Boris Rhein will am 8. Oktober als hessischer Ministerpräsident wiedergewählt werden. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der CDU-Politiker über seine Kritik an der Migrationspolitik des Bundes, sein Rezept gegen zu viel Bürokratie und die Zusammenarbeit mit den Grünen.
Seit fast einem Vierteljahrhundert regiert in Hessen die CDU. Der aktuelle Ministerpräsident Boris Rhein ist zwar erst seit Ende Mai 2022 im Amt, und laut Hessen-Trend sind nur 39 Prozent seiner Landsleute mit seiner Arbeit zufrieden. Doch in Umfragen vor der Landtagswahl am 8. Oktober liegt seine CDU derzeit vorne.
Rhein profitiert dabei auch von der Schwäche seiner Gegenkandidatin:
Kann sich Boris Rhein also entspannt zurücklehnen? Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der Ministerpräsident, was ihn noch am sicheren Sieg zweifeln lässt.
Herr Rhein, Ihre SPD-Gegenkandidatin Nancy Faeser steht gerade als Bundesinnenministerin unter großem Druck. Wie froh sind Sie, dass sich Frau Faeser diese Doppelrolle zugemutet hat?
Boris Rhein: Ich habe nicht zu beurteilen, wen die SPD als Spitzenkandidaten aufstellt. Es war aber absehbar, dass so eine Doppelfunktion mit großen Risiken verbunden ist.
Frau Faeser beklagt eine Kampagne gegen ihre Person. Wird sie mit zweierlei Maß gemessen? Sie selbst kandidieren ja auch aus diesem Amt heraus für Ihre Wiederwahl.
Ja, aber ich kandidiere als Ministerpräsident für das Amt des Ministerpräsidenten. Die Frage ist doch: Entscheidet sich jemand mit vollem Herzen für die Kandidatur – oder mit halbem Herzen und mit Rückfahrschein?
Die Länder fordern von der Bundesinnenministerin mehr finanzielle Unterstützung bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Von der Bundesregierung heißt es aber: Die Länder geben das Geld nicht eins zu eins an die Kommunen weiter.
Das ist ein Märchen. Wir haben in Hessen im vergangenen Jahr 800 Millionen Euro zur Bewältigung der Situation an die Kommunen überwiesen. 500 Millionen Euro davon stammten aus unserem Landeshaushalt, 300 Millionen kamen vom Bund. Ich finde den Vorwurf, die Länder würden sich finanziell nicht genügend engagieren, respektlos. Wir stemmen gemeinsam mit den Kommunen die Hauptlast. Außerdem hat allein die Bundesregierung den Schlüssel zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung in der Hand. Aber anstatt ihn zu nutzen, schafft die Ampel immer neue Anreize.
Was müsste der Bund denn aus Ihrer Sicht machen?
Unsere Belastungsgrenze ist erreicht, insbesondere vor Ort in den Kommunen. Wir brauchen jetzt, wirklich jetzt, eine Verschnaufpause bei der Migration. Dafür brauchen wir erstens stationäre Grenzkontrollen, um illegale Einreisen zu verhindern. Zweitens brauchen wir eine Rückführungsoffensive für abgelehnte Asylbewerber. Da passiert offensichtlich gar nichts. Und drittens müsste der Bund weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern für abgelehnte Asylbewerber erklären, etwa Algerien, Tunesien, Marokko und Indien.
Wäre es nicht für alle Seiten besser, wenn Asylbewerber hierzulande sofort arbeiten könnten? Damit wäre ihnen selbst und den Unternehmen geholfen – und auch der Staat würde entlastet.
Da stimme ich Ihnen zu. Es ist schon heute rechtlich möglich, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, nach einer bestimmten Zeit und mit einem bestimmten Aufenthaltsstatus arbeiten können. Wir haben in Deutschland mittlerweile annähernd 600.000 Flüchtlinge in den sozialen Sicherungssystemen. Ich will, dass wir diese Menschen fit machen für den Arbeitsmarkt, denn auch Integration funktioniert am besten über Arbeit. Umso unverständlicher ist, dass der Bund bei den Migrationsberatungen enorm kürzt und streicht. Denn diese Stellen schaffen die Voraussetzungen dafür, dass die Leute arbeiten können.
Warum ist die CDU dann gegen den sogenannten Spurwechsel? Also die Möglichkeit, dass Asylbewerber mit einem Jobangebot eine Aufenthaltserlaubnis beantragen können.
Der Bund schafft es schon jetzt nicht, diese 600.000 Leute, von denen ich eben sprach, raus aus den sozialen Sicherungssystemen und rein in den Arbeitsmarkt zu bringen. Der Spurwechsel führt da in die falsche Richtung.
Der Fachkräftemangel dürfte aber auch in Hessen ein großes Problem sein.
Den Fachkräftemangel und den allgemeinen Arbeitskräftemangel spüren wir überall. Das merken Sie, wenn Sie mit Betrieben, mit der Handwerkskammer und den Industrie- und Handelskammern sprechen. Aber auch gerade in den sozialen Berufen ist der Mangel spürbar und in seinen Auswirkungen nicht zu unterschätzen.
Die Politik wirbt einerseits um ausländische Fachkräfte – andererseits vermittelt gerade Ihre Partei den Menschen: Es kommen zu viele Leute nach Deutschland. Ist das nicht ein Widerspruch, der in der Bevölkerung nur Verunsicherung schafft?
Wir müssen klar unterscheiden zwischen qualifizierter Arbeitsmigration auf der einen Seite und Asylmigration auf der anderen Seite. Am Ende hängt alles von der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ab. Deswegen ist es so wichtig, die Migration zu steuern und zu begrenzen. Ansonsten bekommen die Menschen das Gefühl: Das können wir nicht mehr lange schultern.
