Die Ankündigung der SPD, ihre Sozialpolitik neu ausrichten zu wollen, bringt neuen Schwung in die Debatte über die Zukunft von Hartz IV. Ein Überblick über die Vorschläge zu Reformen und Alternativen.
Rund sechs Millionen Menschen beziehen derzeit Sozialleistungen nach dem Hartz-IV-System, das die rot-grüne Regierung von Kanzler
Ob Bezieher oder nicht: Hartz IV ist für viele Bundesbürger ein Reizthema
SPD: "Hartz IV ist von gestern"
Die SPD möchte das Hartz-IV-System am liebsten ganz abschaffen. Generalsekretär
Klingbeil betonte, Hartz IV sei angelegt gewesen in dem Glauben, "dass es für jeden schnell wieder Arbeit gibt, wenn er oder sie arbeitslos wird". Durch die Digitalisierung würden nun aber auch Hochqualifizierte ihren Job verlieren. "Das führt zu einer enormen Abstiegsangst", argumentierte Klingbeil.
Weiter sagte er, wer sich künftig in Qualifizierungsmaßnahmen befinde, solle weiterhin Arbeitslosengeld I beziehen und nicht mehr in die Grundsicherung abrutschen. "Solange jemand in Weiterbildung ist, muss diese Person weiter Arbeitslosengeld I bekommen. Die Menschen müssen die Gewissheit haben, dass der Sozialstaat sie auffängt."
Bislang wird das Arbeitslosengeld I maximal 18 Monate lang gezahlt. Im Anschluss werden die Menschen auf Arbeitslosengeld II - besser bekannt als Hartz IV - heruntergestuft.
"Wir brauchen eine neue Grundprämisse: Ich will einen Sozialstaat, der absichert und Chancen eröffnet statt Menschen zu gängeln", erläuterte Klingbeil. Jeder Bürger solle ein Existenzminimum bekommen, das nicht heruntergekürzt werden dürfe. Darüber hinaus will die SPD - im Unterschied zu den Grünen - aber an dem Grundsatz festhalten, dass jeder, der arbeiten kann, auch arbeiten muss.
Grüne: Bedingungsloses Grundeinkommen light
Grünen-Chef
Habeck betont angesichts von Digitalisierung und Globalisierung: "Die Zeit und die politische Debatte sind über Hartz IV hinweggegangen." Dem System liege die falsche Auffassung zugrunde, "dass Arbeitslosigkeit ein individuelles Problem ist".
Mit der neuen Sicherung sollten Menschen nicht mehr gezwungen werden, Termine im Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen. Beratung und Weiterbildung sollten freiwillig sein. Weiter nötig sein sollten ein Antrag und der Nachweis der Bedürftigkeit. Ohne Zwang zur Arbeitsaufnahme entfalle aber "das wesentliche Element von Hartz IV, die Gängelung".
Habeck schlägt in seinem Papier weitere Änderungen vor, etwa für mehr Zuverdienstmöglichkeiten. Eine Anrechnung von Vermögen auf Hartz IV solle überhaupt nur noch geprüft werden, wenn dieses 100.000 Euro pro Person übersteige.
Je nach Ausgestaltung der neuen Sicherung dürften mindestens vier Millionen zusätzliche Haushalte Ansprüche erhalten. Insgesamt sei grob geschätzt mit Kosten von 30 Milliarden Euro zu rechnen. Dies sei viel Geld, entspreche aber nur einem Prozent der Wirtschaftsleistung. "Die Gegenfinanzierung muss aus einer gerechteren Verteilung der Wohlstandsgewinne dieses Landes erfolgen." Auszahlen solle die neue Sicherung "eine eigenständige Behörde".
CDU: "Menschen in Arbeit bringen"
Auch in der Unionsfraktion wird über Änderungen nachgedacht - allerdings im Rahmen des bestehenden Hartz-IV-Systems. "Ich fände es viel spannender, sich Gedanken darüber zu machen, wie kriegen wir die Menschen aus Hartz IV heraus, als sich Gedanken darüber zu machen, wie soll das System vielleicht anders heißen, anders gestaltet werden", sagte die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer dem Sender RTL.
Ähnlich äußerte sich die Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). "Ob Garantiesystem oder Grundeinkommen, das sind doch Quatschbegriffe. Es geht darum, dass wir die Menschen in Arbeit bringen", sagte der Vorsitzende Karl-Josef Laumann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Nur so könne man Armut überwinden.
Er wies auf die Koalitionspläne für einen sozialen Arbeitsmarkt hin, bei dem bezuschusste Stellen für Langzeitarbeitslose geschaffen werden sollen. "Das ermöglicht Teilhabe, nicht diese immer wiederkehrende Debatte der SPD, ihrem eigenen Kind Hartz IV einen neuen Namen zu geben."
Der Wirtschaftsrat der CDU warnte davor, die Agenda-Reformen zurückzudrehen und "damit den dreizehn Jahre währenden Beschäftigungsboom in Deutschland abzuwürgen".
FDP: Sozialleistungen bündeln
Die Freien Demokraten plädieren in ihrem Parteiprogramm für ein sogenanntes Bürgergeld, das verschiedene Sozialleistungen in einer zusammenfasst und von einer staatlichen Stelle verwaltet wird.
Der Anspruch auf Bürgergeld setzt den Nachweis der Bedürftigkeit voraus. Wichtig sind der FDP außerdem die Zuverdienstmöglichkeiten: Selbstverdientes Einkommen soll geringer als heute auf Sozialleistungen angerechnet werden. Die Verdienstgrenze im Rahmen des für den Arbeitnehmer steuerfreien Mini-Jobs soll von heute 450 Euro auf 530 Euro steigen.
Zum Vorschlag der Grünen sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, dem RND: Sich vom Grundsatz "Fördern und Fordern" zu verabschieden, sei "der falsche Weg".
Linke: Mindestsicherung ohne Sanktionen
Die Linkspartei will Hartz IV durch eine sogenannte Mindestsicherung ersetzen. Wie aus dem Parteiprogramm hervorgeht, sollen Arbeitslose, aufstockende Erwerbstätige und Erwerbsunfähige ohne hinreichendes Einkommen oder Vermögen monatlich 1.050 Euro erhalten.
Die sanktionsfreie Mindestsicherung soll jährlich entsprechend der Teuerung angehoben werden. Der Betrag dürfe von den Behörden nicht beschnitten werden, auch dann nicht, wenn sich ein Betroffener weigert, eine bestimmte Arbeit anzunehmen.
Das Arbeitslosengeld I soll länger als derzeit ausgezahlt werden, der Anspruch darauf schon nach sechs Monaten in einem regulären Arbeitsverhältnis erworben werden.
AfD: Gemeinnützige Arbeit für Langzeitarbeitslose
Die AfD geht in ihrem Parteiprogramm kaum explizit auf Hartz IV ein. Es heißt lediglich: "Der Selbstbehalt bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II ist sanktionsfrei zu erhöhen."
Die Partei fordert außerdem, dass die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I an die Dauer der Vorbeschäftigung gekoppelt wird und schlägt sogenannte Bürgerarbeit vor: Langzeitarbeitslose sollen rund 30 Stunden pro Woche einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgehen können und dafür vom Staat sozialversicherungspflichtig entlohnt werden. (mcf/dpa/afp)
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