Der Kommunikationsexperte Johannes Hillje ist überzeugt: Die neue Regierung muss eine Vision erarbeiten, mit der sie den Menschen im Land Hoffnung gibt. Und sie müsse mehr Emotionen wagen.
Deutschland steht vor einem Regierungswechsel. Seit einigen Wochen verhandeln Union und SPD über einen Koalitionsvertrag. Klar ist bereits: Die neue Regierung steht vor großen Aufgaben. Mit den Milliarden-Paketen hat sich das künftige Kabinett
Doch mit seiner Schulden-Kehrtwende hat Merz auch viele Anhänger enttäuscht. Aus Sicht des Kommunikationsexperten Johannes Hillje wird Geld ohnehin nicht reichen, um die Gemüter in Deutschland zu beruhigen. Der künftige Kanzler hat aus Sicht des Experten noch einiges zu tun, um Vertrauen zu gewinnen.
Herr Hillje, mit Friedrich Merz übernimmt bald ein Politiker das Kanzleramt, der ein ganz anderes Auftreten hat als seine Vorgänger
Johannes Hillje: Ich glaube nicht, dass sich Friedrich Merz wirklich so fundamental von seinen Vorgängern unterscheidet. Tendenziell hat er eine ruhige Art – aber mit Hang zur Impulsivität. Die kann als unreflektiertes, spontanes Handeln zu einem Nachteil werden. Aber Herr Merz ist niemand, der Menschen durch eine bewusst emotionale Ansprache an sich bindet.
Sie plädieren dafür, mehr Emotionen zu wagen. Muss Politik in Krisenzeiten nahbarer sein?
Politik muss in Krisenzeiten vor allem Vertrauen schaffen und Hoffnung erzeugen. Man muss den Menschen einen plausiblen Weg zu einer besseren Zukunft aufzeigen. Das muss Friedrich Merz noch leisten.
"Die Merz-Regierung braucht eine sinnstiftende Idee, wie sie dem Land Hoffnung geben möchte."
Inwiefern?
Einer seiner zentralen Wahlkampfslogans war: Er möchte, dass Menschen wieder stolz auf Deutschland sein können. Er hat diesen Anspruch aber nie mit einer Erzählung unterfüttert, wie er diesen Stolz erzeugen will. Die Merz-Regierung braucht eine sinnstiftende Idee, wie sie dem Land Hoffnung geben möchte.
Wie könnte eine solche Idee aussehen?
Die Koalition hat sich mit dem 500-Milliarden-Infrastruktur-Programm die finanziellen Möglichkeiten für einen Aufbruch des Landes geschaffen. Das ist eine Chance, um Hoffnung zu erzeugen und Ängsten zu begegnen. Noch ist aber nicht zu erkennen, in welche Maßnahmen die Milliarden gesteckt werden, damit daraus ein großes Modernisierungsprojekt wird. Schwarz-Rot braucht eine Vision für das Land – und konkrete Ziele für jedes Politikfeld.
Aktuell wird noch über einen Koalitionsvertrag verhandelt. Es gibt einige Knackpunkte.
Es gehört zu Verhandlungen dazu, dass über einzelne Maßnahmen gestritten wird. Aber mit einer einfachen Addition von Unions- und SPD-Wünschen wird sich keine kohärente Politik gestalten lassen. Wichtiger wäre es, Maßnahmen in jedem Politikbereich darauf zu überprüfen, ob sie auf ein übergeordnetes Ziel einzahlen. Es sind erstrebenswerte Ziele und plausible Umsetzungspläne, die Vertrauen stiften und Hoffnung geben, nicht der Kuhhandel von Punkten aus dem Wahlprogramm.
Die Vorkanzlerschaft von Merz begann direkt mit einer Kehrtwende. Im Wahlkampf hat sich die Union gegen neue Schulden als erste Maßnahme ausgesprochen, einen Tag nach der Wahl warb Merz für ein neues Sondervermögen. Kann die künftige Koalition nach so einem Start Vertrauen zurückgewinnen?
Die oberste Aufgabe sollte nun sein, nach diesem Fehlstart Vertrauen aufzubauen. Der Kurswechsel selbst und die damit verbundenen Milliarden-Investitionen hätten ein Bonus für Merz werden können. Er hätte Zuspruch links der Mitte gewinnen und Vertrauen in der eigenen Anhängerschaft absichern können – diese Chance hat er durch miserable Kommunikation aber vertan.
