Nach dem Aus der Ampelkoalition kommen die Bundestagswahlen früher als geplant. Matthias Miersch, Generalsekretär der SPD, sieht seine Partei trotz schlechter Umfrageergebnisse vorn.
Matthias Miersch sitzt an einem runden Tisch im Willy-Brandt-Haus, er sieht müde aus und doch wirkt er entschlossen. Vor etwas mehr als einem Monat hat er das Amt des Generalsekretärs übernommen. Seither ist ein Beben durch das politische Berlin gegangen.
Die Ampelkoalition gibt es nicht mehr, übrig geblieben ist eine rot-grüne Minderheitsregierung. Knapp drei Monate hat
Nach dem Streit um diesen Termin ist es nicht ruhiger geworden. Im Gegenteil: Medienberichte haben die Pläne der FDP für ein kalkuliertes Ampel-Aus nach Drehbuch offenbart. Viele Debatten der vergangenen Monate wirken dadurch in ein anderes Licht gerückt. Miersch haben diese Enthüllungen sehr getroffen.
Herr Miersch, bereuen Sie es, den Posten des Generalsekretärs übernommen zu haben?
Matthias Miersch: Nein, überhaupt nicht. Es ist für mich eine Berufung und eine große Ehre, für meine Partei an dieser Stelle wirken zu können. Aber es ist auch eine große Herausforderung.
Direkt in Ihrem ersten Koalitionsausschuss ist die Ampelkoalition zerbrochen. Medienberichte legen nahe, dass die FDP zuvor ein Ende der Koalition geplant hatte. Haben Sie mit so etwas gerechnet?
Nein. Die Berichte haben mich wirklich schockiert und ich bin sehr enttäuscht. Ich kenne einige der Protagonisten persönlich, das trifft einen umso mehr. Und dann diese Begrifflichkeiten wie der D-Day. In einer Zeit, in der wir über Wirtschaftshilfen verhandeln. Das ist ein politischer und kultureller Tiefpunkt.
Wie geht Ihre Partei nun mit der FDP um?
Ich traue
Die SPD stellt mit den Grünen weiterhin eine Minderheitsregierung. Gleichzeitig sind nur noch drei Monate Zeit bis zur Neuwahl. Was wollen Sie jetzt noch umsetzen?
Es zeichnet sich gerade ab, dass die Union bei wichtigen Fragen doch konstruktiv zusammenarbeiten möchte – etwa bei der Sicherung des Deutschland-Tickets oder der Absicherung des Verfassungsgerichtes. Das begrüße ich ausdrücklich. Die anfängliche Totalblockade von
Wie sinnvoll ist es, einen Kanzler zu bewerben, der offenkundig weder Rückhalt in der eigenen Koalition noch in der Bevölkerung hat?
Dem will ich widersprechen.
Umfragen legen aktuell nahe, dass die Union einen massiven Vorsprung gegenüber der SPD hat. Woher kommt Ihr Optimismus?
Wir hatten solche Vorsprünge schon früher, etwa 2021 oder auch 2005. 2021 konnte die SPD an der Union vorbeiziehen, 2005 hat es nicht ganz für Platz 1 gereicht, die SPD ist aber sehr nah drangekommen. Solche Abstände sind mit einem strukturierten Wahlkampf wettzumachen.
Wären Sie für eine Große Koalition unter Friedrich Merz zu haben?
Ich will aktuell nicht um Koalitionen ringen, sondern alles dafür tun, dass die SPD so stark wie möglich abschneidet. Unabhängig davon müssen wir uns nur die Jahre vor der Ampel-Regierung anschauen: Da ging es an vielen Stellen nicht um Zukunft, sondern um Abwehrkämpfe gegen CDU und CSU, die viele Dinge verschlimmbessern wollten. Es gibt große Unterschiede zwischen uns und der Union: die Schuldenbremse, die Energiepolitik oder das Verständnis des Leistungsträgerbegriffs. Deswegen male ich mir im Moment nicht aus, in irgendeiner Form an eine Koalition zu denken.
Inzwischen wird auch offen über Boris Pistorius als Kanzlerkandidat gesprochen. Ist es denkbar, dass Olaf Scholz im Wahlkampf den Joe Biden macht?
Von diesem Vergleich halte ich nichts; zumal
Für vieles, was Sie in der verbleibenden Legislatur noch vorhaben, brauchen Sie unter anderem die Unterstützung der Union. Gleichzeitig läuft es wohl auf ein Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz hinaus. Wie wollen Sie im Wahlkampf diesen Spagat schaffen?
