- Lars Klingbeil ist neben Saskia Esken zum neuen Co-Vorsitzenden der SPD gewählt worden.
- Der 43-Jährige ist der jüngste Parteichef in der Geschichte der Sozialdemokraten.
- Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht Klingbeil über den Weg an die Parteispitze, Pläne für die Zukunft und sein Verhältnis zu Kanzler Olaf Scholz.
Herr
Lars Klingbeil: Wenn ich nicht daran geglaubt hätte, dass wir das Ruder herumreißen können, wäre ich als Generalsekretär im Wahlkampf eine Fehlbesetzung gewesen. Ich bin wahnsinnig stolz auf meine Partei, weil wir auch in den miesen Momenten geschlossen aufgetreten sind. Wir haben unsere Themen sichtbar positioniert, und
Und die Union hat sich redlich bemüht, ein möglichst zerrissenes Bild abzugeben…
Ich würde nicht abstreiten, dass es bei der Konkurrenz nicht unbedingt ideal gelaufen ist. Aber trotzdem haben wir als SPD die Wahl gewonnen und nicht nur von der Niederlage der Union profitiert. Viel wichtiger ist mir aber, was wir aus dem Wahlsieg gemacht haben: Wir haben mit Grünen und FDP einen Koalitionsvertrag zustande gebracht, der für Aufbruch und Zukunft steht – und das ohne Hauen und Stechen.
Ein Koalitionsvertrag, bei dem sich die FDP in vielen Punkten durchgesetzt hat und Ihre Partei Punkte wie die Bürgerversicherung oder die umfangreiche steuerliche Entlastung der Bürger begraben musste.
Also erstens bin ich überzeugt, dass diese Koalition die beste ist, die Deutschland derzeit bekommen kann. Und zweitens ist es bei drei Partnern schlicht nie möglich, dass jede Partei ihr komplettes Wahlprogramm im Koalitionsvertrag unterbringt. Unsere zentralen Wahlversprechen werden verwirklicht: stabile Renten, einen Mindestlohn von zwölf Euro, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr und Klimaschutz, der Arbeitsplätze schafft. Für uns heißt das aber auch: Wir werden als Partei weiterhin für sozialdemokratische Themen streiten, die es für den Moment nicht auf die Regierungsagenda geschafft haben.
Mit dieser Forderung klingen Sie fast wortgleich wie Ihr Parteifreund und Nachfolger auf dem Posten des Generalsekretärs,
Nein, habe ich nicht. Grundsätzlich ist es doch Aufgabe eines Generalsekretärs, die Partei anzutreiben und zusammenzuhalten. Ich freue mich wahnsinnig, dass Kevin mein Nachfolger wird und bin überzeugt, dass er die perfekte Besetzung ist. Sicher wird er das Amt auch anders angehen als ich – aber ich werde hier keine Ratschläge verteilen.
"Wir werden die Menschen sicher durch den Wandel bringen"
Als Nachfolger von
Gemeinsam mit Saskia Esken will ich das Teamplay innerhalb unserer Partei weiter vorantreiben und die großen programmatischen Herausforderungen unserer Zeit angehen: von der Veränderung der Arbeitswelt bis hin zur Digitalisierung und dem klimaneutralen Umbau unserer Wirtschaft. Diese Aufgabe haben uns die Bürgerinnen und Bürger übertragen, als sie uns zur stärksten Partei gemacht haben. Wir werden die Menschen sicher durch den Wandel bringen.
Und wie soll nun die Zusammenarbeit mit Kanzler Scholz aussehen?
Olaf Scholz ist nun der bedeutendste Politiker in diesem Land. Unsere Zusammenarbeit wird sich nicht von den letzten zwei Jahren unterscheiden. Wir sind zwar in anderen Positionen, aber wir sind ein Team - und das bleibt auch so.
Ihre Co-Vorsitzende Esken hat Scholz trotzdem schon vor Alleingängen gewarnt. Eine kluge Ausübung der Richtlinienkompetenz eines Kanzlers sei es eben nicht, „dass man alleine entscheidet und sich dann wundert, wenn andere nicht mitziehen“, hat sie Richtung Scholz gesagt.
Die Zeiten, in denen in der SPD-Spitze mehr gegen- als miteinander gearbeitet worden ist, sind längst vorbei. Olaf Scholz ist kein Ego-Shooter. Er wird als Teamplayer weiterhin seine Fähigkeit einbringen, Brücken zu bauen und Menschen an einem Tisch zu versammeln. Da sind wir uns ganz ähnlich.
