Kann die Ampel nach dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl noch so weitermachen wie bislang? Bei "Maischberger" war sich die Runde am Dienstagabend (11. Juni) einig: Nein. Aber was muss sich ändern? Während aus Sicht von Journalist Sergej Lochthofen nichts an einem Personalwechsel an der Spitze vorbeiführt, empfahl der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff den intensiveren Austausch mit der Jugend. Im Laufe der Sendung nannte er ein Datum, welches sich alle im Kalender notieren sollten.

Eine Kritik
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Am vergangenen Sonntag fand in Deutschland die Europawahl statt – zwei Tage später gaben die Wahlergebnisse bei "Maischberger" Anlass zu Diskussionen. Die Rechten konnten europaweit an Stimmen dazugewinnen, in Deutschland fuhr die Kanzlerpartei SPD eine historische Pleite ein. Was muss die Ampel-Regierung nun ändern, welche Konsequenzen ziehen? Nur eine der Fragen bei "Maischberger".

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Das ist das Thema bei "Maischberger"

Die Sendung war mit zwei großen Fragen überschrieben: "Was folgt aus der Europawahl?" und "Muss Deutschland seinen Kurs bei Abschiebungen ändern?" Dabei sprach Sandra Maischberger unter anderem mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff über das Wahlverhalten junger Wähler. Im zweiten Teil der Sendung ging es um den Umgang mit straffällig gewordenen Asylbewerbern, Verhandlungen mit den Taliban in Afghanistan und die Grenzen der Kommunen in Sachen Migration.

Das sind die Gäste

  • Christian Wulff (CDU): Der Bundespräsident a. D. analysierte: "Junge Leute kriegen mit, wie die Gesellschaft diskutiert. Und sie diskutiert nicht mit Lust auf Zukunft, mit Freude, mit Optimismus. Alle sagen eigentlich: Wir sind am Ende und alle überholen uns." Wenn man vermeiden wolle, dass junge Menschen wieder die Erfahrungen von Krieg, Hass, Hetze und der Verfolgung von Minderheiten machen müssten, müsse man ihnen davon erzählen, wie es einmal war. "Diese Aufgabe haben wir in der Erwachsenenwelt nicht ausreichend erkannt, dass man bestimmte Dinge weitergeben muss."
  • Boris Palmer: Der Oberbürgermeister von Tübingen äußerte sich zur Migrationsdebatte: "Wir regeln Konflikte in unserer Gesellschaft nicht mehr mit dem Faustrecht. In Afghanistan, in Eritrea, in Saudi-Arabien und vielen Ländern, wo die Menschen herkommen, ist das noch nicht so weit." Der Transfer sei für viele schwierig. "Vor acht Tagen hat ein arbeitsloser Mann aus Eritrea die Sachbearbeiterin mit dem Messer bedroht – am nächsten Tag ist der frei", so Palmer. So verstehe er nicht, dass der Staat seine Beschäftigten schütze. "Wir müssen viel früher intervenieren und sagen: Wer Vertreter unseres Staates angreift, der hat hier leider kein Aufenthaltsrecht", forderte Palmer.
  • Janine Wissler (Linke): "Das Wahlergebnis in ganz Europa hat gezeigt, dass es eine falsche Strategie ist, zu glauben, man könnte den Rechten das Wasser abgraben, wenn man ihre Themen übernimmt", so die Parteivorsitzende. Die Debatte über Abschiebungen sei eine "Ablenkungsdebatte" über die realen Probleme, die es in der Gesellschaft gebe. "Hier werden Menschen zu Sündenböcken gemacht, das ist total gefährlich."
  • Anna Planken: Die "ARD"-Moderatorin kommentierte das "Nein" von Olaf Scholz, der nach der Wahl in einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob er sich zum Wahlergebnis äußern wolle: "Das kann man einer Bevölkerung, die so voller Frust ist, nicht einfach entgegenwerfen." Durch die ganze Kanzlerschaft ziehe sich ein rotziges "Ich weiß es besser, ihr versteht das nicht". Das sei schwer zu verkaufen.
  • Nikolaus Blome: "Stand jetzt ist die Bevölkerung durch mit dieser Regierung. Wenn vielfach von Neustart die Rede ist, fragt man sich in welche Richtung", so der Politikchef von RTL/n-tv. Das Auswechseln des Kanzlers sei nicht ausreichend, das Problem sei die gesamte Regierung. "Die SPD war mal eine Arbeiterpartei, das ist sie nicht mehr", analysierte er.
  • Sergej Lochthofen: "Bevor die SPD die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr nimmt, muss sie Personaländerungen vornehmen. Olaf Scholz kann das nicht mehr weitermachen, der kann das nicht mehr anderthalb Jahre durchhalten", so der Journalist. Er sei nicht für Neuwahlen, aber die SPD müsse an der Spitze etwas tun. "Es ist der falsche Mann zur falschen Zeit am falschen Ort", urteilte Lochthofen. Den Kanzler auszuwechseln, würde wieder Schwung ins Land bringen – möglicher Kandidat sei Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Maischberger
Boris Palmer (Tübingens Oberbürgermeister, parteilos) und Sandra Maischberger diskutierten über Abschiebungen auch in Kriegsgebiete. © WDR/Oliver Ziebe

