Ursula von der Leyen ist in Brüssel auf Werbetour in eigener Sache. Ein dringend nötiges Unterfangen. Denn ihre Wahl als Chefin der EU-Kommission ist keinesfalls ausgemacht. Sofern sie nicht von der Gnade der Rechten abhängig sein will, braucht sie die Stimmen von Sozialdemokraten und Grünen. Und die sind mit Gummibärchen und Kugelschreibern nicht zu bekommen.

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376. Das ist die Zahl, die die Woche von Ursula von der Leyen (CDU) bestimmt. Denn so viele Stimmen braucht die deutsche Verteidigungsministerin, um am kommenden Dienstag zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt zu werden.

Noch ist nicht klar, ob es ihr gelingen wird, genug EU-Abgeordnete hinter sich zu versammeln. Deshalb ist von der Leyen auf Werbetour: Am Mittwoch wirbt sie zunächst bei den Sozialdemokraten und den Liberalen im Europaparlament um Unterstützung. Am Nachmittag (ab 16.30 Uhr) ist sie zu einer Anhörung bei den Grünen eingeladen.

Bislang hat sich nur ihre eigene konservative Parteifamilie EVP hinter von der Leyen gestellt. Die Zustimmung der Liberalen gilt zumindest als wahrscheinlich. Macht im besten Fall 290 Stimmen - zu wenig.

Breite Akzeptanz nur mit Grünen und Sozialdemokraten

Erschwerend kommt für die CDU-Politikerin hinzu, dass in der Praxis - anders als auf dem Papier - Stimme nicht gleich Stimme ist: Wenn sie weder auf die extreme Rechte bauen noch als Präsidentin von Gnaden des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán oder des Italieners Matteo Salvini dastehen will, braucht sie Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten.

Doch die ist alles andere als leicht zu bekommen - gerade weil im Raum steht, dass von der Leyens Nominierung durch die Staats- und Regierungschefs ein Zugeständnis an Ungarn, Italien und andere von Euroskeptikern regierten Länder war.

Den schwersten Stand hat von der Leyen bei den Sozialdemokraten (S&D), der zweitgrößten Fraktion im EU-Parlament. Die sind nicht nur sauer, weil ihr eigener Spitzenkandidat Frans Timmermans im Rat keine Mehrheit bekommen hat, sondern auch, weil die Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidatenprinzip gleich ganz über Bord geworfen haben.

"Wenn wir zulassen, dass ein fähiger und demokratisch gewählter Kandidat wie Frans Timmermans von Salvini, Orbán und Co. verhindert wird, gerade weil er die Grundwerte der EU verteidigt hat, ist das ein Armutszeugnis für unsere Gemeinschaft", sagte etwa der Abgeordnete Udo Bullmann (SPD).

SPD strikt gegen "Flintenuschi"

Die SPD mit ihren 16 Abgeordneten hat bereits angekündigt, von der Leyen geschlossen abzulehnen. Auf Twitter kursiert unter SPD-Abgeordneten der Hashtag #nichtmitmeinerstimme. "Ich werde 'Flintenuschi' nicht wählen", schrieb etwa die bayerische Abgeordnete Maria Noichl.

Jens Geier, Leiter der SPD-Delegation im Europaparlament, sagte dem "Spiegel", viele sozialdemokratische EU-Abgeordnete aus Großbritannien, Österreich, Frankreich und den Benelux-Ländern würden die Haltung der SPD teilen. Immerhin: Die sozialdemokratische Fraktionschefin im Europaparlament, Iratxe Garcia, will nicht voreilig urteilen. Zwar sei es nicht gerade ein gutes Empfehlungsschreiben, dass von der Leyens Nominierung von den Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei unterstützt werde, sagte sie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Sie betonte aber: "Wir werden die Person aber nicht beurteilen, bevor wir ihr zugehört haben."

Ursula von der Leyen soll beim Klimaschutz liefern

Es wird also auch darauf ankommen, was von der Leyen inhaltlich zu bieten hat. Am heutigen Mittwoch will sie erstmals öffentlich ihre Pläne und Ziele für Europa erklären.

Konkrete Zugeständnisse haben die Grünen gefordert: Der Grünen-Sprecher im Europäischen Parlament, Sven Giegold, macht die Zustimmung der Abgeordneten seiner Partei von zwei Punkten abhängig: "Wir wollen mehr europäische Demokratie und mehr grüne Politik", sagte Giegold der "Passauer Neuen Presse". Er fordert eine "Reform des EU-Wahlrechts, um die Spitzenkandidaten und europaweiten Wahllisten für die Zukunft festzuschreiben".

Die weiteren Kernforderungen der Grünen seien konsequenter Klimaschutz, mehr sozialer Zusammenhalt sowie die Einhaltung der Bürgerrechte und der Menschenrechte.

Vermutlich wird die Fraktion von Grünen und EFA (Europäische Freie Allianz) nicht geschlossen votieren. Für von der Leyen heißt das: Kampf um jede einzelne Stimme.

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • afp
  • Pressemitteilung von Udo Bullmann vom 2. Juli 2019
  • Maria Noichl auf Twitter
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