Der Streit um den UN-Migrationspakt wird immer lauter. Die Runde bei "Maischberger" schlingert zwischen Versachlichung und populistischen Versuchungen hin und her. Besonders ein TV-Moderator ledert los.

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Mutter, der Mann mit dem Viagra ist da. Claus Strunz, bekannt aus dem Frühstücksfernsehen, war mal wieder bei "Maischberger" - im selben Studio, in dem er vor rund zwei Jahren in einem denkwürdigen Auftritt den Populismus als "Viagra für die erschlaffte Demokratie" bezeichnet hatte.

Ganz so schief war das Bild nicht, die Debattenkultur im Land lässt sich recht treffend als "dauererregt" beschreiben. Und wie zum Beweis lieferte auch die Runde am Mittwochabend viele Emotionen, viel Bauchgefühl – und unbefriedigend wenige Fakten.

Das war das Thema

Ein Papier, das lange Zeit niemanden so recht interessiert hat: Der "Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration" der Vereinten Nationen - seit September 2016 geplant, ab April 2017 in Arbeit, im Juni 2018 in Textform gegossen. Und seit dem Herbst plötzlich in den Schlagzeilen, weil immer mehr Regierungen ihre Zustimmung versagten, darunter auch Österreich.

Aus dem Nachbarland schwappte das Thema nach Deutschland: Die AfD lobte die Entscheidung von Sebastian Kurz' Koalition aus ÖVP und FPÖ ausdrücklich, Kurz' Duzfreund Jens Spahn verband den Migrationspakt gleich mal mit seinem Kampf um die Nachfolge von Angela Merkel.

Auf sein Betreiben wird das Papier auf dem Parteitag im Dezember abgestimmt, schon am heutigen Donnerstag bringt die große Koalition eine Resolution in den Bundestag ein.

Und Sandra Maischberger fragte gestern Abend: "Streit um den Migrationspakt: Chance oder Risiko?"

Diese Gäste diskutierten mit Sandra Maischberger

Pragmatisch, wie er ist, wird sich Manfred Weber gefreut haben, dass Sandra Maischberger ihn sicherheitshalber recht ausführlich vorstellte. Der CSU-Mann gilt seit Sommer ja als Favorit auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident, was die Kollegen vom ZDF zur Frage veranlasste: "Manfred … wer?" Webers Bekanntheitsgrad dürfte nun gestiegen sein, in der Migrationsfrage positionierte er sich klar auf der Linie von Angela Merkel: "Wir wollen die Außengrenzen schützen, aber trotzdem die Humanität wahren."

AfD-Chef Alexander Gauland wiederholte seine Warnung aus dem Bundestag, der Pakt werde Millionen Menschen ermuntern, sich auf den Weg Richtung Deutschland zu machen: "Weil in dem Papier Migration als etwas Gutes dargestellt wird." Außerdem fürchtet Gauland, dass sich über die eigentlich unverbindlichen Regeln "auf hinterlistige Weise ein Gewohnheitsvölkerrecht" entstehe.

Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan bemühte sich um Differenzierung. "Nicht für jeden ist Migration eine Quelle des Wohlstandes", sagte die SPD-Veteranin. "Aber der Pakt richtet sich gegen die Aversion gegen Zuwanderung, er sieht sie nicht nur negativ."

Die leidenschaftlichste Werbung für den Pakt legte Cem Özdemir hin: "Wir lernen damit aus 2015: Kein Land kann das Problem allein lösen." Für ihn seien die wichtigsten Inhalte des Pakts klar im deutschen Interesse: "Unsere Souveränität bleibt erhalten, wir wollen die Schlepper bekämpfen, und drittens den Menschen dort helfen, wo sie leben."

Dafür erntete der Grüne sogar Lob von Claus Strunz, der Özdemirs Analyse als goldene Mitte in einer Diskussion "zwischen Märchenstunde und Angstmache" adelte. Ein Platz, den der Ex-Bams-Chef ansonsten nur sich selbst zugesteht: "Warum können das die Politiker nicht so gut erklären?", rief er bewundernd aus, nachdem er sich und der Runde den Unterschied zwischen legaler Migration und Asyl dargelegt hatte.

Überhaupt habe die Regierung bei der Kommunikation des Migrationspaktes versagt: "Das wirkt wie das Berliner Raumschiff. Hat eigentlich jeder Abgeordnete eine Bürgersprechstunde dazu abgehalten?" Den praktischen Einwand Gesine Schwans, dass die Parlamentarier nicht mehr zum Arbeiten kommen, wenn sie zu jeder UN-Vereinbarung eine Sprechstunde abhalten, ließ Strunz noch halbwegs gelten. Aber er wäre nicht Claus Strunz, wenn er nicht noch einen auf Lager hätte: "Wenn ich mitkriege, dass mein Land implodiert wegen der Migrationsfrage, dann mache ich doch mehr als die Regierung."

Das war der Schlagabtausch des Abends

Kein intellektueller Schwergewichtskampf wie die ersten zwölf Partien zwischen Carlsen und Caruana, eher der schnelle Tie-Break.

