Hat Hartz IV ausgedient? Und wie bekämpft die Politik Abstiegsängste und Zukunftssorgen? Eine motivierte Runde diskutiert bei "Maybrit Illner" Lösungen - und Jens Spahn und Robert Habeck begründen eine neue Männerfeindschaft.

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Elefantenrunde light bei "Maybrit Illner": Jens Spahn würde gern Angela Merkel als CDU-Chef und Kanzler nachfolgen, Robert Habeck könnte bei den derzeitigen Umfragewerten der Grünen durchaus neuer Regierungschef werden, und eine bessere Spitzenkandidatin als Malu Dreyer müssen sie im Willy-Brandt-Haus auch erstmal finden.

Dementsprechend motiviert gingen die drei auch in die Debatte, in der sie tatsächlich grundlegend unterschiedliche Modelle für das Deutschland nach Merkel skizzierten – die bleierne Zeit ist also vielleicht nicht nur in der Union, sondern auch in den deutschen Talkshows beendet.

Das war das Thema

Wirtschaftsboom, Wohlstandsgesellschaft – alles wunderbar in Deutschland? Nicht für alle: Jeder vierte Arbeitnehmer arbeitet im Niedriglohnsektor, über eine Million Menschen müssen mit Hartz IV aufstocken, 40 Prozent der Menschen haben praktisch keine Ersparnisse und sind nur eine schwere Krankheit oder eine Autopanne von der Armut entfernt.

"Billige Arbeit, Abstiegsangst – wer stoppt die Spaltung des Landes?", wollte Maybrit Illner wissen.

Diese Gäste diskutierten mit Maybrit Illner

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) missfiel schon die Grundthese der Sendung: "Sie zeichnen ein Bild von einem Land in Armut, damit bin ich nicht einverstanden." Eine Abkehr von Hartz IV hält er für grundfalsch, auch wenn er in einzelnen Bereichen Reformbedarf sieht – etwa bei der Zuverdienstgrenze. Grundlegend müsse das Sozialssystem weiterhin für einen entscheidenden Unterschied sorgen: "Der, der morgens aufsteht, muss mehr haben als der, der nicht aufsteht."

Der neue grüne Posterboy Robert Habeck sah wie immer aus, als wäre er gerade erst aufgestanden, als er ein paar Minuten zu spät auf seinen Platz eilte. Für einen Träumer halten ihn die konservativen und wirtschaftsfreundlichen Kräfte im Land spätestens seit seinem Vorstoß, Hartz IV mit einer sanktionsfreien Grundsicherung zu ersetzen. Bezahlen will er die 30 Milliarden übrigens mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern wie den "Cum Ex"-Deals, was wohl die Zahl der möglichen Koalitionspartner reduziert. In einem seiner sehr vielen sehr ausführlichen Statements bettete er seine Ideen ein in den Kampf um die Akzeptanz der Demokratie: "Nur wenn die Menschen das Gefühl haben, der Wandel in der Arbeitswelt wird abgesichert, werden wir ihn als Demokratie auch bestehen."

Unternehmerin und FDP-Mitglied Marie-Christine Ostermann verteidigte die Sanktionen als Druckmittel. In ihrem eigenen Betrieb komme es immer vor, dass Menschen eine Aufstocker-Stelle der Vollzeit-Schichtarbeit vorziehen. Ob die Unternehmen dann nicht einfach höhere Löhne zahlen könnten, wollte Maybrit Illner wissen. Die ehrliche Antwort: "Dann ist die Frage, ob die Stelle besetzt wird. Oder man schaut, ob man das nicht automatisieren kann."

Automatisierung, Robotik, autonomes Fahren – all diese Entwicklungen machten den Menschen Sorgen, sagte Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). "Welcher Busfahrer macht sich nicht Gedanken, ob er in zehn Jahren noch gebraucht wird?" Sie forderte einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, um Menschen zu helfen, deren Job dem Wandel der Arbeitswelt zum Opfer gefallen ist.

Es kann nicht jeder so vielseitig sein wie die eierlegende Wollmilchsau Robin Alexander, den offenbar sämtliche Fernseh-Redaktionen der Republik auf Kurzwahl eingespeichert haben. Egal worum es geht, der "Welt"-Journalist hat zitierfähige Einschätzungen parat, so auch an diesem Abend: "Die Idee, einer verunsicherten Gesellschaft die Verunsicherung abzukaufen – das wird nicht klappen. Die Leute glauben nicht, dass ein Grundeinkommen finanziert werden kann." Robin Alexander weiß, wie "die Politik besser beraten" wäre, nämlich, wenn sie auf ihn hören würde. Sein Rat: "Kleinere Versprechen machen, die man auch einhalten kann."

Das war der Schlagabtausch des Abends

Robert Habeck und Jens Spahn hätten den Laden auch allein 60 Minuten auf Dampf gehalten, so leidenschaftlich beharkten sich der Grüne und der CDU-Mann.

