36 Jahre im US-Senat, acht Jahre Vize von Barack Obama, vier Jahre Präsident. Joe Biden schaut auf eine außergewöhnliche Laufbahn zurück, die allerdings auch von fatalen Fehlentscheidungen und Aussetzern geprägt ist. Jetzt hat er sich dem massiven Druck der Demokraten gebeugt und ist aus dem Rennen um das Weiße Haus ausgestiegen. Was wird bleiben?

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Der Druck war am Ende zu groß. Die Opposition zu laut. Die Umfrageergebnisse zu schlecht. Die Zweifel, auch im inneren Kreis, zu nagend.

"Ich glaube, es ist im besten Interesse meiner Partei und des Landes, wenn ich mich zurückziehe", teilte Joe Biden am Sonntag mit. Er macht damit bei den Demokraten den Platz frei für die Präsidentschaftswahl im November. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Vizepräsidentin Kamala Harris antreten.

Man könnte Biden nun zugutehalten, dass er am Ende doch noch Einsicht zeigte. Immer wieder in den vergangenen Monaten hatte er betont, dass es ihm vor allem darum gehe, Donald Trump zu schlagen, dass er dafür der Richtige sei. Aus einem Verantwortungsgefühl für sein Land und seine Partei heraus, könnte man wertschätzend feststellen, habe Biden die Zeichen der Zeit erkannt.

Das wäre allerdings eine sehr wohlwollende Betrachtung. Und letztlich auch naiv.

Bidens späte Einsicht

Viel zu lange nämlich ignorierte Biden jene Zeichen der Zeit. Während die amerikanische Bevölkerung in den vergangenen Jahren in einer Umfrage nach der nächsten ihren Frust über seine Politik zum Ausdruck brachte, während auch die demokratische Basis immer wieder sein hohes Alter problematisierte, während zuletzt eigentlich alles gegen ihn sprach, blieb Biden stur bei seiner Überzeugung, dass er – und nur er – der richtige Kandidat für die Demokraten sei.

Mit anderen Worten: Biden klebte zu lange an der Macht. Damit verhinderte er, dass eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger ausreichend Zeit für den Wahlkampf hat. Und das, obwohl alle wissen, wie wegweisend dieses Duell mit dem rechtspopulistischen Trump für die ganze Welt ist.

Bidens Kleben an der Macht erklärt sich auch mit einem Blick auf seine lange Karriere. 1973 zog er für den Bundesstaat Delaware in den US-Senat ein, damals 30, als einer der jüngsten Senatoren in der Geschichte der USA. Bereits in den 70er-Jahren sprach Biden davon, einmal Präsident werden zu wollen.

1988 trat Biden dann zum ersten Mal in den Präsidentschaftsvorwahlen der Demokraten an, zog allerdings wegen einer Plagiatsaffäre wieder zurück. 2008 probierte er es erneut, musste sich jedoch geschlagen geben und wurde schließlich Barack Obamas Vizepräsident. 2020 versuchte es Biden ein drittes Mal, holte mit 81,2 Millionen Stimmen so viele Stimmen wie nie ein Präsidentschaftskandidat zuvor und schlug damit Trump. Endlich war Biden dort angekommen, wo er schon immer hinwollte: im Weißen Haus.

Bidens Bilanz: Historische Fehler, wichtige Reformen

Bidens politische Laufbahn ist von Höhen und vielen Tiefen geprägt. Als Senator befürwortete er den auf Lügen aufgebauten Irakkrieg, der Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Biden war über Jahrzehnte verdächtig mit der Kreditkartenindustrie verstrickt. Er ist auch einer der Hauptverantwortlichen für die sogenannte "Crime Bill", ein Gesetz, das der damalige Präsident Bill Clinton 1994 erließ und das dazu führte, dass Hunderttausende Amerikaner, primär People of Color, für minimale Vergehen im Gefängnis landeten.

Als Präsident kann Biden auf bemerkenswerte Reformen zurückblicken. Mit dem Infrastructure Investment and Jobs Act, dem Chips and Science Act und dem Inflation Reduction Act setzte er drei große Gesetzespakete durch, die umfassende Investitionen in industrielle und soziale Infrastrukturen, den Klimaschutz und High Tech bedeuten.

