US-Präsident Donald Trump hat den Abzug weiterer Truppen aus Afghanistan angeordnet. Die Nato-Partner sind in Aufruhr. Damit könnte Trump in den letzten Tagen seiner Amtszeit dafür sorgen, dass die letzten 20 Jahre in Afghanistan umsonst waren.
Alle Appelle und Warnungen waren umsonst: US-Präsident
Bis zum 15. Januar soll die Anzahl der US-Soldaten auf etwa 2.500 reduziert werden. Die Alliierten sind alarmiert. Zerstört Trump in den letzten Wochen seiner Amtszeit alles, was in Afghanistan in knapp 20 Jahren erreicht wurde?
Warum wird die Entscheidung von Donald Trump als gefährlich angesehen?
Die Truppen der USA und der Nato-Partner unterstützen in Afghanistan die demokratisch gewählte Regierung. Sollten sie überhastet abgezogen oder stark reduziert werden, könnten die militant-islamistischen Taliban trotz der laufenden Friedensgespräche versucht sein, die Chance für eine gewaltsame Machtübernahme zu nutzen.
Für die junge Demokratie in Afghanistan und Fortschritte bei Frauenrechten oder Medienfreiheit wäre eine solche Entwicklung vermutlich der Todesstoß. Zudem droht Afghanistan wieder ein Rückzugsort für internationale Terroristen zu werden, die Angriffe auf Nato-Länder planen.
Der Preis für ein zu schnelles oder unkoordiniertes Verlassen des Landes könnte sehr hoch sein, warnt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Und auch Bundesaußenminister
Welche Auswirkungen wird der neue Abzugsbefehl Trumps auf den Nato-Einsatz haben?
Das ist noch unklar. Die Nato sagt zwar: "Auch mit weiteren US-Kürzungen wird die Nato ihren Einsatz zur Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte fortsetzen."
Militärs räumen aber ein, dass die Truppenreduzierung Auswirkungen auf den Einsatz der Partnernationen haben dürfte. Schon jetzt liegen die Ausbildungsprogramme für die afghanischen Streitkräfte wegen der Corona-Pandemie zum größten Teil auf Eis.
Zuletzt waren noch zwischen 4.500 und 5.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Ein Großteil von ihnen beteiligt sich auch an der Nato-Mission Resolute Support, deren Stärke zuletzt mit unter 12.000 Soldaten angegeben wurde.
Was bedeutet die Ankündigung Trumps für die Bundeswehr?
Der Einsatz in Afghanistan ist einer der längsten und der verlustreichste in der Geschichte der Bundeswehr. Und es ist zweifelsfrei derjenige, der die Truppe am stärksten geprägt hat.
Seit 19 Jahren sind deutsche Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Zehntausende waren während ihrer Laufbahn irgendwann einmal in Afghanistan stationiert. 59 deutsche Soldaten kamen dort ums Leben, der größte Teil in Gefechten oder bei Anschlägen. Genau deswegen ist es für die Truppe jetzt so wichtig, dass der Einsatz nicht einfach sang und klanglos abgebrochen wird, sondern dass es einen geordneten Rückzug gibt.
Die Soldaten müssten die Gewissheit haben, "dass das, wofür sie gekämpft haben, auch nachhaltig abgesichert werden kann", sagt Verteidigungsministerin
Wie viele deutsche Soldaten sind denn überhaupt noch dort?
Derzeit sind etwa 1.200 deutsche Soldaten in Afghanistan. Im Norden des Landes hat Deutschland die Führungsrolle des Nato-Einsatzes "Resolute Support" übernommen.
Etwa 1.000 Soldaten sind im nördlichen Hauptquartier Camp Marmal stationiert, die restlichen verteilen sich auf Kundus, Bagram und die Hauptstadt Kabul.
Warum stocken Deutschland und die anderen Nato-Partner nicht einfach ihre Truppen auf und führen den Einsatz ohne die USA weiter?
Dazu sind sie schlicht und ergreifend nicht bereit und wohl auch nicht in der Lage. Die Amerikaner sorgen zum Beispiel dafür, dass verletzte Soldaten schnell in Sicherheit gebracht und versorgt werden können.
Zudem stellen die USA wichtige Aufklärungsgeräte und Kampfflugzeuge, die bei Angriffen auf Nato-Soldaten schnell eingreifen können. Der Abzug solcher Kräfte könnte also dazu führen, das die im Land verbleibenden Soldaten gefährdet werden.
Das zu vermeiden, ist auch für die Bundesregierung das Wichtigste: "Wie immer die Entwicklung sein wird: Die oberste Priorität hat die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten vor Ort", sagt Kramp-Karrenbauer.
War nicht ohnehin ein Abzug aller internationaler Truppen bis Ende April 2021 geplant?
Ja, er soll aber nur erfolgen, wenn die Taliban Absprachen zu den laufenden Friedensgesprächen einhalten. Dazu gehört, dass die Gewalt im Land spürbar reduziert wird und die Taliban ihre Beziehungen zu anderen Terrororganisationen beenden.
Außerdem gilt bei dem Nato-Einsatz seit zwei Jahrzehnten das eiserne Prinzip: "Gemeinsam rein, gemeinsam raus." Die unabgesprochene Ankündigung Trumps wirkt auf die Bündnispartner auch deshalb verstörend.
Was bedeuten die Ankündigungen Trumps für die laufenden Friedensgespräche?
Seit der Aufnahme der afghanischen Friedensgespräche Mitte September gibt es keine wesentlichen Fortschritte in Doha. Eine Waffenruhe lehnen die Taliban weiter ab. Gleichzeitig propagieren sie den Abzug intern als "Sieg über eine Besatzungsmacht".
Sollte der Schutz der Amerikaner schwinden, könnten die afghanischen Streitkräfte wieder in die Offensive gehen - sie hatten sich jüngst zurückgehalten. Experten in Kabul befürchten, dass der Konflikt wieder eskalieren und damit auch die Anzahl ziviler Opfer steigen könnte.
Dies gefährdet nach Einschätzung von Diplomaten den Friedensprozess. Längst werden Stimmen laut, die eine Neubewertung der Gespräche fordern.
Kann der künftige US-Präsident Joe Biden die Truppenreduzierung wieder rückgängig machen?
Theoretisch ist das möglich, innenpolitisch birgt der Schritt aber große Risiken. Der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begonnene Militäreinsatz in Afghanistan ist mittlerweile der längste in der Geschichte der USA und unbeliebt - mehr als 2.000 amerikanische Soldaten sind mittlerweile am Hindukusch ums Leben gekommen.
Für eine Wiederaufstockung der Truppen spricht hingegen, dass es für einen amerikanischen Präsidenten ein noch größeres Debakel sein könnte, wenn Afghanistan wegen eines überhasteten US-Rückzugs wieder in Chaos und Gewalt versinkt.
Aus diesem Grund hatte schon Trumps Vorgänger Barack Obama sein ursprüngliches Ziel aufgegeben, alle US-Truppen aus Afghanistan heimzuholen. (ff/dpa)
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