"Warum erst jetzt?" Bei "Markus Lanz" schildert eine Intensivmedizinerin ihren dramatischen Alltag. Ein FDP-Urgestein findet klare Worte für die Laschet-Söder-Show – und die eigene Partei. Ein CDU-Mann lüftet das Geheimnis um den kruden Inzidenzwert für die Schulschließungen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Für die Einen ist es die Bundes-Notbremse, für die anderen die wahrscheinlich langsamste Sofort-Maßnahme, seit es die Covid-Pandemie gibt: Der Bundestag hat das umstrittene Infektionsschutzgesetz beschlossen - rund dreieinhalb Wochen, nachdem Angela Merkel verkündet hatte, nicht noch zwei Wochen tatenlos zuzusehen, wie die Infektionen steigen.

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Fast eine halbe Million Infizierte meldeten die Gesundheitsämter seit Merkels Machtwort, bei "Markus Lanz" erzählt eine Medizinerin schmerzhaft plastisch, welche dramatische Auswirkungen das auf den Intensivstationen hat.
Ein CDU-Mann löst das Rätsel um den kruden Schulschließungs-Wert von 165, und FDP-Grande Gerhart Baum findet deutliche Worte zur Laschet-und-Söder-Show.

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Das sind die Gäste bei "Markus Lanz"

  • Für Mike Mohring (CDU) beendet die Bundes-Notbremse ein "Kommunikationsproblem": "Die Ministerpräsidentenkonferenz hat den Eindruck erweckt, sie sei ein Gesetzgebungsorgan." Dann habe aber jeder zuhause gemacht, was er wolle. "Deswegen trauen die Menschen der Politik nicht mehr."
  • Die Altersmilde hat Gerhart Baum (FDP) noch nicht ereilt. "Rauft Euch zusammen", empfiehlt der 88-Jährige allen Parteien, auch der eigenen. Es gehe um Leben und Tod, wie nach dem Krieg, als die Menschen "solidarisch" waren: "Mir fehlt die Solidarität der Demokraten."
  • Deutschlandfunk-Journalistin Katharina Hamberger nimmt die FDP, die in Karlsruhe gegen das Infektionsschutzgesetz klagen will, vor Baum in Schutz: "Die FDP hat entdeckt, dass sie mal Bürgerrechtspartei war - und ist damit ein Auffangbecken für Unzufriedene."
  • Die Debatte um die Bundesnotbremse findet die Geraer Intensivmedizinerin Caterina Reuchsel wichtig: "Aber sie kommt zu spät. Die Politik hatte ein Jahr Zeit, warum erst jetzt?"
  • Südamerika-Korrespondent Christoph Röckerath berichtet von zwei Ländern, die Deutschland eine Warnung sein sollten: Chile hat schnell geimpft, aber "viel zu früh wieder geöffnet". In Brasilien rauscht die P1-Variante quasi ungehindert durch, selbst im reichen São Paulo bricht die Medizinversorgung zusammen: "Das zeigt: Irgendwann kollabiert jedes System."

Das ist der Moment des Abends

Die Bilder aus Südamerika machen Eindruck auf die Gäste, Intensivmedizinerin Caterina Reuchsel machen sie auch sichtlich wütend: "Es ist ganz furchtbar, dass erst solche Bilder die Menschen alarmieren. Will wirklich jemand so weit kommen?"

Statt Bildern hat sie Geschichten aus ihrem Alltag mitgebracht: Operationen, die verschoben werden müssen. Immer jüngere Patienten, die ihre Intensivstation schwer gezeichnet verlassen. Frauen und Männer, die für ihren schwerstkranken Partner entscheiden müssen, welche Behandlung zumutbar ist.

Und immer wieder Hilflosigkeit: "Es ist, als hätte man Penicillin nie erfunden. Wir können sie nicht heilen, sondern nur helfen und hoffen, dass die Lunge sich erholt." Bei manchen Patienten, gerade älteren, entscheide man sich sogar bewusst gegen Beatmung – weil es mehr schadet als nutzt: "Nur weil ich Apparate habe, heißt es nicht, dass jemand so aus der Intensivstation kommt, wie er reingegangen ist."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Für den Polit-Aufreger der letzten Tage hat Reuchsel keinen Kopf, keine Zeit und kein Verständnis: "Es ist abgehoben", sagt sie zum Hahnenkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder.

