Mit den Zollankündigungen droht Donald Trump den Welthandel ins Chaos zu stürzen. Gleichzeitig drohen die USA, als Verteidiger des Westens in Zukunft auszufallen. Was also tun zwischen einem aggressiven Russland und einem unzuverlässigen Amerika? Das fragte am Sonntagabend Caren Miosga unter anderem Bundesaußenminister a. D. Joschka Fischer – und bekam klare Antworten.

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Das Thema der Runde

"Müssen wir uns für Krieg rüsten, um Frieden zu sichern?", fragt Caren Miosga am Sonntagabend. Eine Frage, die schon beantwortet scheint, blickt man erstens auf das jüngste Milliardenpaket der kommenden Bundesregierung, zweitens auf die imperialen Absichten Wladimir Putins und drittens auf die Abkehr von westlichen Bündnissen, die US-Präsident Donald Trump gerade betreibt. Die Fragen, die daraus folgen: Brauchen wir wieder eine Wehrpflicht? Wie verteidigungsfähig ist Deutschland? Wie sollen Deutschland und Europa auf die neue Weltlage reagieren?

Die Gäste

Joschka Fischer (Die Grünen). Caren Miosga spricht zuerst alleine mit dem Bundesaußenminister a. D. über die aktuelle Politik der USA, das Machtstreben Putins und darüber, wie die Reaktion Deutschlands und Europas aussehen sollte. "Europa muss zur Kenntnis nehmen, dass wir allein sind", erklärt Fischer. Man dürfe nichts aktiv machen, um die Gräben zwischen den USA und Europa zu vergrößern, müsse sich gleichzeitig seiner eigenen Stärken besinnen und sich selbst stärken. Fischers Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft: "Europa, Europa, Europa." "Wenn wir uns nicht um uns selbst kümmern – andere werden es nicht tun", so Fischer.

Jana Puglierin. Puglierin ist Sicherheitsexpertin beim European Council on Foreign Relations. Sie sagt zur Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht: "Es wäre ein Risiko, die Wehrpflicht wieder so einzuführen, wie man sie hatte." Bei einer Wehrpflicht nur für Männer würde es Klagen geben, etwa von Frauen, die sich benachteiligt fühlen oder von Männern, die die Ungleichbehandlung unfair finden. Stattdessen plädiert Puglierin für ein generationen- und geschlechterübergreifendes gesamtgesellschaftliches Pflichtjahr, weil es nicht um nur um militärische Bedrohung gehe, sondern auch um Fälle im Graubereich, in denen das THW oder das Rote Kreuz gefragt sein, wie etwa Sabotage von kritischer Infrastruktur. Man müsse über Sicherheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe diskutieren.

Hauke Friedrichs. Der Historiker und sicherheitspolitische Korrespondent bei "Zeit Online" hält die Bedingungen bei der Bundeswehr für nicht besonders attraktiv: "Sie ist wahnsinnig ineffektiv, die Bürokratie empfinden Soldaten als absolut überbordend und ich glaube, dass ich als junger Mensch gerne das Gefühl hätte, für etwas beizutragen, was auch effizient ist, was auch nützt. Und momentan ist für mich die Bundeswehr von zahlreichen Baustellen und Belastungen geprägt." Es müsse erst einmal etwas geschehen, um die Bundeswehr attraktiver zu machen. "Bis das nicht geschehen ist, sollten wir auch nicht über eine Wehrpflicht sprechen", so Friedrichs.

Die Offenbarung, Teil I

Würde man einen konventionellen Angriffskrieg wie in der Ukraine auf Deutschland übertragen, bräuchte das Land zur Verteidigung, sofern es keine Verbündete gäbe, etwa 900.000 Soldaten, rechnet Hauke Friedrichs vor. Diese enorme Anzahl hätte die Bundeswehr, so Friedrichs, heute – zumindest theoretisch. Zu der aktuellen Anzahl von zirka 180.000 Berufs-, Zeit- und freiwilligen Soldaten gäbe es nämlich aktuell 900.000 Reservisten.

Aber wenn sich diese nicht freiwillig und aktiv bei der Bundeswehr melden, wisse die Bundeswehr nicht, wer Reservist ist. Man habe zwar noch die Namen, aber da man die Kreiswehrersatzämter abgeschafft habe, keine Meldedaten, wie diese Reservisten zu erreichen sind. "Diese Daten sind weg", sagt Friedrichs.

Die Offenbarung, Teil II

Laut einer Nato-Vorgabe müsse jedes Mitgliedsland so viel Munition vorrätig haben, dass es einen Angriff 30 Tage überstehen würde, erklärt Miosga und fragt Friedrichs, wie es in diesem Punkt um die Bundeswehr bestellt ist. Das komme auf die Waffensysteme an, so Friedrichs Antwort, aber "wir können sagen: Im schlimmsten Fall drei Tage, dann sind wir quasi leergeschossen bei einzelnen Systemen. Bei anderen würde es ein bisschen länger reichen, aber es ist definitiv zu wenig." Allerdings habe man auch von den zentralen Waffensystemen zu wenig, sodass man sich über die Anzahl der Munition eigentlich gar keine Gedanken machen müsse.

Die Feststellung, die Bundeswehr sei "blanker als blank" hält Friedrichs für zutreffend. Gleichzeitig müsse die Regierung die Beschaffung bei der Bundeswehr reformieren. Behalte man das bisherige Tempo bei, sei man erst in 100 Jahren verteidigungsfähig und das sei nicht übertrieben.

Der Erkenntnisgewinn

Statt parteipolitisches Gezänk bekamen die Zuschauer an diesem Abend scharfe Analysen und klare, wenn auch bisweilen bittere Einschätzungen. So halten Friedrichs und Puglierin die Wehrpflicht nicht für eine kurzfristige Lösung für die Bundeswehr, etwa weil man nicht die entsprechende Ausbildungsstruktur und Logistik habe.

Gleichzeitig müsse die Bundeswehr neben der militärischen Ausstattung auch als Arbeitgeber attraktiver werden, etwa durch eine bessere Ausrüstung, höhere Besoldung oder verbesserte Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus müsse sich Deutschland nicht nur um die militärische, sondern auch um die zivile Verteidigung kümmern.

Putin, werde sein imperiales Gebaren nicht stoppen, im Gegenteil. Gleichzeitig könne man sich nicht mehr auf die USA verlassen, dürfe aber nicht der Illusion erliegen, in den nächsten fünf bis zehn Jahren ohne die militärischen Fähigkeiten der USA auszukommen. Deshalb müsse man in Europa auf Einigkeit und Selbständigkeit setzen und hier hat Joschka Fischer auch noch ein paar Worte der Hoffnung:

"Zuversicht gibt mir der Glaube daran, dass dieses großartige Land, Deutschland, und dieser großartige, alte Kontinent, Europa, mit seinen Demokratien, mit der Art und Weise, der offenen Gesellschaft, wie wir leben, unseren Alltag, dass wir das nicht einfach drangeben. Wir werden uns nicht irgendwelchen kruden, imperialen Ideen unterwerfen. Wir sind kein armes Land, wir können das. […] Wir haben die notwendigen Potenziale. Wenn wir das mit anderen Europäern zusammenfügen, dann wird Europa zur Macht. Und genau darum geht es, darum muss es gehen."

Teaserbild: © NDR/Claudius Pflug