Biden hat zudem die Steuern für Reiche und Konzerne erhöht. Er zeigte sich in Solidarität mit Gewerkschaften, besuchte Streikposten. An einigen Punkten also lässt sich eine Abkehr von der neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte feststellen. Als "Bidenomics" wird seine Wirtschafts- und Finanzpolitik bezeichnet. In Bidens Amtszeit fiel allerdings auch der katastrophale Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan.

Opposition zur Nahostpolitik

Während Biden im Wahlkampf 2020 noch davon gesprochen hatte, ein "Übergangskandidat" sein zu wollen, war davon in diesem Wahlkampf nichts mehr zu hören. Er wollte seine Schwächen nicht wahrhaben, seine Position nicht abgeben. Zum großen Frust der Wähler, die in den vergangenen Jahren dabei zusehen konnten, wie sich Bidens körperliche Verfassung zunehmend verschlechterte. Kaum noch ein Interview ohne Aussetzer. Kaum noch ein Auftritt ohne Panne.

Auch politisch rückte Biden von seiner Basis ab – besonders durch seine Unterstützung des israelischen Kriegs in Gaza als Reaktion auf den Angriff der Hamas vom 7. Oktober. Bereits Ende vergangenen Jahres forderte ein Großteil der demokratischen Wähler, dass die US-Regierung Israel in Richtung Waffenstillstand lenkt. In Michigan, Minnesota und anderen Bundesstaaten taten sich Anfang des Jahres Wähler zusammen, um bei den Vorwahlen nicht für Biden, sondern für "unentschlossen" zu stimmen. Sie wollten damit Druck auf die Regierung aufbauen, um die finanzielle und militärische Unterstützung Israels zu unterbrechen. Doch Biden blieb stur und seine Beliebtheitswerte stürzten ab.

Das TV-Duell gegen Trump als Bruch

Bei der Rede zur Lage der Nation im März konnte Biden noch einmal Stärke demonstrieren. Er wirkte einigermaßen schlagfertig und streitlustig. Doch dieser eine Auftritt reichte nicht, um die großen Zweifel an seiner Tauglichkeit wegzuwischen.

Der Bruch kam mit der ersten TV-Debatte Ende Juni, bei der Biden ein desaströses Bild abgab. Immer wieder starrte er mit offenem Mund ins Leere, konnte kaum zwei kohärente Sätze nacheinander formulieren. Seitdem hat sich die Stimmung deutlich gewandelt. Geldgeber zogen sich zurück. Kongressabgeordnete der Demokraten plädierten öffentlich dafür, dass Biden nicht mehr antritt.

Beim anschließenden Nato-Gipfel wollte Biden zeigen, dass das TV-Duell nur eine Ausnahme war. Stattdessen aber folgte der nächste peinliche Auftritt: Biden verwechselte ausgerechnet die Präsidenten Russlands und der Ukraine miteinander.

Dann kam das Attentat auf Trump, das dieser nicht nur überlebte, sondern aus dem er gestärkt hervorging. Auf der einen Seite stand da nun ein unerbittlicher Kämpfer, von den Republikanern als Messias gefeiert – so zumindest die Wahrnehmung. Auf der anderen Seite ein fragiler Greis, von den eigenen Wählern angezweifelt. Dass auch Trump in seinen Reden schlingert, dass er fortlaufend Lügen erzählt und Widersprüche zu seinem Programm gehören – offenbar egal. Bidens Schwäche war einfach zu erdrückend.

Verbündete wenden sich ab

Zuletzt lenkten auch Bidens langjährige Vertraute ein. Ex-Präsident Barack Obama, die frühere Fraktionschefin der Demokraten, Nancy Pelosi, ihr Nachfolger Hakeem Jeffries sowie Chuck Schumer, führender Senator der Demokraten, versuchten hinter den Kulissen, Biden zum Rückzug zu bewegen. Die Zahl der Leaks an die Presse nahm zu. Man konnte quasi live verfolgen, wie sich das Establishment der Demokraten vom Präsidenten entfernt.

Irgendwann am vergangenen Wochenende muss bei Biden die Erkenntnis gekommen sein, dass diese Kandidatur nicht mehr zu retten ist. Er versammelte seine beiden engsten Berater, Steve Ricchetti und Mike Donilon, in seinem Strandhaus in Delaware, wo er sich wegen einer Covid-Krankheit aufhielt. Am Sonntag um 13:46 Uhr schickte sein Büro das Statement heraus, dass er sich aus dem Wahlkampf zurückzieht – und jemand anderem die Chance gibt, diesen für die Demokraten zu gewinnen.

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