Es war die letzte Sendung des beliebten Talk-Formats "Anne Will". Zum Schluss ging es noch einmal um die ganz großen Linien in der Politik – von EU-Reform bis Zwei-Staaten-Lösung. Wirtschaftsminister Habeck warnte dabei in einem Punkt: "Das ist ehrlos, wenn wir das jetzt tun würden" und Zukunftsforscherin Gaub machte ein typisch europäisches Problem aus. Die emotionalen Schlussworte jedoch galten Moderations-Ikone Will.

Eine Kritik
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Noch einmal widmete sich Anne Will den drängendsten Themen der Woche. Dazu zählte: Israel weitet seinen Einsatz aus und ist mit Bodentruppen auch im südlichen Teil des Gazastreifens aktiv. Und: Die Beratungen über den Bundeshaushalt 2024 laufen immer noch – Habeck hat deshalb sogar seine Reise zur Weltklimakonferenz nach Dubai abgesagt.

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Das ist das Thema bei "Anne Will"

Bei Anne Will ging es in der letzten Sendung darum, noch einmal zusammenzukehren, was es in diesem Jahr an großen Krisen, an großen Linien, an großen Kriegen gab. Damit gemeint war der Krieg in der Ukraine, der Krieg in Nahost, das schwindende Vertrauen in die Bundesregierung und die Klimakrise. Titel der Sendung: "Die Welt in Unordnung – ist Deutschland den Herausforderungen gewachsen?"

Das sind die Gäste

  • Robert Habeck (Grüne): "Wir sitzen hier im gut geheizten Studio, während die Menschen im Schützengraben in der Ukraine liegen und sterben", so der Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Die Bundesregierung habe der Ukraine versprochen, nicht von ihrer Seite zu weichen. Man dürfe die Ukraine jetzt nicht hängen lassen. "Das ist ehrlos, wenn wir das jetzt tun würden", so Habeck. Die diplomatische Beratung dürfe die Ukraine nicht bevormunden.
  • Navid Kermani: Der Schriftsteller sagte mit Blick auf die Rolle des Westens in Afghanistan: "Die Versprechungen waren nichts wert." Das, so fürchtete er, könne auch für die Ukraine gelten. "Je länger der Krieg dauert, desto mehr schwindet die Unterstützung auch in den Bevölkerungen", beobachtete er. Außerdem stehe die Präsidentschaftswahl in den USA an. Man sehe bereits jetzt, wie die Republikaner Front machen gegen die Unterstützung der Ukraine. "Wir müssen damit rechnen, dass spätestens in einem Jahr die Verhältnisse sich fundamental wandeln", warnte er. Das Zeitfenster bis zur Wahl müsse man nutzen.
  • Florence Gaub: Europa habe sich im Vorfeld des Ukraine-Krieges zu wenig in die andere Seite – Russland – hineinversetzt. "Das ist ein typisch europäisches Problem", so die Zukunftsforscherin. Es sei gut möglich, dass Russland in Zukunft andere Fronten aufmache, etwa in Moldawien oder Georgien. Über die voraussichtliche Länge des Krieges sagte sie: "Die meisten Ukrainer, auch die kriegsmüden, sind aktuell nicht bereit, den Krieg jetzt einfach zu beenden und Russlands Konditionen nachzugeben."
  • Raphael Gross: Der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum sagte: "Wir haben alle den Eindruck, dass Rechtsstaatlichkeit, Institutionen, demokratische Einrichtungen, Menschenrechte unter Druck sind." Einige der europäischen Länder hätten sich schon weit von Rechtsstaatlichkeit entfernt. "Wir haben hier schon nicht mehr einfach den Westen, gegen den Süden, den Osten oder China und so weiter", merkte Gross an. Ein Menschenrechtsaktivist, der in Shanghai kämpfe, sei vielleicht westlicher als ein Viktor Orban oder ein Donald Trump.

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Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Florence Gaub sprach über Lösungen im Nah-Ost-Konflikt. Das Abriegeln des Gazastreifens sei keine Option mehr. "Israel will aber auch nicht reingehen und den Gazastreifen besetzen", erinnerte sie. Es müsse einen Regierungswechsel auf palästinensischer Seite geben, eventuell auch auf israelischer Seite. "Dann ist der Weg frei wieder für neue Diskussionen", sagte sie mit Blick auf eine Zwei-Staaten-Lösung.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Habeck äußerte sich zum Reformbedarf der EU und der Notwendigkeit, mehr Verantwortung nach Brüssel zu geben, wenn man in der Welt einen Unterschied machen wolle. Zur Entschuldigung sagte er: "Wir sind umzingelt von Wirklichkeit. Der ganze Tag ist bedrängt von akuten Problemen, die sofort gelöst werden müssen." Man könne die Ukraine nicht so lange hängenlassen, bis man Europa neu konstituiert habe.

Kermani schaltete sich ein: "Herr Habeck, das hören wir mindestens seit der Finanzkrise, eigentlich seit dem gescheiterten Verfassungsreferendum." Europa stolpere von einer in die nächste Krise. "Da muss man sich doch fragen, was ist der Grund?", sagte Kermani. So wie der Rahmen sei, funktioniere Europa nicht.

Das gebe den Europa-Feinden Material, zu argumentieren, man müsse es national lösen. Es sei ein Versagen der deutschen Politik, dass man auf Macrons Vorschläge zur Neugestaltung Europas, die er kurz nach seiner Wahl gemacht hatte, nicht einmal geantwortet habe. Gaub widersprach noch einmal: Moldawien, die Ukraine und weitere Länder wollten alle Mitglieder der EU werden, erinnerte sie. "Das Modell zeigt sich als sehr attraktiv." Die Strukturen hätten jedoch gewuchert.

So hat sich Anne Will geschlagen

Auch in der letzten Sendung erlebte man eine Anne Will, wie man sie kennt: kritisch, schlagfertig und direkt. Sie wollte beispielsweise wissen, ob die Ampel für 2024 wieder eine Notlage erklären werde und die Schuldenbremse aussetzen werde. In diesem Zusammenhang sagte Habeck: "Ich bin ganz optimistisch, dass wir auf gutem Weg sind, uns zu einigen." Will hakte nach: "Heißt aber nicht, dass Sie sicher sind, dass Sie sich einigen?". Daraufhin Habeck: "Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich wiederhole, dass ich glaube, dass wir gut vorankommen." Will sagte: "Ich bin erschüttert Herr Habeck, Sie sagen uns damit, dass es sein kann, dass es nicht klappt."

Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"

Eine wichtige Take-Home-Message formulierte Autor Kermani, als er beschrieb, man müsse aus dem "Wir und ihr" herauskommen. "Ich bin nicht gegen Israel, wenn ich sage, die Palästinenser müssen zu ihrem Recht kommen", erinnerte er als Beispiel. Wichtigstes Ergebnis blieb aber das Ende einer Moderations-Ära. "Danke Ihnen für 16 Jahre Aufklärung, das war schon stilprägend", sagte Habeck zum Schluss. Und Will, den Tränen nahe, beteuerte: "Mir war das eine Freude und ich sage das auch, wenn es ein bisschen pathetisch klingen mag, es war mir auch eine echte Ehre."

Verwendete Quellen

  • ARD: Sendung "Anne Will" vom 03.12.2023
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