Deutschland macht sich locker, bei "Maischberger" ist davon nichts zu merken. Verbissen diskutieren die Gäste, ob der Weg in die Öffnung der richtige ist. Ein SPD-Mann und FDP-Chef Lindner verbeißen sich regelrecht ineinander.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Was ist dieser 6. Mai 2020 für ein Tag gewesen? "Ein besonderer Tag", sagt Sandra Maischberger zu Beginn ihrer Sendung, die von den Ereignissen des Nachmittags kurzfristig in die Primetime gespült wurde: Deutschland macht sich wieder locker und auf den langen Weg Richtung Normalität, darauf haben sich Bund und Länder in einer intensiven Telefonschalte verständigt. Wie in der Politik ist es aber auch bei "maischberger. die woche" sehr schnell vorbei mit der Einigkeit.

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Das sind die Gäste bei "maischberger. die Woche"

TV-Moderator Johannes B. Kerner darf sich zur Nachricht des Tages für Fußballfans äußern: Die Politik hat Geisterspiele in der Bundesliga erlaubt. Als Fan habe er "Lust, Fußball zu sehen", sagt Kerner. Aber: Wie solle man Kindern, die nicht mit ihren Kumpels im Park kicken dürfen, die Erlaubnis für die Profis erklären? "Ich halte das für einen schwierigen Weg."

Das gilt für die gesamten Lockerungen, meint Eva Quadbeck von der "Rheinischen Post", die keinen Plan hinter den Lockerungen erkennen kann. "Jetzt wird alles panisch geöffnet", sagt die Parlamentsreporterin. Es fehle an einer Priorisierung: "Eigentlich hätte man vor der Wirtschaft auf Kindergärten und Schulen schauen müssen."

"Die Wirtschaft sind wir", hält Publizist Gabor Steingart dagegen. Wenn der Sozialstaat nicht mehr bezahlbar sei, werde es dramatisch für die Gesellschaft. Steingart hält die Lockerungen deswegen für "vernünftig" und gerade noch rechtzeitig, um in Kombination mit massiven Wirtschaftshilfen eine Situation wie in der "Great Depression" der 1930er Jahre zu vermeiden.

Weniger gnädig urteilt FDP-Chef Christian Lindner: "Die Lockerungen kommen 14 Tage zu spät." Nun dürfe die Regierung den Fehler nicht wiederholen und zu spät die Wirtschaft in Gang setzen: "Wir müssen jetzt die Muskeln anspannen, mit Sparprogrammen wird das nicht gelingen."

Den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach beschäftigt eher die Frage, wie sich Deutschland für den weiteren Verlauf der Pandemie rüsten kann. "Wir haben bisher Glück gehabt", sagt Lauterbach. Genauer: 80 Prozent Glück und 20 Prozent Disziplin. Nun brauche es eine Corona-App, mehr Tests und Masken. "Dann können wir auch mehr wagen."

Das ist der Moment des Abends

Für das Einzelgespräch schreitet Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ins Studio, begrüßt von einer frotzelnden Maischberger: "Den Applaus denken Sie sich bitte dazu." So viel zur Höflichkeit, mit zunehmender Dauer des Gesprächs nimmt die Gastgeberin den Merkel-Intimus enger in die Mangel, bis ihm die Hose immer weiter hochrutscht und den Blick auf seine nackten Waden freigibt.

Als die Rede auf den deutschen Corona-Flickenteppich kommt, flüchtet sich Altmaier in Phrasen. Vergeblich. Man müsse sich im Föderalismus zusammenraufen, sagt Altmaier. "Das ist heute mal nicht gelungen", entgegnet Maischberger und erinnert ihr Gegenüber an seine Warnung davor, dass die Länder durcheinanerlaufen wie auf dem Hühnerhaufen: "Heute ist Hühnerhaufen." - "Nein, heute ist Föderalismus." - "Wo ist der Unterschied?"

