Immer mehr Kliniken in Deutschland müssen schließen. Die Bundesregierung will mit einer Refom das Schlimmste verhindern. Wie konnte es überhaupt zum Krankenhaussterben kommen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist einigermaßen absurd. Deutschland gibt rund zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für seine Krankenhäuser aus. Im Jahr 2022 flossen dem Verband der Ersatzkassen zufolge 88,1 Milliarden Euro von der Gesetzlichen Krankenversicherung an die Kliniken.

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Trotzdem ist das Krankenhauswesen selbst ein Patient. Zwischen 2011 und 2021 sind dem Statistischen Bundesamt zufolge bundesweit rund 150 Kliniken geschlossen worden. Der Deutschen Krankenhausgesellschaft zufolge sind weitere 20 bis 25 Prozent der Kliniken von der Insolvenz bedroht. Ein Krankenhaussterben ist kein Krisenszenario mehr, es hat bereits eingesetzt. Die Bundesregierung will durch eine Reform Schlimmeres verhindern.

Doch wie konnte es überhaupt zu diesem Zustand kommen? Ein Blick zurück auf zentrale politische Entscheidungen, auf ein dauerhaftes Problem und eine plötzliche Krise. Alles zusammen hat die Krankenhäuser in die Misere gestürzt.

Fallpauschalen: Zu wenig Patienten bedeuten zu geringe Einnahmen

Vor rund 20 Jahren entschied sich die rot-grüne Bundesregierung für eine folgenreiche Reform: Auf Betreiben der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und eines gewissen Gesundheitsexperten namens Karl Lauterbach wurde das sogenannte DRG-System eingeführt: Krankenhäuser finanzieren sich seit 2004 fast ausschließlich über Fallpauschalen. Für jede Behandlung erhalten sie einen bestimmten, festgelegten Betrag von der Krankenkasse.

Das bedeutet: mehr Fälle, mehr Einnahmen. Oder umgedreht: Wenn eine Klinik weniger Patienten behandelt, schwinden ihre Einnahmen.

Vier von zehn Krankenhäusern sind heute in privater Trägerschaft. Immer wieder wird auch die Ökonomisierung der Branche als ein Grund für die Misere genannt. Der Experte Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, will sich dieser Kritik aber nur in Teilen anschließen. "Die Krankenkassen zahlen einem Krankenhaus im Durchschnitt 4.000 Euro pro Fall – egal, ob es in öffentlicher, kirchlicher oder privater Trägerschaft ist", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Manche Kliniken kommen mit diesem Geld zurecht, wirtschaften effizient und erzielen dann einen Gewinn. Das ist nicht verwerflich."

Wahr ist aber auch: Spardruck kann dazu führen, dass Betreiber beim Personal sparen. "Eine Privatisierungswelle rollte durch die Kliniklandschaft, alle Krankenhäuser gerieten unter ökonomischen Druck, Pflegepersonal wurde radikal abgebaut", schrieb die ZDF-Journalistin Britta Spiekermann vor einigen Monaten in einem Kommentar. Dazu gleich mehr.

Eine Zeit lang hat das Fallpauschalen-Modell jedenfalls gut funktioniert. "Die Krankenhäuser haben 15 Jahre lang fast durchgängig ein Leistungswachstum erlebt. Sie haben mehr Patienten behandelt, die Fallzahlen sind pro Jahr im Schnitt um ein, zwei Prozent gestiegen", sagt Augurzky.

Personalmangel als Dauerproblem

Etwa 2017 kam diese Entwicklung zum Erliegen: Die Fallzahlen stagnierten. "Die Krankenhäuser waren aber darauf eingestellt, über das Wachstum der Patientenzahlen ihr Kostenwachstum aufzufangen. Als das nicht mehr möglich war, hat sich ihre wirtschaftliche Lage allmählich verschlechtert", sagt Augurzky.

Wie kam es zu dieser Stagnation? Die Zahl der Patientinnen und Patienten stieg nicht mehr – was an sich ja eine gute Nachricht ist. Doch hinzu kam eine dauerhafte Entwicklung, die der Gesundheitsbranche zunehmend zu schaffen machte und noch heute zu schaffen macht: der Personalmangel. Es fehlt an Pflegekräften, zum Teil auch an Ärztinnen und Ärzten.

Zu dieser Zeit entschied sich das CDU-geführte Gesundheitsministerium für Pflegepersonal-Untergrenzen. Für viele Bereiche wurde eine Mindestzahl an Mitarbeitern vorgeschrieben. Dieser Schritt war gut gemeint: Er sollte die vorhandenen Fachkräfte entlasten und die Betreuung der Patienten verbessern. Doch in Zeiten des Fachkräftekraftmangels fanden viele Krankenhäuser nicht mehr genügend Mitarbeiter, um Untergrenzen einzuhalten.

