Bei Anne Will ging es am Sonntagabend (25. Juni) um den Aufstand durch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, der sich am Wochenende in Russland abgespielt hat. Die Runde war sich einig: Putin ist stark angekratzt und Prigoschin lebt in großer Gefahr. Wie geht es weiter? Ist es der "Anfang vom Ende" oder kann er sich noch einmal rehabilitieren? Bei einem Punkt war sich Korrespondentin Ruck sicher: "Das ist Gift für jemanden wie Putin".

Eine Kritik
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Am Wochenende hat Wagner-Chef Prigoschin Ernst gemacht: Er hat Panzer, Drohungen und Kämpfer Richtung Moskau geschickt und einen Aufstand gewagt. Innerhalb von 24 Stunden hieß es: von Rebellion zu Rückzug. Dem Wagner-Chef wird Straffreiheit zugesichert. Was war da los im Kreml?

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Der Aufstand in Russland wirft Fragen auf. "Verliert Putin die Kontrolle?", "Wer ist der Gewinner der vergangenen Tage?" und "Was bedeutet die Situation für den Kampf in der Ukraine?" Darüber diskutierte Anne Will am Sonntagabend (25. Juni) mit ihren Gästen. Außerdem ging es um die Zukunft der Wagner-Kämpfer, internationale Reaktionen und die Frage, wie der Westen sich nun verhalten sollte.

Das sind die Gäste

Roderich Kiesewetter (CDU): Das Wochenende habe für den Westen etwas Bedeutendes gezeigt, sagte der Oberst a. D.: "Putin handelt auf Druck. Putin hat eine Schwäche erlebt und plötzlich verhandelt er." Er habe in eine Lösung eingewilligt, obwohl er im Verhandlungsprozess nicht selbst beteiligt gewesen sei. "Für uns ein Appell, dass wir mit der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen dürfen und dass wir jetzt die Schwäche Putins nutzen müssen, damit quasi sein Gravitationszentrum – die Krim – befreit wird von der Ukraine", forderte er. Die Machtkämpfe um die Nachfolge Putins hätten bereits begonnen.

Lars Klingbeil (SPD): "Es ist eine massive Demütigung für Putin, wenn 200 Kilometer vor Moskau eine Privatarmee aufläuft", befand der Co-Vorsitzende der SPD. In der Moskauer Elite frage man sich nun vermutlich: "Kann Putin uns eigentlich beschützen, wenn es ernst wird?". Zusammen mit der Unzufriedenheit über den Kriegsverlauf in der Ukraine führe es hoffentlich dazu, dass das System Putin destabilisiert werde. Es handele sich um einen "Wendepunkt in der Geschichte der Politik Russlands", meinte er.

Sabine Adler: Die Russland- und Osteuropaexpertin des "Deutschlandfunk" meinte: "Es ist absolut deutlich geworden, dass Putin die Kontrolle verloren hat." Putin habe genau gewusst, dass Prigoschin ein Risiko darstelle. Eigentlich sei Söldnertum in Russland ein Straftatbestand, doch mit der Wagner-Armee herrsche ein doppeltes Rechtssystem. "Ich glaube, es ist der Anfang vom Ende", wähnte Adler. Hinter den Kulissen liefen unglaubliche Machtkämpfe ab.

Vassili Golod: Der "ARD"-Korrespondent in Kiew berichtete über die Reaktion der Ukrainer auf den Machtkampf in Russland: "Die Hoffnung, dass das System innerhalb weniger Stunden implodiert, hat in der Ukraine niemand. Aber es gab vorsichtigen Optimismus, dass die Entwicklungen dazu führen, dass Russland geschwächt wird." Einige seien enttäuscht gewesen, dass es so schnell vorbei gewesen sei. Die Ukrainer seien sich einig: "Putin versteht nur die Sprache der Gewalt und Stärke."