Mittlerweile liegt die AfD in Umfragen nur noch einen Prozentpunkt hinter der Union. Wie lässt sich das erklären?
Die Umfragewerte sind das Ergebnis der Umbruchszeit, in der wir uns gerade befinden: Die alte Bundesregierung ist nur noch geschäftsführend im Amt, während sich die neue erst noch bilden muss. Es herrscht ein politisches Vakuum. Deswegen darf man die Umfrageergebnisse nicht überbewerten. Andererseits hängen sie natürlich auch mit Merz‘ strategischen und kommunikativen Fehlern zusammen.
Wie meinen Sie das?
Über den kommunikativen Fehler haben wir gerade gesprochen. Er hat den Kurswechsel in der Finanzpolitik unzureichend erklärt. Vor allem hat er behauptet, er hätte diese Haltung auch vor der Wahl vertreten.
Und strategisch?
Entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen versucht Friedrich Merz, die AfD durch Annäherung zu schwächen. Das ist eine Form der Selbstüberschätzung. Es wäre auch an der Zeit, dass Merz erklärt, welche Konsequenzen er für seine Partei aus dem starken Ergebnis der AfD bei der Wahl ziehen möchte. Auch die Union hat über eine Million Stimmen an diese Partei verloren. Es wäre wichtig, dass sie ihre Strategie im Umgang mit der AfD ehrlich analysiert.
Immer wieder wird versucht, die Versprechungen der AfD durch Fakten zu entzaubern. Warum gelingt das nicht?
Die AfD ist Hoffnungsträgerin für ihre eigene Anhängerschaft. Wir reden in der Öffentlichkeit sehr einseitig darüber, dass die AfD Sorgen zu Ängsten verstärkt und diese Ängste in Wut verwandelt.
Tut sie das nicht?
Doch. Aber wir beachten zu wenig, dass sie auch das Bedürfnis nach einem positiven Gefühlsausgleich erfüllt. Mit Hoffnung und Identifikationsangeboten. Die AfD beschreibt in ihren Erzählungen nicht nur den angeblichen Niedergang des Landes, sondern auch die Erlösung durch ihre Politik. Der Wahlkampf war für ihre Anhängerschaft von positiven Emotionen geprägt. Die Veranstaltungen hatten einen Eventcharakter, es wurde gesungen, getanzt, Popcorn und Bier serviert. Im Grunde Partys in der imaginierten Apokalypse. Es gibt eine gefestigte und wärmende Gemeinschaft.
"Man kann Gefühle nicht aus der Politik heraushalten, weil Emotionen zu Menschen dazugehören."
Starke Emotionen in der Politik sorgen gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte für ein Störgefühl.
Man muss hier klar unterscheiden zwischen populistischer Affektpolitik und demokratischer Emotionalisierung. Man kann Gefühle nicht aus der Politik heraushalten, weil Emotionen zu Menschen dazugehören. Wenn man es schafft, ein inklusives Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und die emotionale Bindung zu einem politischen Projekt oder auch zu diesem Land zu stärken, ohne dabei Menschen auszuschließen, wäre das eine positive Form der Emotionalisierung.
Emotionalisierung funktioniert bislang vor allem bei AfD und Linken gut. Kann die demokratische Mitte in Regierungsverantwortung das überhaupt übernehmen?
Aus meiner Sicht brauchen wir eine demokratische Emotionskultur. Menschen werden zum Beispiel emotional, wenn durch Politik wichtige Werte verwirklicht oder verletzt werden. Zum Beispiel im Bereich der Sicherheit und sozialen Gerechtigkeit. Menschen sind immer emotional, wenn Themen ihre eigene Lebenswelt betreffen. Deswegen emotionalisieren Diskussionen über Mobilität, Ernährung, Heizen oder Wohnen so stark. Eine Regierung muss es schaffen, ein positives Identifikationsangebot, mindestens aber Vertrauen und ein Kontrollgefühl zu schaffen, um die Menschen für Veränderung zu gewinnen.
Über den Gesprächspartner
- Johannes Hillje ist Politikberater und Autor. Der Kommunikationsexperte berät Ministerien, Politiker, Parteien und Verbände und hat etwa im vergangenen Wahlkampf für die Grünen gearbeitet. Als Autor beschäftigt sich Hillje maßgeblich mit der AfD. In seinem jüngsten Buch "Mehr Emotionen wagen" plädiert er außerdem dafür, dass Politik emotionaler wird.