Das ist der Moment des Abends bei "Maischberger"

"Wir brauchen Zuwanderung und wir werden auch am Ende eine positive Bilanz ziehen der eine Million Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind", sagte Wulff. "Ich rate, den 4. September 2040 im Kalender zu notieren", sagte der frühere Bundespräsident. "Dann wird es in den dann noch existierenden Fernseh- und Internetmedien Sondersendungen geben zu 25 Jahren Nicht-Schließung der Grenzen Deutschlands", sagte er. Man werde sagen: "Wir haben, wie bei der deutschen Einheit, am Anfang völlig überrascht reagiert, wir haben viele Fehler gemacht, aber am Ende können wir uns auf die Schulter klopfen, dass wir Menschen, die in Ungarn an Zäunen gerüttelt haben, mit Kleinkindern in unser Land gelassen haben." Man werde Forscher, Entwickler, Busfahrer, Olympia-Sieger und Schaffner haben.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Maischberger hatte die Frage nach Begrenzung des Zuzugs gestellt. "Es ist eine Frage, was Sie leisten können und wollen", sagte Palmer. In den Schulen würden die Leistungen sinken und es gebe mehr Gewalt auf dem Schulhof. "Kindergartenplätze gibt es zu wenig, weil zu viele Menschen dazukommen, die nicht eingeplant waren. Sie kriegen beim Arzt kaum noch einen Termin, Wohnungssuche ist in vielen Städten eine Katastrophe. Wenn in Baden-Württemberg in einem Jahr 1.100 Sozialwohnungen gebaut werden, aber 180.000 Menschen über Asyl- und Schutzstatus dazukommen, was gibt es dann außer Hauen und Stechen auf dem Wohnungsmarkt?"

Linken-Chefin Wissler hielt dagegen: "Sie benennen Probleme, die es real gibt, aber machen die vollkommen Falschen dafür verantwortlich." Geflüchtete könnten nichts für lange Wartezeiten beim Arzt, es gebe aber einen riesigen Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten. Man brauche realistische Lösungsvorschläge für die Probleme – etwa Mietendeckel und die Bekämpfung von Fluchtursachen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Maischbergers Moderation an diesem Abend war ein Selbstläufer. In puncto Migration und Abschiebungen reichten stets ein paar Stichworte, um die Debatte in Gang zu bringen. Auch bei der Analyse der Wahlergebnisse ging ihr die Moderation leicht von der Hand: Sie fragte beispielsweise: "Sigmar Gabriel hat gesagt: 'Die Bevölkerung ist durch mit dieser Regierung' Stimmen sie zu?" An anderer Stelle wollte sie wissen: "Was macht die AfD so attraktiv?"

Das ist das Ergebnis bei "Maischberger"

Dass die Ampel-Koalition nach der Europawahl so nicht weitermachen kann, wurde auch an diesem Abend noch einmal gebetsmühlenartig wiederholt. Spannend waren daher die anderen Ergebnisse: Wenn die FDP beim "Nein" zur Schuldenbremsen-Aufweichung bleibt, gibt es immer noch eine Nottür: Man könnte "Sonderlagen" wie bei der Ahrtal-Flut definieren. Den Parteien, die die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen wollen, fehlt ein Narrativ, wie der Krieg konkret enden könnte.

Die Mehrheit der Runde sprach sich für Abschiebungen auch in Kriegsgebiete aus. Strafverschärfungen seien unabdingbar, so Palmer. Derzeit würden oft die Falschen abgeschoben – nämlich Menschen mit Arbeitsplatz anstatt serienmäßig Kriminelle.

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