Für vieles sind wir glücklicherweise nicht nur auf die Union angewiesen. Vielleicht stimmt die FDP auch trotz des Bruches für ihre mitangestoßenen Projekte – etwa bei der Wachstumsinitiative. Und angesichts des absolut destruktiven Verhaltens der FDP in der Vergangenheit wäre dies ein gutes Zeichen der Wiedergutmachung. Vor allem in der Woche der Vertrauensfrage muss viel passieren, danach ist Wahlkampfmodus.
Wirtschaft wird wohl das Thema Nummer eins werden. Wie will die SPD da punkten, wenn sie es schon als regierende Kanzlerpartei nicht geschafft hat, die Wirtschaft in den vergangenen Jahren zu stabilisieren?
Dem würde ich widersprechen. Wir haben massive Stützungsprogramme für die Wirtschaft auf den Weg gebracht. Denken Sie an die Energiepreisbremsen. Und gerade jetzt hat der Kanzler doch die Sicherung von Industriearbeitsplätzen zur Chefsache gemacht. Natürlich müssen wir das weiter forcieren.
Und wie?
Wir müssen etwa die Energiepreise für die Wirtschaft wieder in den Griff bekommen. Dazu brauchen wir eine Stabilisierung der Netzentgelte. Gleichzeitig müssen wir das Thema Fachkräfte-Gewinnung, auch über qualifizierte Zuwanderung, vorantreiben – die Union sieht das anders. Zentral ist die Frage, wie handlungsfähig unser Staat ist – hier haben CDU und FDP ein ganz anderes Politikverständnis, da sie nur auf den Markt setzen wollen.
Fallen dann sozialer Zusammenhalt und Klima hinten runter?
Die drei Punkte funktionieren nicht isoliert. Das kritisiere ich immer wieder bei einigen Grünen: Sie lassen teilweise bei ökologischen Fragen den sozialen Zusammenhang außen vor.
In diesem Wahlkampf wollen die Grünen mehr auf soziale Gerechtigkeit setzen.
Das werden wir sehen. Ich finde es ja schon erstaunlich, dass die Grünen nun etwa das Thema Mieten für sich entdecken. Zur Erinnerung: In Schleswig-Holstein hat Schwarz-Grün die Mietpreisbremse abgeschafft. Ich will keinen Ausverkauf der ökologischen Themen. Am Ende müssen sozialer Zusammenhalt, Wirtschaft und Ökologie zusammengehen.
Inwiefern?
Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass die ökologische Seite bei den Grünen ohne ausreichenden Fokus auf den sozialen Zusammenhalt propagiert wurde. Auf der anderen Seite stehen CDU, CSU und FDP, die nur dem Markt nachgehen wollen. Die SPD steht dafür, die drei Komponenten zusammenzudenken.
Der Haushalt war die Sollbruchstelle der Koalition. Mit Blick auf die anhaltenden Krisen wird das auch weiterhin ein Streitpunkt bleiben. In Sachen Schuldenbremse haben Sie Friedrich Merz kürzlich die Hand gereicht. Was erhoffen Sie sich davon?
Friedrich Merz hat sehr deutlich bei einer Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, dass er sich eine Reform dieses Instruments vorstellen kann. Deshalb habe ich gesagt: Wir können hier wirklich sehr schnell noch etwas ändern. Dazu brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit. Da wir nicht wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse im nächsten Bundestag sind, ist es ein ernst gemeintes Angebot, das jetzt noch anzugehen. Leider wurde Friedrich Merz direkt von seinem Generalsekretär zurückgepfiffen. Seine CDU-Ministerpräsidenten sind da schon weiter.
All das klingt nicht sehr aufmunternd. Wenn wir auf die kommenden Jahre blicken, fällt die Jugend vermutlich auch weiterhin in Debatten hinten runter. Wie wollen Sie eine lebenswerte Welt für junge Menschen schaffen?
Dabei spielen drei Komponenten eine wichtige Rolle für mich: zunächst die Frage nach der Investition in die Zukunft, wie zum Beispiel Bildung. Da wurde zu wenig getan in der Vergangenheit. Aber auch die Klimafrage: Wie können wir die natürlichen Grundlagen schützen für alle nachfolgenden Generationen?
Und drittens?
Demokratie ist nicht selbstverständlich. Das sehen wir am Beispiel Donald Trump in den USA, aber auch im eigenen Land. Wir haben Demokratiefeinde, die in einigen Teilen Deutschlands inzwischen stärkste Kraft sind. Daher müssen wir uns wirklich fragen, wie wir hier künftig weiter frei leben können.
Über den Gesprächspartner:
- Matthias Miersch ist seit 1990 Mitglied der SPD, seit 2005 gehört er als Abgeordneter seiner Partei dem Bundestag an. Seit Oktober hat der Niedersachse kommissarisch den Posten des SPD-Generalsekretärs inne. Zuvor war der Fachanwalt für Strafrecht stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
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