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Niedrigere Patientenzahlen seit Corona

Und dann kam auch noch Corona. Vom Frühjahr 2020 an stand die Gefahr eines Kollapses des Gesundheitswesens im Raum, sollten zu viele Menschen gleichzeitig erkranken. Die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD rief die Krankenhäuser deshalb auf, Betten freizuhalten und planbare Eingriffe zu verschieben. Da ihnen dadurch Einnahmen verloren gingen, sprang der Bund ein: mit Kompensationszahlungen in Höhe von zehn Milliarden Euro.

Inzwischen ist die Pandemie für die allermeisten Menschen und Krankenhäuser überstanden. Doch während viele Menschen wieder einkaufen, feiern und reisen wie vor der Corona-Krise, ist dieser Effekt bei den Krankenhäusern ausgeblieben. Die Fallzahlen sind niedrig geblieben – warum, das können Experten bisher nicht so richtig erklären.

Auf jeden Fall sind die Patientenzahlen immer noch ungefähr 12 bis 13 Prozent niedriger als 2019. "Es gibt aber keine Ausgleichszahlungen mehr für freie Betten wie während der Pandemie", sagt Augurzky. Außerdem laste weiter der Fachkräftemangel auf der Branche: "Manche Krankenhäuser hätten eigentlich mehr Nachfrage, sind aber wegen fehlenden Personals gar nicht mehr in der Lage, ihr volles Programm aufzunehmen."

Krankenhausreform: Eine Grundfinanzierung für die Kliniken

Karl Lauterbach – inzwischen bekanntlich Bundesgesundheitsminister – will nun das Fallpauschalen-System zurückfahren. Etwa 60 Prozent ihrer Kosten sollen Kliniken künftig über eine Grundfinanzierung decken – unabhängig von den Fallzahlen.

Lauterbachs Versprechen lautet: Gerade kleine Kliniken auf dem Land würden davon profitieren. Er pocht außerdem auf eine stärkere Spezialisierung. "Es gibt zu viele Krankenhäuser, die das Gleiche machen", sagte er im vergangenen Jahr im Interview mit unserer Redaktion. Der SPD-Politiker ist aber auch der Meinung, dass sich Kliniken und Patienten zu sehr an Aufenthalte im Krankenhaus gewöhnt haben. Leistenbrüche oder Kreuzbandrisse zum Beispiel werden im Ausland häufig ambulant operiert. Das müsste aus seiner Sicht auch in Deutschland zunehmend der Fall sein.

Der Knackpunkt: die Übergangzeit

Lauterbach betont nun immer wieder: Die Entscheidungen der Vergangenheit haben zum Krankenhaussterben geführt. Seine Reform, die er in den kommenden Monaten umsetzen will, werde Schlimmeres verhindern.

Der Knackpunkt ist allerdings die Übergangszeit. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, rechnet damit, dass die Maßnahmen erst im Jahr 2028 ihre Wirkung entfalten. "Die jetzt geplante Reform gibt keine Antworten auf den kalten Strukturwandel der Gegenwart", kritisierte er vor Kurzem im Interview mit unserer Redaktion.

Experte Boris Augurzky ist Mitglied der Krankenhaus-Kommission, die das Bundesgesundheitsministerium bei der Reform berät. Er sagt: Die Pläne haben durchaus das Potenzial, Wirtschaftlichkeit und medizinische Qualität zu verbessern. Allerdings sagt auch er: Die Reform wirke nur mittelfristig, weil Krankenhäuser für Umstrukturierungen, Um- und Neubauten mehrere Jahre brauchen werden. "In der Zwischenzeit sind sie in einer schwierigen Lage", so Augurzky. "Spätestens im kommenden Jahr wird die Lage sehr angespannt."

Zur Person: Prof. Dr. Boris Augurzky leitet den Kompetenzbereich Gesundheit am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Er ist zudem außerplanmäßiger Professor an der Universität Duisburg-Essen und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Münch. Der Volkswirt war und ist Mitglied in mehreren Expertengremien, unter anderem in der Krankenhauskommission des Bundesministeriums für Gesundheit.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Boris Augurzky
  • Verband der Ersatzkassen: Daten zum Gesundheitswesen: Ausgaben
  • zdf.de: Kliniken im Notbetrieb : Geschichte eines politischen Versagens
  • Statistisches Bundesamt: Krankenhäuser: Einrichtungen, Betten und Patientenbewegung
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