Carlo Masala: "Das ist ein Schlag ins Gesicht", sagte der Militärexperte über die Tatsache, dass Putin mit einem nicht-staatlichen Akteur derart habe verhandeln müssen. Das kratze an Putins Ansehen. "Prigoschin hätte nicht diesen Aufstand gewagt ohne die Annahme, dass sich Akteure aus dem Sicherheitsbereich ihm anschließen werden", analysierte Masala. Das offenbare Risse im Machtapparat.

Ina Ruck: "Die Leute hat das schon besorgt", berichtete die Moskau-Korrespondentin über die Reaktionen der Russen auf den Aufstand. Putins Popularität fuße auf dem Sicherheitsgefühl, das er den Menschen gebe. "Er ist der Garant für Stabilität und Sicherheit hier", so Ruck. Wenn ein solcher Aufstand möglich sei, müsse das Konsequenzen haben. Das Unsicherheitsgefühl werde steigen. "Das ist Gift für jemanden wie Putin", so Ruck. In den russischen Medien versuche man es vergessen zu machen.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

"Wird er das überleben?", fragte Moderatorin Will den Militärexperten Masala. Der entgegnete: "Putin hat in einem Interview einmal gesagt, das Schlimmste für ihn ist der Verrat. Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich für die nächsten Jahre dreimal in der Nacht das Bett wechseln." Prigoschin lebe nicht mehr sicher. Wenn Putin an der Macht bleibe, habe er einen langen Atem. Auch andere Regimegegner seien erst nach Jahren "vergiftet und ermordet" worden.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Rededuelle gab es an diesem Abend kaum. Für den Zuschauer interessant war vielmehr die Einigkeit, die in Bezug auf Putins Zukunft herrschte. Zwei Wortmeldungen: "Putin hat jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, es bleibt alles so wie es ist, dann erodiert seine Macht aller Wahrscheinlichkeit nach immer weiter. Oder er wählt eine Kombination von Stalin und Erdogan", sagte Militärexperte Masala.

Letzterer habe den Putsch 2016 genutzt, um alle seine Gegner loszuwerden. "Die nächsten Wochen werden zeigen, welchen Weg Putin gehen wird. Er muss seine Macht wieder stabilisieren", analysierte Masala. Je mehr Chaos in Moskau herrsche, desto besser sei das für die Ukraine.

"Die Möglichkeit noch weiter Soldaten zu mobilisieren wird in Russland nach diesem Vorfall deutlich schwieriger werden", war sich Adler zudem sicher. Man werde anfangen, darüber nachzudenken, was das eigentlich für ein Krieg sei. Prigoschin habe bislang außerdem stets Unmut aufgefangen und ausgesprochen. "Diese Kritikmöglichkeit ist nun nicht mehr da." Es werde spannend, wie sich das auswirke.

So hat sich Anne Will geschlagen

Was Anne Will gelang: Eine gute Einordnung der Abläufe. Anhand von Fragen wie "Wie kann es sein, dass Prigoschin straffrei ausgeht?" und "Kann Putin sich noch einmal rehabilitieren?" analysierte sie mit der Runde den Machtkampf in Russland. Woran es an diesem Abend mangelte: an Debatte. Die Gespräche spielten sich hauptsächlich im Duett zwischen Moderatorin und Talkgast ab. Hier hätte Will den Ball öfter weiterspielen sollen.

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

"Alles offen", "schwer zu sagen" und "es ist alles noch zu frisch" hörte man am Sonntagabend häufig. Einig war sich die Runde aber darin, dass der Aufstand in irgendeiner Art und Weise einen Wendepunkt darstellt. Einen Reim, so erklärte Korrespondentin Ruck, könne man sich erst später darauf machen – etwa, wenn man sehe, welche Umbesetzungen im Verteidigungsministerium passierten. Russland-Expertin Adler machte noch einmal deutlich, wie viel hinter den Kulissen abläuft und war sich sicher: Prigoschin hatte Geheimdienste auf seiner Seite.

Verwendete Quellen:

  • ARD: Sendung "Anne Will" vom 25.06.2023
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