Für Reuchsel lief die Debatte "in einer Parallelwelt" ab, Thüringen Ex-Parteichef Mike Mohring saß mittendrin in der Sitzung des Bundesvorstands - und hatte nach sechs Stunden genug. "Man kann es sich auch wirklich selbst schwer machen", schimpfte er öffentlich via Twitter.

Der Ärger über die "unnötige Woche" scheint verraucht, Mohring will in die Zukunft mit dem "gemeinsamen Kandidaten Armin Laschet" schauen, Lanz lässt ihn aber nicht: "Das Wort 'gemeinsam' würde ich streichen in dem Zusammenhang." Und gleich nochmal hinein in die Wunde: "Hat die CSU eigentlich auch einen Kandidaten?" - "Ja, Armin Laschet." Auftritt Katharina Hamberger: "Bleibt die Frage, ob sie den in Bayern auch plakatieren."

Gerhart Baum erinnert daran, wie sich Söder und Laschet an selber Stelle gegenseitig ihre Hochachtung versichert hatten. Leicht durchschaubar für einen, der in der Politik schon alles gesehen hat: "Man wusste: Da wird geheuchelt bis zum geht-nicht-mehr."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Eine Rekordquote nach der anderen, vielbeachtete Interviews mit Andreas Scheuer, Hans-Georg Maaßen, zuletzt Armin Laschet und Markus Söder: Markus Lanz hat sich von der harmlosen Entertainment-Plaudertasche zum seriösen Polit-Talker entwickelt - immer mit einem Augenzwinkern, aber der ständigen Bereitschaft zum Angriff.

Als Mike Mohring von "überzeugender Kommunikation nach innen" spricht, grätscht Lanz dazwischen: Wie soll das gehen? Ihre Basis ist auf einem anderen Trip." Mohring dagegen sieht die Möglichkeit für eine "Zeitenwende, die CDU kann sich selbst vergewissern." Lanz, jetzt in Frotzel-Laune: "Genau, sie kann sich mal in der Opposition erholen."

Den derbsten Witz bekommt übrigens einer ab, der gar nicht im Studio sitzt: Olaf Scholz. Gerhart Baum erinnert an die aussichtslose "Projekt 18"-Kanzlerkandidatur von Guido Westerwelle, Lanz kann den aufgelegten Elfer nicht liegenlassen: "So bekloppt war das gar nicht, die FDP hatte 13 Prozent damals, die SPD gerade 15 Prozent. Jetzt neu – Projekt 18 für Olaf Scholz!" Eine Sendung zwischen Klamauk und Verhör – das muss dieses "Politainment" sein.

Das ist das Ergebnis

Ex-Innenminister Baum verdingt sich nicht nur als Sidekick von Lanz, sondern auch als parteiinterner Kritiker: Er frage sich, warum sich die FDP so an der Ausgangssperre aufhänge. "Weil man damit Emotionen bei den Menschen weckt", vermutet Hamberger. "Weil man damit Wahlkampf führen kann", ergänzt Lanz, "da fallen Vokabeln wie 'eingesperrt'". Genau, spottet Baum: "Da kann man sich fühlen wie Nawalny."

Am Ende kann "Lanz" sogar eine knifflige Frage klären: Wo kommt eigentlich die 165 her? Bei dieser Inzidenz sollen Schulen geschlossen werden – aber warum dieser schiefe Wert, warum nicht 100 oder 200 oder 150? "Wirkt aus der Luft gegriffen", hatte Bettina Schausten im ZDF Armin Laschet konfrontiert. Die Antwort: "Ja."

So ganz stimmt das nicht, klärt Mike Mohring auf: "Das war der Tageswert, als es beschlossen wurde." Nachsatz: "Aber nachvollziehbar ist die Zahl nicht." Zur Ehrenrettung der 165 sei gesagt: Das hat sie in der Corona-Politik nicht exklusiv – das wurde an diesem Abend hinreichend deutlich.

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