Die gezielte Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch einen Raketenangriff der USA schürt Sorgen vor einem neuen Krieg im Nahen Osten. Die Koalition gegen die Terrormiliz IS zieht Konsequenzen - von denen auch die Bundeswehr im Irak betroffen ist. Claudia Roth geht dieser Schritt nicht weit genug.

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Nach der Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani bei einem US-Raketenangriff in Bagdad setzt die Bundeswehr die Ausbildung von Sicherheitskräften der Kurden und der Zentralregierung im Irak aus.

Eine entsprechende Entscheidung habe das Hauptquartier der Koalition gegen die Terrormiliz IS zum Schutz der eigenen Kräfte getroffen, teilte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr den Obleuten im Verteidigungsausschuss des Bundestages am Freitagabend mit. Dies sei für alle beteiligten Partnernationen bindend. "Damit ruht vorübergehend die Ausbildung für die irakischen Sicherheits- und Streitkräfte im gesamten Irak", hieß es in der Unterrichtung.

Zuvor waren schon im Zentralirak die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Das Hauptquartier der Militärkoalition ordnete dort Einschränkungen für Bewegungen am Boden und in der Luft an.

Roth: Trump geht "unverantwortlichen Schritt"

Die Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth hält die Aussetzung für nicht ausreichend. Den Einsatz auszusetzen sei die "einzig richtige Entscheidung", sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Nun muss die Mission im Lichte jüngster Entwicklungen grundlegend auf den Prüfstand."

Alle seien gefragt, eine diplomatische Lösung zu suchen. "Auch für die Bundesregierung muss es oberste Priorität sein, der Spirale von Gewalt und Gegengewalt im internationalen Verbund möglichst noch diplomatischen Einhalt zu gebieten", forderte Roth.

Der berühmt-berüchtigte General Soleimani sei verantwortlich gewesen für eine aggressive Außenpolitik und etliche Menschenrechtsverletzungen; außenpolitisch sei er machtvoller gewesen als der iranische Präsident, sagte Roth. "Die Reaktion auf seine Tötung droht, entsprechendes Ausmaß anzunehmen." Trump gehe mit den gezielten Tötungen der letzten Tage "einen weiteren unverantwortlichen, vermutlich völkerrechtswidrigen Schritt in einem Kreislauf ohnehin unverantwortlicher Eskalation beider Seiten".

"Counter Daesh": 415 deutsche Männer und Frauen im Einsatz

Das deutsche Kontingent für den internationalen Einsatz gegen den IS ("Counter Daesh") zählt derzeit 415 Männer und Frauen. Geführt wird es aus Jordanien, wo davon rund 280 Soldaten stationiert sind. Knapp 90 Bundeswehrleute sind im nordirakischen Kurdengebiet im Einsatz, um dort kurdische Kräfte auszubilden. Ihre Schulungen ruhen nun.

Im Militärkomplex Tadschi, 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad, sind derzeit 27 Bundeswehrsoldaten für die Ausbildung irakischer Kräfte im Einsatz. Zudem gibt es im Hauptquartier der Anti-IS-Koalition in Bagdad fünf deutsche Soldaten.

Grünen-Chefin fordert sofortige Evakuierung aller deutschen Truppen

Derweil forderte Grünen-Chefin Annalena Baerbock, alle deutschen Soldaten aus dem Irak herauszuholen. "Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran eskaliert dramatisch", sagte Baerbock der Deutschen Presse-Agentur. Damit sei die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten im Irak nicht mehr zu gewährleisten. "Wir fordern die Bundesregierung inständig auf, die sofortige Evakuierung aller deutschen Truppen einzuleiten." Am Irak-Einsatz jetzt festzuhalten, wäre "schlicht unverantwortlich".

Soleimani, Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden, war in der Nacht zu Freitag bei einem US-Raketenangriff nahe dem Flughafen der irakischen Hauptstadt Bagdad getötet worden. Das US-Verteidigungsministerium teilte mit, der Angriff sei auf Anweisung von Präsident Donald Trump erfolgt, um weitere Angriffe auf US-Diplomaten und Einsatzkräfte zu verhindern.

Luftangriff auf Fahrzeuge nördlich von Bagdad

Nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad gab es am frühen Samstagmorgen einem Bericht zufolge einen Luftangriff auf Fahrzeuge. Es werde davon ausgegangen, dass darin hochrangige Mitglieder schiitischer, vom Iran unterstützter Milizen gewesen seien, berichtete die Webseite Al-Sumaria unter Berufung auf Sicherheitskreise. Bei den Milizen handele es sich um Volksmobilisierungseinheiten von Al-Hadsch al-Schaabi.

Die Miliz stritt ab, dass hochrangige Mitglieder getötet worden seien. Betroffen sei eine Gruppe Sanitäter, die der Miliz angeschlossen sei. Weitere Informationen über Opfer gab es zunächst nicht. Auch die USA äußerten sich nicht.

Ajatollah Ali Chamenei droht mit "schwerer Rache"

Die iranische Führung hatte nach der Tötung Soleimanis Vergeltung angekündigt. Ajatollah Ali Chamenei schrieb am Freitag in einem Beileidsschreiben, die Urheber der Attacke erwarte "eine schwere Rache".

Die USA wiederum bezeichneten Soleimanis Tötung als Akt der Selbstverteidigung. Trump sagte am Freitag bei einem bizarren Auftritt vor evangelikalen Unterstützern in Miami, die USA strebten nach Frieden und Harmonie. "Wir sind eine friedliebende Nation." Soleimani habe an "finsteren" Angriffsplänen gegen US-Ziele gearbeitet und sei deshalb ausgelöscht worden.

Trumps Sicherheitsberater: Weiteres Blutvergießen soll durch Angriff verhindert werden

Auch Trumps nationaler Sicherheitsberater, Robert O'Brien, verteidigte den Schritt. "Dies sollte weiteres Blutvergießen verhindern", sagte er am Freitag (Ortszeit). O'Brien betonte zugleich: "Die Vereinigten Staaten lassen sich nicht einschüchtern durch Drohungen unserer Gegner."

Wegen der neuen Spannungen verlegen die USA zusätzlich mehrere Tausend Soldaten in die Region. Sie würden angesichts der gestiegenen Bedrohungslage als "Vorsichtsmaßnahme" in Iraks Nachbarland Kuwait stationiert, hieß es am Freitag aus dem US-Verteidigungsministerium. Übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge handelte es sich um bis zu 3500 Soldaten. Das Pentagon nannte zunächst keine genaue Zahl.

In den USA ist die Militäroperation gegen Soleimani umstritten. Hochrangige Republikaner sprangen ihrem Parteifreund Trump zur Seite und verteidigten die Aktion als gerechte Strafe für einen Feind der USA. Führende Demokraten warfen der Regierung dagegen vor, ohne Zustimmung des Kongresses gehandelt zu haben und warnten vor den möglichen Folgen der Eskalation. Auch international löste die Aktion große Sorge aus - und Angst vor einem neuen Krieg in Nahost. (mbo/dpa)  © dpa

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