Die Ergebnisse des diesjährigen Kinderreports zeichnen ein dunkles Bild der Demokratiekompetenz junger Menschen in Deutschland. Auffällig: Die Jugend traut sich selbst wenig zu.
Das Vertrauen junger Menschen in die Demokratiefähigkeit der eigenen Generation ist gering. Das ist eines der Ergebnisse des Kinderreportes 2024 des Deutschen Kinderhilfswerks, der am Freitag in Berlin vorgestellt wurde. Die Mehrheit der Befragten traut der jungen Generation demnach wenig Demokratiekompetenz zu. Erhoben wurden sowohl die Einschätzungen von Kindern als auch von Erwachsenen.
Das Interesse an der jungen Generation und ihrem Wahlverhalten ist im Zusammenhang mit der Europawahl weiter gewachsen - dort konnte besonders die AfD junge Menschen von sich überzeugen (16 Prozent).
Als politischen Vertreter hatte das Kinderhilfswerk
Mit Blick auf die Ergebnisse der Europawahl machte der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, auf Nachfrage unserer Redaktion deutlich: Für ihn sei nicht der Anteil der jungen AfD-Wählerschaft überraschend gewesen – zumal diese Gruppe unter dem Niveau ihrer Elterngeneration zurückgeblieben sei –, sondern das massive Votum für Kleinstparteien.
Das zeige, dass junge Menschen sich sehr wohl informiert und festgestellt hätten, dass es keine Prozenthürde gibt. Da junge Menschen noch keine Stammwählerschaft seien, hätten sie eher experimentell gewählt.
Was steht im Kinderreport 2024?
Die Mehrheit der befragten Erwachsenen (67 Prozent) traut den Kindern und Jugendlichen zwar zu, im Erwachsenenalter Verantwortung für die Demokratie zu übernehmen. Die Kinder und Jugendlichen selbst sind ihrer Generation gegenüber aber skeptischer: Nur 54 Prozent der Befragten geben an, sich selbst und der eigenen Generation diese Verantwortung zuzutrauen.
Mit 54 Prozent ist die Mehrheit der Erwachsenen zudem der Ansicht, dass es Jugendlichen und Kindern an Kompetenzen fehlt, um an demokratischen Prozessen teilzunehmen – auch viele in der jungen Generation (48 Prozent) sehen das so.
Diese Einschätzung der Demokratiefähigkeit sollte Gesellschaft und Politik aus Sicht von Krüger besondere Sorgen machen. "Demokratie ist kein Erbgut, das sich einfach überträgt." Umso wichtiger sei es, dass Kinder und Jugendliche Selbstwirksamkeit erfahren können. Sei es in der Schule, im Kindergarten oder in den Familien.
Als möglichen Grund für den Verlust der Demokratiefähigkeit gaben sowohl Erwachsene als auch Jugendliche an, dass in der Gesamtgesellschaft das respektvolle Miteinander verloren gehe.
Auffällig: Das Vertrauen in junge Menschen unterscheidet sich laut der Auswertung stark zwischen Anhängern der verschiedenen Parteien. So haben Wählende der Grünen (92 Prozent) am meisten Vertrauen darin, dass die junge Generation die Demokratie verteidigen wird. Es folgen Linke (82 Prozent) und SPD (73 Prozent). Am skeptischsten sind die Wählenden der AfD: Hier gehen nur 36 Prozent der Befragten davon aus, dass junge Menschen die Demokratie verteidigen.
Welche Aufgaben ergeben sich aus der Erhebung?
Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerks, verdeutlicht, dass Kinder und Jugendliche gerade die Schule als Ort der politischen und demokratischen Bildung sehen. Daher müsse ihnen dort ein Angebot gemacht werden.
So sieht es auch Kinderhilfswerks-Präsident Krüger. Er stellt auch mit Blick in Richtung Ministerpräsident Wüst klar: Die Kultusminister und -ministerinnen der Länder müssten ran. Schließlich ist Bildung vor allem Ländersache.
Politische Bildung und Medienbildung müssten laut Krüger verflochten werden – denn viele junge Menschen konsumierten Nachrichten heute via Social Media. Wahres von Unwahrem zu unterscheiden, ist auf diesen Plattformen nicht immer einfach.
Krüger spricht sich deshalb dafür aus, die Fächer Politik und Sozialkunde in Schulen wieder wichtiger zu nehmen. Diese seien in den vergangenen Jahren zugunsten der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik; Anm. d. Red.) benachteiligt worden.
Viele Kinder und Jugendliche hätten außerdem großes Potenzial, könnten dieses aber nicht abrufen, weil sie nicht ausreichend gefördert würden. Bildungsungerechtigkeit, stellt Krüger klar, werde in Deutschland oft vererbt.
Wie reagiert die Politik auf den Report?
Für Ministerpräsident Wüst ist klar, dass er und seine Partei nach der Europawahl und den Ergebnissen des Kinderreports um das Vertrauen der jungen Menschen werben müssen. In seinem Heimatland wolle er die Beteiligungsmöglichkeiten junger Menschen stärken. Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre stehe im Koalitionsvertrag. Zudem habe sein Land im aktuellen Haushalt mit einer Summe von 38 Milliarden Euro, mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts, einen großen Fokus auf Bildung gelegt.
Der Vorsitzende der Kinderkommission des Deutschen Bundestags, Matthias Seestern-Pauly (FDP), erklärt auf Anfrage unserer Redaktion, es sei eine dringende Notwendigkeit, "die Qualität und Verlässlichkeit der Kinderbetreuung voranzutreiben".
So werde Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht und Kindern bestmögliche Bildungschancen geboten. Das Nachfolgegesetz zum Kita-Qualitätsgesetz müsse daher stärker auf die Faktoren Sprachförderung, Verlässlichkeit und Fachkräftegewinnung ausgelegt sein.
Seestern-Paulys Vorgängerin, die Bundestagsabgeordnete Emilia Fester (Grüne), erklärt auf Anfrage der Redaktion, die Studie sollte die ganze Gesellschaft alarmieren: "Junge Menschen sind weder genug eingebunden, noch fühlen sie sich ausreichend gesehen."
Es reiche nicht, junge Menschen ab und an nach ihrer Meinung zu fragen, ihre Erfahrungen und Sichtweisen müssten in Diskussionen und Entscheidungen eingebunden werden. Fester plädiert in diesem Zusammenhang auf eine Absenkung des Wahlalters.
Zudem müsse sich Politik strukturell verändern: Einbeziehung, Etablierung von Kinder- und Jugendräten und ein verpflichtender Jugendcheck für Gesetze wären für die Grüne wichtige Schritte. Die Politik dürfe sich kein Zögern mehr erlauben.
Was ist der Kinderreport?
- Für den Kinderreport hat das Meinungs- und Politikforschungsinstitut Verian im Januar 2024 zwei Erhebungen im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks durchgeführt.
- Befragt wurden 666 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren mittels Onlinebefragung sowie 1.006 Erwachsene per Telefon.
- Kindern wie Erwachsenen wurden die gleichen Fragen gestellt – wobei diese für Kinder in leichte Sprache übersetzt wurden.
- Beim diesjährigen Report lag ein besonderer Blick auf Demokratiekompetenz und Demokratiebildung in Deutschland.
Verwendete Quellen
- Kinderreport Deutschland 2024
- Anfrage an das Büro Matthias Seestern-Pauly, Vorsitzender der Kinderkommission
- Anfrage an das Büro Emilia Fester, Ex-Vorsitzende der Kinderkommission
- Koalitionsvertrag der Regierung Nordrhein-Westfalen
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