Putin-Kritiker gegen Russland-Versteher: Die Rollen zwischen den Journalisten Udo Lielischkies und Theo Sommer waren bei "Hart aber fair" am Montagabend klar verteilt. Dazwischen sorgte Schriftsteller Wladimir Kaminer mit seinen oft ironisch klingenden Analysen für Verwunderung.
Nach dem Giftanschlag gegen den Oppositionellen Alexei Nawalny sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland auf einem neuen Tiefpunkt. Nicht wenige sehen im Kreml-Herrscher Wladimir Putin einen skrupellosen Diktator, der Feinde aus dem Weg räumt.
Müssen nun also neue Sanktionen her? Oder sollten wir uns mit Russland arrangieren? Über diese Fragen diskutierte Moderator
Wer sind die Gäste?
Peter Altmaier : Der Bundeswirtschaftsminister (CDU) wollte ein Ende der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 nicht ausschließen, wenn sich Russland weiter der Aufklärung des Giftanschlags gegen Nawalny entzieht. Einerseits sei "nicht die Zeit um irgendetwas auszuschließen, sonst würden wir uns selbst schwächen." Andererseits müsse man aber grundsätzlich überlegen, "dass wir mehr erreichen können, wenn wir nicht mit allen Ländern brechen". Außerdem ist es Altmaier wichtig, den Dialog gerade mit der russischen Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten.Annalena Baerbock ist eine erklärte Gegnerin von Nord Stream 2, weil die Pipeline darauf ausgelegt sei, Europa zu spalten. Die Grünen-Bundesvorsitzende hält deshalb Sanktionen für ein probates Mittel. Als Beispiel nannte sie die Ukraine, wo Sanktionen gegenüber Russland ein weiteres Vordringen der pro-russischen Truppen verhindert hätten. Im Fall Belarus wünscht sich Baerbock eine klare Sprache der Europäer in der OSZE.- Theo Sommer: Der frühere Chefredakteur und Herausgeber der "Zeit" sieht das mögliche Ende von Nord Stream 2 skeptisch. Man dürfte sich "nicht sich selbst ins Bein schießen", forderte der 90-Jährige. "Wir brauchen dieses Gas" – ein Verweis auf den Atomausstieg sowie das nahende Ende des Braunkohle- und Steinkohleabbaus. Sommer plädierte für einen Ausgleich mit Russland, verurteilte aber auch den Nawalny-Anschlag scharf.
- Wladimir Kaminer: Der in Russland aufgewachsene Schriftsteller und Kolumnist warf den westlichen Demokratien vor, durch enge wirtschaftliche Beziehungen Russland und anderen Autokratien überhaupt die Lebensgrundlage zu liefern. Der einzige Weg für Putin an der Macht zu bleiben, seien solche "kriminellen Taten" wie der Giftanschlag auf
Nawalny . Dazu gibt es ohne offenen politischen Wettbewerb in den Augen Kaminers keine Alternative. "Gekauft, geschlagen, eingesperrt, umgebracht": So beschrieb er den Umgang mit Oppositionellen in Russland. - Udo Lielischkies: Der frühere Leiter des ARD-Studios in Moskau machte den Kreml direkt für den Anschlag auf Nawalny verantwortlich. Für ihn steht außer Zweifel, welche Handschrift eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok trägt: "die des Kreml". Lielischkies forderte ein schärferes Vorgehen gegen Geldwäsche, um die russischen Eliten zu treffen. Und er sprach sich für das Ende von Nord Stream aus. In Russland habe es 20 Jahre eine Entwicklung weg von den westlichen Werten gegeben. Sein Fazit: Reden hat nichts gebracht, nun müssen Taten her.
Was war das Rededuell des Abends bei "Hart aber fair"?
Lielischkies, der Kreml-Kritiker und Sommer, der Russland-Versteher: Das musste zwangsläufig knallen, wenn auch auf dem Niveau zweier gesetzter Herren. "Es war immer schon etwas teurer, morgens in den Spiegel schauen zu können", sagte Lielischkies in Anspielung auf die höheren Preise des US-Gases, dass Deutschland als Ersatz für russisches Gas beziehen könnte. Sommer entgegnet: "Wenn wir nur mit Staaten umgehen, deren Moral wir billigen, stünden wir relativ alleine in der Welt."
Am Rande sei daran erinnert, dass der Westen die Moral beim Export von Rüstungsgütern an fragwürdige Regimes oder dem Drohnen-Krieg im Nahen Osten gerne mal im Keller lässt.
Was war der Moment des Abends?
Männer jenseits der 90 in Talkshows? Da erinnert man sich höchstens an den verstorbenen Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der – in seinen letzten Lebensjahren bevorzugt bei Sandra Maischberger – immer etwas knorrig und launisch daher kam und seine berüchtigten Menthol-Zigaretten kettenrauchte.
Theo Sommer kam ohne derlei Allüren aus. Mit scharfem Verstand und klaren Formulierungen legte der "Zeit"-Journalist einen beeindruckenden Auftritt hin. Und wie ein Einspieler aus den 1660ern zeigte, ist er sogar seinen Prinzipien treu geblieben: den Ausgleich zur Sowjetunion beziehungsweise zu Russland suchen.
Wie hat sich Frank Plasberg geschlagen?
Mal wieder ein stärkerer Auftritt des Gastgebers, der beim Kreml-Bashing Lielischkies einhakte. "Da ist viel Konjunktiv dabei", sagte Plasberg zu den Ausführungen des Journalisten, der klang als habe er Putin persönlich gesehen, wie er das Gift in den Teebecher Nawalnys träufelte.
Humor kann Plasberg sowieso. "Da bin ich jetzt wie ein kleiner Diktator und sage nein", bügelte er einen Redeversuch Kaminers ab. Ein wenig düpieren konnte ihn nur Grünen-Politikerin Baerbock, die auf seine Frage nach der "toxischen Männlichkeit" eines Alexander Lukaschenko mit Maschinengewehr-Pose nicht einging.
Was ist das Ergebnis von "Hart aber fair"?
Eine Sendung, bei der am Ende fleißig in die Glaskugel geschaut wurde. "Vielleicht müssen wir Putin aussitzen so wie wir Donald Trump aussitzen müssen", orakelte Theo Sommer. Ein Staat wie Russland könne sich allerdings hinschleppen und hinschleppen. Wobei der US-Präsident nur noch maximal vier Jahre gewählt werde darf, deutlich weniger als Putin.
Wladimir Kaminer wollte nicht ausschließen, "dass wir eines Tages einen Präsidenten Nawalny haben". Um sogleich zu relativieren: Auch der gerade aus dem Koma erwachte Kreml-Kritiker würde die Krim nicht zurückgeben, auch er würde russische Interessen vertreten und Russland als Großmacht erhalten wollen – nur mit mehr Freiheiten für die Bürger. Ohnehin ist unklar, ob Nawalny überhaupt wieder ganz gesund wird.
Kaminer glaubt zudem, dass das russische Volk mit Putin (faktisch seit 21 Jahre an der Spitze Russlands) nicht so lange Geduld haben wird wie die Belarussen mit Lukaschenko (seit 26 Jahre Staatschef von Belarus). Peter Altmaier hält alles für möglich: dass Putin noch zwei oder 20 Jahre regiert. Daher sei es wichtig, auch an die ganz normalen Russen zu denken und den Draht zur Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten. Erst Recht in Zeiten, in denen das Verhältnis zum Präsidenten einen neuen Tiefpunkt erreicht hat.
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