In der letzten Umfrage lag die AfD in Hessen bei 17 Prozent. Wie erklären Sie sich so einen Wert?
Wir müssen abwarten, welches Ergebnis am 8. Oktober, am Tag der hessischen Landtagswahl steht. Ich will das aber nicht kleinreden. Mich erfüllt so eine Zahl mit Sorge. Die Politik der Ampel-Koalition in Berlin ist ein Katalysator für Unzufriedenheit. Die Menschen sind tief verunsichert über die Politikunfähigkeit der Ampel, sie sind verärgert über Stillstand, Streit und Chaos. Das muss man sich mal vorstellen: Die FDP bezeichnet den eigenen Koalitionspartner, die Grünen, als Sicherheitsrisiko. Da darf man sich nicht wundern, wenn Menschen sich von der Politik abwenden. Die Ampel muss endlich einen zivilen Umgang miteinander finden. Das ist auch für das ganze Land wichtig.
Lesen Sie auch die Interviews mit anderen Spitzenkandidaten zur hessischen Landtagswahl:
- Nancy Faeser (SPD): "Momentan wird viel mit Dreck geworfen"
- Tarek Al-Wazir (Grüne): "Wir sind Vorreiter bei der Verkehrswende"
Boris Rhein: "Für jede neue Regel zwei bestehende Regeln zurücknehmen"
Viele Menschen machen sich gerade Sorgen um die konjunkturelle Lage. Muss man sich auch speziell um die hessische Wirtschaft Sorgen machen?
Hessen ist ein wirtschaftliches Kraftzentrum im Herzen Europas. Wir sind stark bei Pharma und Chemie und natürlich im Finanz- und Dienstleistungssektor. Aber die aktuell hohen Energiepreise sind natürlich eine große Belastung, insbesondere für die Industrie. Wir brauchen deshalb einen Comeback-Plan für die Wirtschaft: Steuern senken, Stromangebot ausbauen, Bürokratie stoppen. Wir müssen die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß senken und die Netzentgelte halbieren. Es war außerdem ein fataler Fehler, die Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen. Die Bundesregierung hat mit dem Lieferkettengesetz und dem hohen Aufwand für die Verwaltung des Mindestlohns außerdem unnötige Bürokratie geschaffen. Dabei müssten wir die wirtschaftlichen Kräfte eigentlich jetzt entfesseln und Bürokratie abbauen.
Beim Bürokratieabbau müssten aber auch die Länder mitziehen. Es gibt zum Beispiel 16 verschiedene Bauverordnungen der Länder. Das hemmt den dringend nötigen Wohnungsbau.
Natürlich sind die Länder auch gefordert. Mein Wunsch wäre, dass wir für jede neue Regel zwei bestehende Regeln zurücknehmen. Und weil Sie das Thema Bauen angesprochen haben: Wir haben in Hessen gerade serielles Bauen in der Bauverordnung verankert. Damit können Bauprojekte schneller umgesetzt werden, weil ein einmal genehmigter Gebäudetyp nicht jedes Mal aufwendig neu geprüft werden muss. Natürlich können die zuständigen Landesministerinnen und -minister auch Bauverordnungen vereinheitlichen. Ich glaube aber, dass jedes Land selbst dafür sorgen muss, dass es schneller vorangeht.
Wie wollen Sie das in Hessen machen?
Wir wollen als Hessen-CDU zum Beispiel die Grunderwerbsteuer für den Ersterwerb von Wohneigentum auf null setzen – damit sich möglichst viele Menschen und vor allem junge Familien den Traum vom Eigenheim erfüllen können.
"In Hessen haben wir mit den Grünen gut zusammengearbeitet"
Die CDU liegt derzeit in Umfragen vorne. Ihre Chancen, im Amt zu bleiben, stehen also gut.
Vorsicht, Vorsicht. Wenn die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP in Hessen auch nur eine Stimme Mehrheit haben, machen sie eine Ampel-Koalition. Das heißt: Wer eine Ampel-Partei wählt, kann eine Ampel-Koalition bekommen. Deshalb kämpfen wir dafür, dass die CDU möglichst stark wird und wir eine stabile Regierung für Hessen bilden können.
Für eine absolute Mehrheit wird es aber sicher nicht reichen. Mit wem wollen Sie denn regieren?
Wir werden den Wahlabend abwarten. Sollten wir als CDU den Regierungsauftrag bekommen, werden wir den Koalitionspartner auswählen, mit dem wir die meisten Punkte unseres Programms umsetzen können. Das sind zum Beispiel eine kostenfreie Meisterausbildung im Handwerk, die Grunderwerbssteuerfreiheit und der Hessen-Zuschuss für den Heizungstausch. Ich finde aber ganz grundsätzlich, dass die demokratischen Parteien untereinander anschlussfähig sein müssen.
Sind Sie das denn? Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz hat die Grünen als "Hauptgegner" bezeichnet. Könnten Sie dann noch die bestehende schwarz-grüne Koalition fortsetzen?
Friedrich Merz hat das über die Grünen in der Bundesregierung gesagt. Die CDU ist eine sehr stark föderal aufgestellte Partei mit autonomen Landesverbänden. Das achtet und respektiert unser Bundesvorsitzender. Hier in Hessen haben wir mit den Grünen jedenfalls gut zusammengearbeitet – das sieht auch Friedrich Merz.
Zur Person
- Boris Rhein wurde 1972 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Jura, arbeitete als Rechtsanwalt und wurde 1999 erstmals in den Landtag gewählt. Er war in Hessen unter anderem Wissenschafts- und Innenminister sowie Präsident des Landtags, bevor er am 31. Mai 2022 als Nachfolger von Volker Bouffier zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Zudem ist er Vorsitzender der Hessen-CDU.
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