• Wo positioniert sich AfD-Bundesvorsitzender Tino Chrupalla im Richtungsstreit in seiner Partei?
  • Es war nur eine von vielen Fragen, die Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen diskutierte.
  • Dabei geriet Sahra Wagenknecht auffällig oft mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) aneinander – und bekam ein Lob von der AfD.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung stehen normale Bürger, die berechtigte Kritik artikulieren möchten, oft Seite an Seite mit Neonazis und Reichsbürgern.

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Auch viele AfD-Anhänger sympathisieren mit der Querdenken-Bewegung. Gleichzeitig zerbricht sich die Linke den Kopf, wie sie ihre oft zur AfD abgewanderten, alten Stammwähler wieder zurückgewinnen kann.

Das Thema am Donnerstagabend bei "maybrit illner": "Rechts, links, quer – wer profitiert von Angst und Spaltung?" In zweiten Teil der Sendung ging es um Gegenwart und Zukunft der AfD.

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Wer sind die Gäste bei "maybrit illner"?

  • Tino Chrupalla: Der Bundessprecher der AfD findet die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Corona-Pandemie völlig unverhältnismäßig. "Ich lasse mir von der Kanzlerin nicht vorschreiben, wie ich Weihnachten zu feiern habe", sagte er. Bei der Kritik von Sarah Wagenknecht am Infektionsschutzgesetz gab er der früheren Linken-Fraktionschefin im Bundestag ausdrücklich recht. Im zweiten Teil der Sendung sollte sich Chrupalla erklären, ob er auf der Seite von Alexander Gauland ("Corona-Dikatur") oder seinem Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen steht, der für einen moderaten Parteikurs wirbt: "Ich spreche für gar keine Hälfte. Ich spreche für die ganze Partei." Ob der Parteiausschuss des stramm-rechten früheren Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz richtig gewesen sei? Dazu wollte Chrupalla nichts sagen. Und Thüringens AfD-Vorsitzender Björn Höcke steht für ihn natürlich auch "auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung". Mit dem rechten Flügel wollte es sich Chrupalla nicht verscherzen.
  • Sahra Wagenknecht: Die Bundestagsabgeordnete (Die Linke) bemängelte, dass die Debatte über die Corona-Demonstrationen in eine Richtung gelenkt werde, "die überhaupt nicht repräsentativ ist, für die Menschen, die da auf die Straße gehen." Soll heißen: Nazis sind dort in der absoluten Minderheit. Wagenknecht konnte allerdings nur den Kopf schütteln über eine Rednerin, die sich auf einer Demo mit der NS-Dissidentin Sophie Scholl verglichen hatte. "Wenn ich deren Geschichtslehrer gewesen wäre, ich hätte suizidale Gedanken bekommen", so Wagenknecht. Dennoch kritisierte sie die aus ihrer Sicht zu starke Fokussierung auf das Coronavirus. Jedes Jahr würden 20.000 bis 25.000 Menschen in Deutschland an Krankenhauskeimen sterben. Man dürfte die Relationen nicht aus dem Blick verlieren. Schließlich teilte sie noch gegen die AfD aus und warf der Partei vor, "sehr sehr üble und finstere Gestalten" in ihren Reihen zu haben. Gemeint war der inzwischen entlassene frühere AfD-Pressesprecher Christian Lüth, der darüber fantasiert hatte, Ausländer zu vergasen.
  • Georg Mascolo: Der Journalist bemängelte wie Wagenknecht Teile des Infektionsschutzgesetzes, das Chrupalla völlig ablehnte. Er warf der AfD vor, bei den Querdenker-Demos "Anschluss an Wut" zu suchen – und dabei nicht wählerisch zu sein, welche Gruppen mitmarschieren. "Natürlich gehen ganz viele hochvernünftige Menschen auf die Straße" sagte Mascolo. Aber "wenn Rechtsextremisten aufmarschieren, tun es auch 1,50 Abstand nicht". Er verteidigte zwar vehement die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, erachtete die Verwendung des Nazi-Begriffs "Ermächtigungsgesetz" für das Infektionsschutzgesetz durch einige AfD-Verteter als "gefährlich und fahrlässig".
  • Herbert Reul: Der NRW-Innenminister (CDU) erwartet von der Querdenken-Bewegung, dass sie sich von den Rechten trennt. Der AfD empfahl er Selbiges in Bezug auf den formal aufgelösten Flügel. "Es ist doch nicht meine Aufgabe, ihre Partei auf den richtigen Weg zu bringen", sagte Reul zu Chrupalla in Bezug auf die drohende Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz. Für Reul sind die geschätzt 7.000 Flügel-Anhänger allesamt Rechtsextremisten – was Chrupalla natürlich bestritt.