Spahn unterlief in der Hitze des Gefechts allerdings ein kapitaler Bock: En passant unterstellte er Habeck, der hätte einmal gesagt, Patriotismus kotze ihn an. Einspruch Habeck: "Da sind sie auf ein AfD-Posting hereingefallen." Tatsächlich geistert das verkürzte Zitat unter anderem auf AfD-Seiten herum.

Was Spahn wohl nicht wusste: Habeck schrieb den Satz in seinem Buch "Patriotismus. Ein linkes Plädoyer", in dem er Patriotismus beschwört – nur eben einen anderen. "Sie haben es erkennbar nicht gelesen und halten mir irgendwelche AfD-Posts vor, das ist für einen, der mal Bundeskanzler werden will, echt armselig."


Noch lange nicht das Ende des Privatduells: Habeck warb für eine Abkehr vom sofortigen Arbeitszwang, weil ein LKW-Fahrer vielleicht nicht unbedingt Toiletten putzen wolle. Was Jens Spahn zum Anlass nahm, sich als Anwalt des kleinen Mannes zu inszenieren: "Wäre es unzumutbar für einen Ex-Minister Spahn und einen Ex-Parteichef Habeck, Klos sauber zu machen?"

Ein Hinweis an die PR-Berater von Spahn: Es könnte da ein Problem mit der Glaubwürdigkeit geben, wenn das einer sagt, der abgesehen von einer Bankkaufmannslehre nicht viel gesehen hat von der Arbeitswelt - und dem Dreiklang aus "Kreißsaal - Hörsaal – Plenarsaal" wahrscheinlich irgendwann einen gut dotierten Nachklang in einem Aufsichtsrat folgen lassen wird.

Und Habeck? Will keine Klos putzen. "Wir haben Fachkräftemangel, da wäre es sinnvoller, wenn der Habeck sich zur Pflegekraft ausbilden lassen würde."

Die viel interessantere Spannung zwischen den beiden möglichen Kanzlerkandidaten lag aber im unterschiedlichen Ansatz: Jens Spahn verortet den Grund für den fehlenden Zusammenhalt und die Zukunftsängste in der Gesellschaft nicht wie Habeck hauptsächlich in der Sphäre der Sozioökonomie: "Sie können die Rente vervierfachen und Hartz IV verdreifachen, die AfD wird trotzdem erfolgreich sein."

Für Spahn geht es eher um Fragen der Identität, um gemeinsame Werte. Letztlich also um einen Kulturkampf, auch wenn Spahn das Wort nicht in den Mund nahm, wie er überhaupt nur andeutete, wie seine Lösung für die Spaltung der Gesellschaft aussehen könnte. Eine Ahnung erlauben seine Ausführungen allerdings: Ein Kanzler Spahn wäre ein Kanzler der Leitkultur.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Ein Fleißbienchen für Hartnäckigkeit hatte sich die Gastgeberin an diesem Abend allemal verdient. Keine Frage blieb unbeantwortet, wenn es sein musste, wiederholte Illner sie auch zum dritten Mal.

Ihre Schlagfertigkeit war ohnehin nicht gefragt, weil sich die Gäste nach Herzenslust ineinander verkeilten, erst gegen Ende der Sendung übte sie sich noch im Freistil, mit Erfolg: "Friedrich Merz, obere Mittelschicht, eine korrekte Einschätzung?" Spahn hatte die größte Mühe, eine unfallfreie Formulierung hinzulegen, das war Antwort genug.

Das sind die Erkenntnisse

Hartz IV muss sterben. Und sei es nur, damit die Politik wieder nach vorn schauen kann. "Es ist schräg, dass wir immer noch von der Reform von vor 15 Jahren sprechen", sagte Malu Dreyer.

"Damals hatten wir Massenarbeitslosigkeit, jetzt haben wir ganz andere Probleme." Nämlich einen riesigen Niedriglohnsektor, Fachkräftemangel und eine Arbeitswelt im Wandel. Schon jetzt gehen durch die Digitalisierung Jobs verloren, die Regierung hat jetzt erst fünf Milliarden Euro für den "Digitalpakt Schule" locker gemacht.

Was mit den Menschen passiert, die vielleicht (noch) nicht gut genug ausgebildet sind für den Arbeitsmarkt der Zukunft, auf diese Frage müssen dringend Antworten her.

Dreyer plädierte für einen "zugewandten Staat, der die Leute nicht gängelt", Habeck für Anreize und das Arbeitsamt als "Freund" der Menschen. Spahn würde gern den Druck auf Arbeitslose aufrecht erhalten: "Ich bin sehr für Freundschaft und Partnerschaft, aber es gibt Leute, da kommen sie damit nicht weit."

Der weitere Ausbau des Niedriglohnsektors kann eigentlich nichts zur Lösung des Problems beitragen, er verlängert es nur: in die Altersarmut. Auch da hatte Jens Spahn eine Idee: Die Leute müssten in die Lage versetzt werden, Eigentum zu erwerben. Häuser und Aktien gegen Armut. Hat da jemand "Marie Antoinette" gesagt?

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