Der harte Kurs von Horst Seehofer in der Flüchtlingspolitik und die Attacken des CSU-Chefs gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel irritieren nicht nur den Koalitionspartner SPD und die Opposition, sondern entzweien mittlerweile sogar die Union. Mit seiner Äußerung, in Deutschland gebe es eine "Herrschaft des Unrechts", scheint Seehofer zu weit gegangen zu sein. Der Schaden richtet sich nach innen.

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Er ist der hartnäckigste Gegenspieler von Angela Merkel: Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer macht seit Monaten mit drastischen Worten in der Flüchtlingspolitik auf sich aufmerksam.

Auf dem CSU-Parteitag führte er Merkel regelrecht vor, er schrieb einen Protestbrief und wird generell nicht müde, gegen Merkels Linie zu schießen. Seehofer wählt gerne das Stilmittel der Provokation.

Im Alleingang stattete er Russlands Präsident Wladimir Putin einen umstrittenen Besuch ab. Wegen der Grenzöffnung für Flüchtlinge am 4. September droht er mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht.

Darauf angesprochen, sagte Seehofer nun in der "Passauer Neuen Presse": "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts."

Entsetzen und Empörung wegen Seehofer

Deutschland – ein Unrechtsstaat? Mit diesem Begriff wurde früher die DDR bezeichnet. Seehofers Wortwahl hat massive Empörung ausgelöst.

Renate Künast von den Grünen forderte den CSU-Chef ebenfalls in der "Passauer Neuen Presse" auf, seine Worte zurückzunehmen: "Seehofers Äußerungen sind unerhört und geschichtsvergessen. Sie sind zudem schlichtweg falsch."

In der "Süddeutschen Zeitung" sagt Thomas Oppermann (SPD): "Horst Seehofer benutzt eine bösartige Formulierung, um Angela Merkel zu treffen."

Bedeutender - und neu - für Seegofer: Kritik kommt auch von der CSU selbst. Gerda Hasselfeldt nannte die Formulierung "nicht besonders glücklich".

Mehrere CDU-Politiker stellten sich ebenfalls öffentlich gegen Seehofer. Der CSU-Chef selbst wehrt sich gegen die Empörung und milderte die Schärfe seiner Worte ab. Er sei falsch interpretiert worden, behauptet er.

Eins ist klar: Horst Seehofer will seine Position durchsetzen, mit aller Macht. Deswegen setzt er auf das Mittel der Provokation. Zwar ist seine CSU selbst Teil der Bundesregierung, doch als Alleinherrscher in Bayern hat Seehofer mehr Freiheiten.

"Merkel ist nicht Seehofers Chefin", sagt der Parteienforscher Hendrik Träger, der in Leipzig und Magdeburg lehrt. Sie könne ihm deswegen kaum mit Konsequenzen drohen.

Bild der Bundesregierung nimmt Schaden

Diese Opposition innerhalb der Koalition führt aber zu Irritationen. "Das schadet dem Erscheinungsbild der Bundesregierung in zunehmendem Maße", meint Träger. "Wenn einer immer quertreibt, erschwert das die Arbeit der Koalition."

Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU sind zwar nichts Neues. Auch Franz-Josef Strauß habe schon gerne eine "Neben-Außenpolitik" in Ost-Berlin und Moskau betrieben, so Träger.

Doch das Gebaren von Seehofer, wie das tatsächliche Einreichen einer Verfassungsklage, könnte das Ergebnis der Union bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt beeinflussen.

Seehofer spricht deswegen derzeit viel von Recht und Ordnung, thematisiert innere Sicherheit und Zuwanderung - klassische Themen der Konservativen. Er möchte sie damit für die Union besetzen, um sich gegen Rechts abzusichern.

Seehofer sieht sich selbst - wie die meisten CSU-Politiker - in der Tradition von Franz-Josef Strauß. Zu dessen Leitsätzen gehörte: Rechts von der Union darf es keine demokratische Partei geben.

Doch Angela Merkel und der Bundesregierung eine "Herrschaft des Unrechts" zu bescheinigen ist Rhetorik, wie man sie von Pegida kennt. Zum einen könnte Seehofer damit Vorwürfe aus deren Münden zu bestätigen, zum anderen könnte er damit das Gegenteil von dem erreichen, was er will.

Gefährlicher Bumerang von rechts außen

"Wenn er sich so populistisch äußert, könnte es auch den Bumerang-Effekt geben, dass es der AfD nützt", glaubt Träger. "Diese könnten argumentieren: Die Regierungsparteien sind total zerstritten, wählt doch uns."

Und Angela Merkel? Zehn Jahre lang regierte sie zumeist mit einer Politik der Zurückhaltung. "Sie stand am Bahnsteig und hat abgewartet, ob der Zug von links oder rechts fährt", beschreibt es der Politikwissenschaftler.

In der Flüchtlingspolitik hat sie sich zwar im vergangenen Sommer festgelegt, doch zuletzt hat sie sich auch nicht mehr eindeutig geäußert und auf die Attacken von Seehofer kaum reagiert.

Das Auftreten von Seehofer und Merkel könnte unterschiedlicher nicht sein. "Seehofer geht keiner Kamera aus dem Weg", meint Träger. "Von Merkel hört man dagegen viel seltener etwas."

Der Parteienforscher hält das für falsch: "Angela Merkel als Regierungschefin müsste sagen, wo es langgeht." So wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008, als sie gemeinsam mit Finanzminister Peer Steinbrück erklärte: "Die Spareinlagen sind sicher."

Einen ähnlichen Auftritt wünscht sich Träger auch für die derzeitige Flüchtlingssituation. Bei ihrem TV-Interview mit Anne Will im Herbst habe Angela Merkel ja bereits gezeigt, dass sie auch bei diesem Thema überzeugen kann.

Und die Zeit dränge: "In einer Demokratie, in der die Medien eine wichtige Rollen spielen, ist es für die Bevölkerung wichtig zu wissen: Was sagt die Bundeskanzlerin?"

Dr. Hendrik Träger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteienforschung und Landespolitik.

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