.
Martin Krüger, Vorsitzender des Bundes deutscher Forstleute Brandenburg, warnt vor gravierenden Folgen für die Umwelt: "Eigentlich müssten wir Biosysteme aufbauen, die Kohlenstoff binden", sagt er. "Jetzt roden wir Wälder, um Industrieanlagen zu bauen." In dem Wald dominierten zwar Kiefern, aber die Bestände seien zum Teil sehr alt; zudem diene das Gebiet als Rückzugsgebiet für geschützte Arten wie Uhu und Schwarzstorch.
Zu DDR-Zeiten nutzte die NVA das insgesamt rund 680 Hektar große Waldgebiet militärisch. Seither wird es nur wenig bewirtschaftet und ist für die Öffentlichkeit gesperrt. Gerade deshalb sei der Wald aber als Biotop wertvoll, sagt Krüger. Ein Verlust des Waldes wäre daher verheerend: "Die angrenzenden Bestände werden leiden, das lokale Klima würde sich ändern und man würde die Wanderwege vieler Tierarten zerschneiden."
Nach Informationen von Correctiv und dem RBB soll ein offenbar unerlaubter Kahlschlag auf Teilen des Areals begonnen haben. Die zuständige Landesforstbehörde hat Anzeige erstattet. Auch zu diesem Vorwurf äußerte sich die Lindhorst-Gruppe nicht.
Der Druck in der Energiewende begünstigt Großinvestoren
Das Projekt zeigt ein Dilemma auf: Deutschland muss die Erneuerbaren Energien schnell ausbauen, sonst drohen die Klimaziele der Bundesregierung zu scheitern. Einige Naturschützer aber fordern eine übergeordnete Steuerung. "Bevor wir darüber nachdenken, auf Agrarflächen zu gehen, sollten wir das Potenzial der Dächer ausnutzen – und davon sind wir weit entfernt“, sagt Carsten Preuß, Vorsitzender des BUND Brandenburg. Sonst riskiere die Energiewende, einer nachhaltigeren, regionalen Landwirtschaft zuwiderlaufen, so Preuß: "Wir müssen aufpassen, dass das eine Ziel Klimaschutz nicht zu Lasten aller anderen Nachhaltigkeitsziele geht."
Wie das Vorhaben in Hohensaaten zeigt, stehen dabei nicht nur Agrarflächen, sondern auch Naturräume auf dem Spiel. Es gibt weitere Beispiele: Auf einer renaturierten Abraumhalde in der sächsischen Gemeinde Schleife soll ein Solakraftwerk entstehen – auch dort sind Waldflächen betroffen: Geplant sind neben den Photovoltaikanlagen ein Holzkraftwerk sowie die Produktion von Wärmespeichern und Bio-Lebensmitteln. Eine Bürgerinitiative vor Ort befürchtet die Rodung von insgesamt knapp 1.000 Hektar Wald.
Die Lindhorst-Gruppe steht für intensiven Maisanbau
Die Lindhorst-Gruppe, die hinter dem Vorhaben in Hohensaaten steht, zählt zu den größten Flächeneigentümern in Ostdeuschland und bewirtschaftet nach eigenen Angaben von 2019 insgesamt rund 22.000 Hektar. Die Firmengruppe galt in der Region bislang als typisches Beispiel für eine auf Flächenmaximierung getrimmte Landwirtschaft und soll jahrelang vorrangig auf den Intensivanbau vor allem von Mais gesetzt haben – mit verheerenden Folgen. Anwohner, Kommunalpolitiker und Experten sprechen von Erosion, hohen Nitratwerten im Grundwasser und ökologisch praktisch toten Flächen.
Uwe Tackmann, Fraktionsvorsitzender der Linken in der Gemeindevertretung Wusterhausen, ärgert sich über die Methoden des Konzerns "Sie haben massives Schindluder betrieben haben mit der Natur", sagt er. "Sie haben Grünland auf Moorböden umgebrochen, Feldgehölze unsachgemäß beschnitten, Wege und Randstreifen rigoros umgepflügt, Glyphosat eingesetzt, wo es nicht unbedingt nötig war." Öffentlich stellt sich Lindhorst inzwischen als grüner Konzern dar. Auf der Website ist von "Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft" und "Verbesserung des Umweltschutzes" die Rede.
Tatsächlich habe der ortsansässige Lindhorst-Betrieb inzwischen Blühstreifen angelegt und angekündigt, die Moorböden wieder vernässen zu wollen – mit beidem lasse sich dank öffentlicher Zuschüsse inzwischen Geld verdienen, sagt der Kommunalpolitiker: "Das und das Pflanzen von wenigen Bäumen als selbstbestimmte, ökologische Leistung in der Öffentlichkeit zu verkaufen – das ist hier Greenwashing.“
Mit Investitionen in Solarvorhaben versucht die Lindhorst-Gruppe, Erträge zu erwirtschaften und zugleich sein Image zu verbessern.
Verbindungen zu einer von Europas größten Schweinefabriken
Allerdings ist die Lindhorst-Gruppe gleichzeitig in Aktivitäten verstrickt, die Umwelt- und Klimaschutz zuwiderlaufen: Bis vor einigen Jahren zählte der Massentierhandel bei Lindhorst zum regulären Geschäft. Und wie eine Analyse des Firmennetzwerks zeigt, führen die Strukturen nach wie vor zu Massentierhaltungs-Betrieben: Die LFD-Holding, einer der größten Schweinezuchtbetriebe Europas, weist auffällige personelle Überschneidungen mit der LIndhorst-Gruppe auf: Dirk Wenzel, Vorstandsmitglied der JLW-Holding AG (Jürgen Lindhorst Winsen), ist zugleich Geschäftsführer der Solarfirma Visiolar und Prokurist in knapp einem Dutzend LFD-Schweinebetriebe.
Auch zu diesem Punkt hat weder die Lindhorst-Gruppe noch Visiolar auf Anfrage von Correctiv und RBB Stellung genommen.
An vielen Orten, wo die Lindhorst-Gruppe Flächen bewirtschaftet, treibt die Firma Visiolar derzeit Vorhaben voran. Der Solarboom hat einen regelrechten Wettlauf der Investoren auf die Äcker ausgelöst. Aber gerade bei bäuerlichen Landwirten wächst die Sorge, verdrängt zu werden. "Wenn es keine Leitplanken gibt, keine Grenzen des Ausbaus, dann haben wir mit normaler Lebensmittelerzeugung dagegen keine Chance", sagt Jan Sommer, Grünes Kreistags-Mitglied im Landkreis Märkisch-Oderland und Demeter-Bauer.
Deshalb müsse die Politik nun entscheiden, auf welchen Flächen Photovoltaik entstehen solle, und welche für die Landwirtschaft und für die Natur erhalten bleiben sollen. Letztlich, sagt Sommer, sei Klimaschutz mehr als Erneuerbare Energie. "Unsere Erde ist eine begrenzte Ressource, und da geht es auch darum, über Verzicht zu reden.“ (Correctiv)
Die ausführliche Recherche können Sie auf Correctiv.org lesen.
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