Im Akkord konfrontiert Maischberger ihren Gast mit Frage um Frage, bis Altmaier sich in Zeit und Maßstab vergaloppiert: Warum nicht die Kanzlerin im Falle des Falles die "Notbremse" ziehe, will Maischberger wissen. "Wenn Rom in existenzieller Not war", antwortet Altmaier, "dann haben sie einen Diktator bestimmt, der durfte entscheiden. Da haben wir uns dagegen entschieden, weil wir damit in der Geschichte keine guten Erfahrungen gemacht haben." Ja, Verschwörungstheorien haben gerade Hochkonjunktur – aber den Hinweis, dass Angela Merkel keine Diktatorin ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Gesucht – gefunden: Maischberger wollte ein Duell der verschiedenen Positionen in der Lockerungsdebatte bieten, viel besser als mit Christian Lindner und Karl Lauterbach hätte sie es nicht besetzen können. Der FDP-Chef spricht von einem "guten Tag" und einem überfälligen Strategiewechsel hin zu mehr Eigenverantwortung. Der studierte Epidemiologe Lauterbach sieht einen "gefährlichen Tag", an dem die Politik "über einen Punkt hinweggegangen ist, an dem man die Pandemie steuern hätte können." Während Lindner in Schweden ein Vorbild ausmacht, wettert Lauterbach über den "unverantwortlichen" Weg der Skandinavier. "Grob gesprochen werden ältere Menschen geopfert, damit man im Café sitzen kann, das finde ich ethisch nicht in Ordnung."

"Wirklich sehr zugespitzt", mosert Lindner und unterstellt Lauterbach "deutsche Überheblichkeit". Nur eine von vielen kleinen Sticheleien, die sich die Duellanten über den Sicherheitsabstand hinweg liefern – ohne dabei respektlos zu werden. Und ohne sich aus Prinzip zu widersprechen, wo Einigkeit besteht. Vorbildlich in allen Belangen.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Das Verdienst gebührt auch der Gastgeberin, die den Stellvertreterkrieg mit inhaltlichen Interventionen in geordnete Bahnen lenkt. So erklärt Lauterbach, warum er Eigenverantwortung nicht ablehnt, die Lockerungen aber trotzdem für falsch hält ("Wir setzen die falschen Signale. Wir tun so, als sei das nur eine Grippe, die wir überstanden haben.").

Und Lindner macht konkrete Vorschläge: Das Steuerjahr 2019 und 2020 zusammenfassen, Steuerreform, und "bitte nicht eine Abwrackprämie" für einzelne Branchen, sondern breitflächige Entlastungen und massive Investitionen in die Digitalisierung.

Das ist das Ergebnis

Ob die Lockerungen wirklich so eine gute Idee sind, was für ein Tag dieser 6. Mai nun wirklich war, das wird erst die Rückschau zeigen. Schon jetzt lässt sich aber trefflich diskutieren, was er für das politische Berlin bedeutet. "Keine 5. Amtszeit für Merkel", meint Gabor Steingart, wobei seine Kollegin Quadbeck bezweifelt, dass eine weitere Legislaturperiode je ernsthaft in Betracht gekommen ist.

Als Erfolg kann sich Merkel die Beschlüsse jedenfalls nicht anrechnen, in allen Punkten außer der "Notbremse" habe sie sich nicht durchgesetzt, fasst Quadbeck zusammen. "Sie ist umgefallen, aber elegant.", meint Steingart – und immerhin habe sie die Verantwortung an die Ministerpräsidentinnen delegiert: "Wenn was schief geht, ist sie es nicht gewesen."

Besonders einer habe die verzwickte Lage der Kanzlerin antizipiert, sagt Quadbeck: Markus Söder, der Dienstag mit seinem Bayern-Plan in die Koalition der Ungeduldigen eingetreten war. "Er hat sich wieder abgesetzt von Merkel, weil er wusste, sie wird verlieren heute. Da kann mir keiner erzählen, dass das nicht was mit der Machtfrage in der Union zu tun hat." Hach ja, was waren das für Zeiten, in denen Maischberger mit dieser Diskussion eine ganze Sendung füllen konnte.

Aber immerhin: Der Blick richtet sich wieder in die Zukunft. In der Frage der Konjunkturmaßnahmen lässt Peter Altmaier durchblicken, dass er eine Kaufprämie nur für E-Autos ablehnt. Gabor Steingart warnt davor, zu viel Geld in die analoge Wirtschaft zu pumpen, die ohnehin unter Druck steht.

Eva Quadbeck bricht eine Lanze für den Immunitätsausweis, den Jens Spahn einfach nur zu früh in die Debatte eingebracht habe. Und Karl Lauterbach verlangt immer wieder nach dieser ominösen App, die so langsam zur Fata Morgana der Corona-Krise wird. Alles Themen, die verstärkt diskutiert werden müssen, jetzt, da das Leben mit Corona beginnt.

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