Was war der Moment des Abends?

Sahra Wagenknecht, der in der Flüchtlingspolitik von Parteifreunden immer wieder eine zu große Nähe zu rechten Positionen vorgeworfen wurde, verpasste eine Gelegenheit, ihre Kritiker von ihrer Abneigung gegen die AfD zu überzeugen.

Zwar gab sie Chrupalla durchaus Contra, blieb vom Stil her aber fast etwas zu freundlich gegenüber dem größten politischen Gegner. Nicht nur das: Wagenknecht bekam sogar ein Lob vom AfD-Sprecher ("So ist es!").

Und zwar nach ihrer Analyse für den Grund der Unzufriedenheit vieler Menschen mit der aktuellen Politik. An der AfD liege es jedenfalls nicht, so die Ex-Kommunistin. "Die regiert ja nicht."

Was war das Rededuell des Abends?

Die Schärfe, die Sahra Wagenknecht gegenüber Chrupalla vermissen ließ, zeigte sie bei Herbert Reul. Die 51-Jährige empörte sich über dessen Charakterisierung von Menschen, die aktuell nicht demonstrieren gehen ("verhalten sich ordentlich").

"Ist man eigentlich noch ein ordentlicher Staatsbürger, wenn man in dieser Situation auf die Straße geht?", fragte sie ironisch in Richtung des CDU-Mannes.

Später, als die Linke die Bevorzugung von Großkonzernen und Interessengruppen bei der Verteilung der Corona-Hilfen anprangerte, gerieten beide noch einmal aneinander.

Reul warf Wagenknecht "Unternehmerschelte" und "Kapitalismuskritik" vor und rief genervt: "Ach, hören Sie doch auf!" Rhetorisch ein Punktsieg für Wagenknecht.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Es war ein etwas undankbarer Abend für die Moderatorin. Illner mühte sich vergebens, eine klare Positionierung von Tino Chrupalla im AfD-Machtkampf zwischen Meuthen und den Flügel-Unterstützern herauszukitzeln.

Und sie litt ein wenig darunter, dass keine wirkliche links-rechts-Polarisierung aufkommen wollte und Chrupalla nicht polterte.

Kritiker könnten Illner sicherlich mangelnde Schärfe gegenüber dem AfD-Mann vorwerfen. Das ist die Crux bei TV-Auftritten von "Alternative"-Spitzenpersonal: Überhaupt schon die Einladung ist für manche eine Grenzüberschreitung, weil es aus ihrer Sicht zur Normalisierung einer in Teilen rechtsextremistischen Partei beiträgt.

Geht man die AfD-Politiker dann zu hart an, schreien die Betroffenen und die Wähler ganz schnell "Benachteiligung!" und spielen die Opferkarte. Ist man zu nett, wie Illner am Donnerstag, ist der Vorwurf des "Kuschelkurses" nicht weit.

Was ist das Fazit?

Es war eine Sendung, die vom Thema und der personellen Zusammensetzung weniger hielt als sie versprach. Chrupalla ließ sich nicht aus der Reserve locken, Wagenknecht verpasste es, den AfD-Mann mehr zu stellen, Mascolos Sätze waren schlau, aber langweilig vorgetragen und der aus NRW zugeschaltete Reul versuchte sich staatstragend zu geben.

Und was blieb inhaltlich? Mascolo war sich nicht sicher, ob die Regierungsparteien auch von der zweiten Corona-Welle in den Umfragen profitieren könnten.

Wahlforscher Matthias Jung erklärte passend dazu, dass man man nicht sagen könne, dass die AfD ihren Zenit beim Wählerzuspruch schon überschritten habe. Allerdings ist das Corona-Thema in den Augen des Experten nicht optimal für die Rechtsaußen-Partei, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Sahra Wagenknecht, deren Partei auf den Querdenken-Demos keine Rolle spielt, will die AfD irrelevant machen, indem die soziale Spaltung in der Gesellschaft zu überwunden wird.

Die mutigste Schlussanalyse hatte Georg Mascolo auf Lager. In seinen Augen werde die Illusion der AfD, aus Bürgerlich-Konservativen und aus Rechtsextremisten "eine Partei zu formen und beide Lager zu bedienen" zu einem Ende kommen.

Da widersprach AfD-Mann Chrupalla vehement. Wirklich überzeugend klangen die Worte allerdings nicht, weil der Sachse sie in der Sendung fast gebetsmühlenartig wiederholte.

Womöglich steht die AfD vor ihrer größten Krise. Und sie würde, wenn es tatsächlich zum Bruch kommt, am wenigsten von Angst und Spaltung profitiert haben. Ganz anders als es die Frage im Sendungs-Titel suggerierte.

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