Warum sollte im TV-Studio klappen, was den Sondierern gelingt? Am Freitagmorgen wurde bekannt: Die "Jamaikaner" vertagen sich. Dass Jamaika ein äußerst wackeliges Konstrukt ist, dieser Eindruck verstärkte sich bereits am Donnerstagabend im Lauf des Talks bei Maybrit Illner.

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Schön warm hatten sie es, im Gegensatz zur armen Bettina Schausten. Während Maybrit Illner und ihre Gäste über den Stand der Dinge in Sachen Sondierungen plauderten, harrte die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, mit schwarzen Handschuhen bewehrt, in der Kälte Berlins aus, um kurz vor Schluss der Sendung in einer Schalte eine klassische Nicht-Nachricht zu verkünden: Keine Einigung in Sicht. "Offenbar ist 23.10 Uhr noch nicht der Zeitpunkt, wo es zum Schwur kommt."

22.15 Uhr war die Zeit, zu der Maybrit Illner noch einmal Revue passieren ließ, warum das alles so lange dauert in der Parlamentarischen Gesellschaft. Weil die Leitfrage "Die Qual nach der Wahl – Durchbruch bei Jamaika?" auch vor der verzichtbaren Schalte zu Schausten mit einem klaren "Nein" beantwortet werden konnte, hier eine schwierigere Frage: Wer waren eigentlich die Leute, die neben Illner saßen?

Von wegen Vernunftehe

Statt des angekündigten Armin Laschet sandte die CDU den eher unbekannten Carsten Linnemann, die Grünen wurden von Kerstin Andreae vertreten, und der FDP-Mann Marco Buschmann wurde in den letzten Tagen in Interviews zwar häufiger als "Chef-Sondierer" seiner Partei bezeichnet, was aber seinen Auftritt umso verwunderlicher machte: Sollte Buschmann dann nicht vielleicht, nun ja, sondieren?

Immerhin, ein paar frische Gesichter in einer Talkshow, und im Quartett mit Ilse Aigner von der CSU erledigten sie ihre Aufgabe gut: Sie lieferten ein solides Reenactment, eine Nachstellung des zähen Schauspiels zwischen vier Parteien, die mehr oder weniger gegen ihren Willen zusammenarbeiten müssen.

"Vernunftehe", das ist ein Begriff, mit dem viele Politiker in diesen Tagen die Jamaika-Runde charakterisieren, auch bei "Illner" fiel er wieder. Er sollte dringend überdacht werden.

Ein Bund zwischen vier teils völlig unterschiedlichen Partnern, das lässt eigentlich nur zwei Optionen zu: Entweder sie haben sich in ein crazy polyamoröses Abenteuer gestürzt oder sind in eine kaltherzig arrangierte polygame Zwangsehe geraten.

Der Abend bei „Illner“ sprach eher für Letzteres. "Wie viel Neugier und Aufbruchstimmung war zu spüren", fragte die Gastgeberin den Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, der gleich mal die Stimmung drückte: Nichts von alledem sei zu spüren gewesen, die Situation sei katastrophal, ein ungeheures Problem, selbst wenn sie in der Nacht ad hoc gelöst werden könne, "Jamaika wird immer eine fragile Sache bleiben".

Meine Zahlen, deine Zahlen

Wenn so ein Bündnis denn überhaupt zustande kommt. Die Zweifel, die sich aus Wochen des Stillstands in den Sondierungen speisen, sie wurden jedenfalls nicht geringer an diesem Abend.

In der Migrationsfrage kreiste die Diskussion um die Frage, wie viele Menschen denn überhaupt zusätzlich nach Deutschland kommen würden, wenn der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige wie geplant im Frühjahr 2018 wieder ermöglicht wird. 50.000, 100.000, 700.000?

So recht konnte es keiner sagen, also verwiesen sowohl Ilse Aigner als auch Carsten Linnemann auf Bürgermeister, die schon jetzt nicht mehr können. "Unsere Integrationsmöglichkeiten werden eh überschätzt", sagte der CDU-Mann noch, die Botschaft war klar: Am besten kommt keiner mehr, aber wenn die Gutmenschen von den Grünen unbedingt wollen, müssen sie wenigstens die "atmende Obergrenze" akzeptieren.