Sie hätten den Kanzler Scholz auch als Mitglied des Kabinetts unterstützen können. Warum wollten Sie als Sohn eines Berufssoldaten und ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses nicht Verteidigungsminister werden?
Wir haben mit Christine Lambrecht nun eine tolle Verteidigungsministerin, die Erfahrung mit der Leitung eines Ministeriums hat und einen hervorragenden Job machen wird.
Das war keine Antwort auf die Frage.
Als Norbert Walter-Borjans mir im Vertrauen gesagt hat, dass er sich aus der Parteispitze zurückzieht, war für mich klar, dass ich Vorsitzender werden möchte. Wer mich nur ein bisschen kennt, der weiß, wie viel mir diese Partei bedeutet. Ich bin noch lange nicht am Ende mit meiner Arbeit für die SPD.
Sie haben also weniger auf ein Ministeramt verzichtet und sind eher Ihrem eigentlichen Karriereweg gefolgt?
So würde ich das nicht sagen. Ich bin einfach glücklich und voller Demut, dass mir die SPD das Vertrauen ausgesprochen hat. Ich möchte meine Partei noch lange prägen.
Würden Sie sich in der Zukunft und parallel zum Parteivorsitz ein Ministeramt zutrauen?
Grundsätzlich schließt das eine das andere sicher nicht aus. Aber in der jetzigen Phase gibt es für mich keinen Grund, darüber nachzudenken. Wir stellen nach 16 Jahren erstmals wieder den Kanzler und befinden uns als Partei weiterhin in einem Erneuerungsprozess. Da finde ich es richtig, dass sich die Parteivorsitzenden mit voller Kraft auf die SPD konzentrieren.
„Da ist viel Gemeinsames entstanden“, hat Norbert Walter-Borjans über seine zwei Jahre als Parteichef gesagt. Welche Akzente wollen Sie setzen?
Ich bin jetzt mit meinen 43 Jahren der jüngste Vorsitzende, den die SPD jemals hatte – das soll sich auch auf den Kurs der Partei auswirken. Ich möchte junge Kunst- und Kulturschaffende wieder erreichen und die Partei zugleich näher an die Gewerkschaften und Betriebsräte heranrücken. Die SPD soll wieder ein politisches Bollwerk in der Mitte der Gesellschaft werden und der spannendste Ort für aktuelle Debatten.
Als Ihre Partei 1998 zuletzt den neuen Kanzler stellte, ging die erste Landtagswahl im Anschluss direkt verloren und CDU-Politiker Roland Koch wurde hessischer Ministerpräsident. Was bedeutet das heute für die kommenden Landtagswahlen?
Ich habe mich nie vor dem Blick zurück gescheut und vor der Frage: Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Schon als Generalsekretär habe ich eine Analyse in Auftrag gegeben zur Frage, was eigentlich bei den letzten Bundestagswahlen schief gelaufen war. Der Blick auf 1998 und 1999 ist insofern auch für mein neues Amt wichtig: Damals hat der Parteivorsitzende Oskar Lafontaine vieles unternommen, um Bundeskanzler Gerhard Schröder das Leben schwer zu machen. So ein Machtkampf wird sich heute und auch in der Zukunft nicht wiederholen.
2022 hat Ihre Partei nur bei der Wahl in Niedersachsen in Person von Stephan Weil das Amt des Ministerpräsidenten zu verteidigen. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sitzt die SPD in der Opposition, im Saarland ist sie Juniorpartner der regierenden CDU.
Wir wollen Niedersachsen natürlich verteidigen, und ich bin mir sicher, dass wir mit Thomas Kutschaty in Nordrhein-Westfalen, Thomas Losse-Müller in Schleswig-Holstein und Anke Rehlinger im Saarland die Chance haben, in drei weiteren Bundesländern ganz vorne zu landen. Wir haben die Bundestagswahl gewonnen und wollen zeigen, dass dieser Wahlsieg keine einmalige Angelegenheit war.
Die Wahlen dürften nicht nur für das Selbstverständnis Ihrer Partei wichtig werden, sondern auch mit Blick auf den Bundesrat: Dort braucht die Ampel schließlich Mehrheiten, um ihre Vorhaben durchzubringen.
Da haben Sie recht, und das werden wir angehen. Aber jetzt blicken wir erst einmal auf irre Wochen zurück, in denen wir ein neues Kabinett aufgestellt und einen sozialdemokratischen Bundeskanzler gewählt haben. Manchmal muss ich mich immer noch kneifen, wenn ich darüber nachdenke, was wir als Partei in diesem Jahr erreicht haben. Diesen Wahnsinn lassen wir über die Weihnachtstage etwas sacken und starten dann motiviert ins Wahljahr 2022.
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