Hochkarätige Runde bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend (2. Mai): Unter anderem waren die Parteivorsitzenden Christian Lindner (FDP) und Ricarda Lang (Grüne) sowie DGB-Chefin Yasmin Fahimi zu Gast. Themen wie Bürgergeld, steuerfreie Überstunden und die Schuldenbremse sorgten für Zoff – hoch her ging es auch in puncto Arbeitsmoral. Während Journalist Gabor Steingart wenigstens eine gute Nachricht für Deutschland fand, erkannte CDU-Generalsekretär Linnemann ein deutliches Warnsignal für die Ampel.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein Plus von nur 0,2 Prozent – das erwarten die OECD-Konjunkturexperten für das laufende Jahr in Deutschland. Damit hinkt das Land hinterher: Andere große Industrienationen fangen bei drei Prozent an. Auch Robert Habeck hat bereits deutlich gemacht: "So können wir nicht weitermachen." Aber was muss sich ändern?

Mehr aktuelle News

Das ist das Thema bei "Maybrit Illner"

Deutschlands Wirtschaft krankt. Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen über die Frage: "Blockierte Republik – verhindert die Ampel den Aufschwung?" Denn während Christian Lindner (FDP) eine Wirtschaftswende und Robert Habeck (Grüne) ein "wuchtiges Entlastungsprogramm für die Wirtschaft" fordern, scheint Kanzler Olaf Scholz den Ernst der Lage noch nicht erkannt zu haben. Gleichzeitig kommen FDP und Grüne in ihren Rezepten nicht überein: Schuldenbremse reformieren oder Bürgergeld und Rente mit 63 überarbeiten?

Das sind die Gäste

  • Christian Lindner (FDP): "Wir können als Politiker nicht wissen, was die zukünftige Wirtschaftsstruktur ist. Deshalb will ich an allen Stellschrauben zugleich drehen", so der Finanzminister. Es brauche Steuersenkungen für die gesamte Wirtschaft und nicht gezielt für einige Unternehmen. "Dass die Leistungsbereitschaft in unserem Land gestärkt werden muss, daran geht kein Weg vorbei", sagte er.
  • Carsten Linnemann (CDU): Der Generalsekretär meinte: "Das Kernproblem in Deutschland ist, dass anstrengungsloser Wohlstand eine Illusion ist." Innerhalb der Ampel sei man sich darüber nicht einig, ebenso wenig über die Dimension des Problems. "Ich habe keine Hoffnung, dass die Ampel die Kurve kriegt", so Linnemann. Zum ersten Mal würde mehr als die Hälfte der Deutschen pessimistisch in die Zukunft schauen. "Das hat es noch nie gegeben, das ist alarmierend und das sollte ein Warnsignal für die Ampel sein", sagte er.
  • Yasmin Fahimi: Die Vorsitzende des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) war sich sicher: "Wir haben nicht überall Krise." Es brauche zwar eine Reihe an öffentlichen und privaten Investitionen, gleichzeitig hätten aber viele Unternehmen gerade Rekordgewinne gemacht. Man müsse Wirtschaftswachstum anregen, "aber bitte nicht mit der Gießkanne", forderte sie. Stattdessen brauche es bedarfsgerechte und gezielte Subventionen.
  • Ricarda Lang (Grüne): "Wir sehen viele strukturelle Probleme, die über Jahre liegen geblieben sind und uns jetzt immer härter treffen", sagte die Parteivorsitzende und nannte als Beispiel den Fachkräftemangel und mangelnde Investitionen. Potenzial für mehr Arbeitskräfte gäbe es bei jungen Menschen ohne Schulabschluss und Frauen in Teilzeit.
  • Gabor Steingart: "Der Bundeskanzler hat erkennbar einen Realitätsverlust erlitten in den vergangenen Monaten", so der Journalist über die Einschätzung von Scholz in Bezug auf die deutsche Wirtschaftslage. Der Abstieg in Deutschland sei "hausgemacht". "Insofern kann Politik hier etwas bewirken – das ist die gute Nachricht", sagte der Herausgeber von "The Pioneer" weiter.
Illner
Im ZDF diskutieren (v.l.n.r.) Yasmin Fahimi, Christian Lindner, Maybrit Illner, Ricarda Lang, Carsten Linnemann und Gabor Steingart. © ZDF/Svea Pietschmann

Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"

Linnemann räumte – durchaus selbstkritisch – ein: "Während Corona haben wir einen Knick erfahren. Der Staat hat da übertrieben." Man habe beispielsweise das Kurzarbeitergeld so weit ausgedehnt, dass es Betriebe bekommen hätten, die horrende Gewinne gefahren hätten. "Dann kam das Bürgergeld als Vorstufe zum bedingungslosen Grundeinkommen", kritisierte er. Allein der Begriff suggeriere, es stehe jedem zu. "Jetzt die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich – wir tun so, als ob der Staat für alles zuständig ist und die Probleme mit Geld zuschüttet. Damit muss Schluss sein."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Linnemann plädierte dafür, Überstunden steuerfrei zu stellen, um Leistungsanreize für mehr Arbeit zu setzen. "Ich würde bei 40 Stunden anfangen", erklärte er auf Nachfrage. "Wenn der Unternehmer ab 40 Stunden noch mal 20, 30 Prozent draufhaut auf die Überstunde, und die sind steuer- und beitragsfrei – was glauben Sie, gibt das für einen Schub in Deutschland?", sagte er.

Grünen-Politikerin Lang sah das anders. "Die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt wird sich verstärken", warnte sie. Gerade Frauen würden in Teilzeit arbeiten, unter anderem aufgrund von mangelnder Betreuungsstruktur. "Dieses Potenzial bleibt weiter ungenutzt und wird sogar noch verstärkt", kritisierte sie.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Stellenweise hatte Maybrit Illner die Runde nicht mehr unter Kontrolle, so lauthals zankten sich Lindner und Fahimi. Verstehen konnte der Zuschauer davon allerdings kaum ein Wort. Illners Einstieg zur Sendung war gut gewählt – sie wollte etwa von Lindner wissen: "Haben wir die Wirtschaftswende, die Sie fordern, schon hinter uns? Das jedenfalls sagt ihr Chef, der Kanzler." Zu lange verharrte sie aber dann in der Faulenzer- und Arbeitsmoraldiskussion und ließ auch zu, dass die Debatte wieder in Richtung Bürgergeld abdriftete. Angesichts der Tatsache, dass Steuertricks und -hinterziehung den Staat mehr Geld kosten, hätte sie die Debatte hier anders lenken sollen.

Das ist das Ergebnis bei "Maybrit Illner"

Es brauche "jetzt kein parteipolitisches Geplänkel", forderte DGB-Chefin Fahimi. Recht hatte sie, die Realität in der Runde sah allerdings anders aus. In der Sache zu streiten, gelang nur bei dem Vorschlag, Überstunden steuerfrei zu stellen. Die Runde identifizierte unausgeschöpfte Potenziale für den Arbeitsmarkt, etwa bei jungen Menschen ohne Schulabschluss oder Frauen in Teilzeit. Aber wie hebt man sie? Darauf gab es keine Antwort.

Ein Ergebnis, auf das sich die Runde dennoch einigen konnte: Im Vergleich zur Wirtschaftskrise Anfang des Jahrtausends, leben wir heute in anderen Zeiten – und brauchen daher auch andere Antworten.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.