Ein ähnliches Spiel beim Klima, wo sich Schwarz-Gelb auf der einen und Kerstin Andreae auf der anderen Seite nicht einigen konnten, ab wie vielen abgeschalteten Kraftwerken ein "Dunkeldeutschland" (Illner) drohe. Hier Schreckensszenario, da Beharren auf einem übergeordneten politischen Ziel.

Immerhin beließen es die Kontrahenten bei sachlichen Argumenten, die Festzelt-Rhetorik eines Alexander Dobrindt ("Schwachsinnstermin") holte die Redaktion per Einspieler in die Runde, in die Illner fragte: "Warum hacken eigentlich alle auf den Grünen herum?"

Klimapolitik auf gut katholisch

Zur Antwort setzte Robin Alexander an, so eine Art Regierungskorrespondent der "Welt", einer jenen Alpha-Journalisten, die der Autor Wolfgang Michal jüngst in seiner lesenswerten Tirade gegen "Politikberatungsjournalisten" anzählte. Zu viel Meinung, zu viel Spin, zu viel Affirmation, so die Vorwürfe.

Bei "Illner" gab Alexander mit dem Gebaren eines Volksanwaltes einen Hinweis darauf, dass sie nicht ganz den Falschen treffen - er unterstellte den Grünen etwa, sie hätten ihrer Klientel nicht erklärt, dass "die", gemeint waren die Familiennachzügler, "nicht alle kommen können". Auch sei es "der Gesellschaft nicht vermittelbar", wenn die Migrationspolitik wieder "auf dem Niveau von 2015 ankommt, und sei es nur verbal".

In diesem Fall aber erzählte Alexander einfach nur eine Geschichte, die viel aussagt über die Sondierungen und die Gräben zwischen den Parteien. Ein katholischer CDUler, sagte Alexander, habe ihm erklärt, man müsse die Frage der Klimapolitik aus einem katholisch Blickwinkel sehen.

Klar glaubt man an Gott und findet den Papst gut, aber man sündigt. Also hat sich die Regierung ambitionierte Klimaziele auferlegt und es dabei belassen. Und plötzlich kommen die Grünen daher, und wollen die Ziele tatsächlich erfüllen. "Das hat was von Spielverderber."

Heiterkeit im Studiopublikum, aber eben auch die Einsicht: Diese Partner haben wirklich nicht sehr viel gemeinsam.

"Es gibt eben noch unterschiedliche politische Lager in Deutschland", sagte der Politikwissenschaftler von Lucke dazu. "Unterschiedlicher, als wir vielleicht dachten." Der Professor beklagte, dass es keine gemeinsame Vision davon gebe, wie Deutschland in der Zukunft aussehen könnte. Dabei hätten doch Grüne und FDP ihre jeweiligen Markenkerne zusammenbringen können, um etwa die Verkehrswende voranzubringen, das anzustoßen, was "Green New Deal" genannt wird.

Schwarz-Gelb findet sich schnell

Gemeinsame Sache mit den Grünen? Ein Gedanke, der FDP-Mann Marco Buschmann so aus der Fassung brachte, dass er sich in das Hirngespinst hineinsteigerte, von Lucke habe gerade behauptet, man könne so große Probleme innerhalb von zwei Jahren lösen. Eine gewagte Interpretation, von der ihn auch die Gastgeberin nicht abbringen konnte.

Erst das letzte Thema stellte seinen Seelenfrieden wieder her: Die Abschaffung des Solidarzuschlags, die "einzige Möglichkeit, die Balance zwischen Staat und Steuerbürger wiederherzustellen", wie Buschmann sagte. Wieder war es eine schwarz-gelbe Koalition, die sich in Windeseile im Studio zusammenfand, auch Linnemann will den Soli abräumen, nur etwas anders, aber natürlich versicherten beide, dass davon auch die kleinen Einkommen profitieren sollen.

Und wieder gab Kerstin Andreae die Spielverderberin: Wie denn die ganzen Entlastungen finanziert werden sollen, plus die Investitionen in Bildung? "Da fehlen 40 Milliarden Euro, ich bitte um kreative Vorschläge." Aber, welch Überraschung, auch bei diesem Betrag waren sich die Sondierer im Studio nicht einig.

Für Bettina Schausten konnte man nur hoffen, dass in der Parlamentarischen Gesellschaft wenigstens über die Zahlen Einigkeit herrschte. Sonst würde es tatsächlich eine sehr lange Nacht – und wie sich am Ende ja dann tatsächlich herausstellte: ohne Ergebnis. Sondierung? Vertagt.

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