Cem Özdemir beschwört die Zusammarbeit "aller Demokraten", Gauland ahnt, dass seine Partei nicht mitgemeint ist und interveniert. Zum Ärger von Özdemir: "Die Loyalität ihrer Partei zu Putin ist höher als die zum Grundgesetz."

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Immerhin, hakte Maischberger an dieser Stelle etwas unvorhergesehen ein, sei die AfD ja nun eine ganz normale Partei. "Sie haben jetzt auch ihre Spendenaffäre."

Seitenhieb oder ungelenke Überleitung? Eher ersteres, schließlich wollte sie gar nicht über das Geld aus der Schweiz reden. Stattdessen hielt sie Gauland kurze Zeit später einen CDU-Mitgliedsantrag hin. "Wenn Merz gewinnt, füllen sie ihn aus?"

Wohin die Einlage führen sollte, unklar – jedenfalls gab sie Gauland die Gelegenheit, den Spruch zu recyceln, den er vor zwei Wochen schon bei "Maybrit Illner" platziert hatte: "Ich sage bestimmt nicht, wen ich präferiere, sonst hätte derjenige gleich fünf Prozent weniger Stimmen."

Es blieben die einzig, nun ja, originellen Ansätze an einem Abend, an dem Maischberger eher ruhig und wohltuend strukturiert durch das heikle Thema führte.

Offen blieb eine zentrale Frage, die Kritiker immer wieder gegen den UN-Migrationspakt verwenden: Wie kann es sein, dass die Einigung rechtlich unverbindlich, aber gleichzeitig politisch verbindlich sein soll? Was bedeutet das überhaupt?

Vielleicht hätte sie zur Beantwortung einen Völkerrechtler einladen sollen, Andreas Fischer-Lescano etwa, der in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" den "unverbindlich-verbindlichen Hybrid" erklärt. Zehn Minuten für ihn, und die Zuschauer wären schlauer ins Bett gegangen.

Das sind die Erkenntnisse

Stattdessen durfte Claus Strunz behaupten, "kein Mensch" würde verstehen, dass man sich auf etwas verpflichte, was im Ernstfall nicht gelte – und illustrierte es mit einem merkwürdigen Beispiel: "Das ist, als wenn einer sagt, ich liebe dich, aber heiraten will ich dich nicht."

Abgesehen davon, dass so etwas andauernd vorkommt, müsste Strunz nur einen Schritt weiter denken: an den Treueschwur vor dem Altar. Oder an ein unverfängliches Beispiel, das Kevin Kühnert twitterte: WG-Putzpläne.

Man könnte den Menschen diesen Pakt erklären, nur hat die Regierung mit ihrer Kommunikationsstrategie den Verschwörungstheorien Raum zur Entfaltung gelassen.

Nun wird es schwer, sie wieder einzufangen, so viel Mühe sich etwa Manfred Weber auch gab: "Ich mache seit 15 Jahren Europapolitik und ich war bayrischer Landtagsabgeordneter", sagte er. "In allen Debatten kamen UN-Resolutionen nur selten vor. Die Souveränität unserer Parlamente wird nicht eingeschränkt."

Was passiert, wenn der CDU-Parteitag sich gegen das Papier entscheidet, wollte Weber aber nicht erläutern. Ohnehin scheint die Entscheidung für ihn schon gefallen. "Ich finde es gut, dass es diskutiert wird, aber ich glaube an ein Ja."

Wasser auf die eh schon hochtourigen Mühlen von Claus Strunz: "Da wird wieder nur abgenickt." Stattdessen wünsche er sich, dass die Regierung die Akklamation am 11. Dezember in Marrakesch einfach auslasse. "Wir können auch noch in einem Jahr unterschreiben." Aber die Bürger würden nicht ernst genommen, schnaufte er, "und deswegen sagen immer mehr Leute: Geht's noch Deutschland?" Und was für ein Zufall: Strunz hat gerade ein Buch mit genau diesem Titel geschrieben.

Ein PR-Genie wie Strunz bräuchte die deutsche Regierung. Nicht einen kleinlauten Manfred Weber, der darauf hinwies, dass heute eine Mehrheit des Bundestages eine Resolution pro Migrationspakt beschließen wird. "Das ist ein demokratisches Mandat, das man nicht unterschätzen sollte."

Aber was ist das schon in einer Zeit des Raunens, in dem sich in jeder Talkshow zeigt, dass sich selbst demokratisch gewählte Abgeordnete nicht auf eine Faktenlage einigen können? "Das Schlimmste an diesem Pakt ist, dass Flüchtlingsschicksale mit der Wirtschaftsmigration vermischt werden", behauptete Alexander Gauland.

Nun hätte Cem Özdemir ihn darauf hinweisen können, dass im Text der UNO ausdrücklich steht: "Es handelt sich bei ihnen um verschiedene Gruppen, die separaten Rechtsrahmen unterliegen." Er hätte ihn darauf hinweisen können, dass es einen eigenen Pakt für Flüchtlinge gibt. Aber Özdemir versuchte es anders: "Wären Sie so fair zuzugeben, dass das nur Ihre Interpretation des Textes ist?" Gaulands Antwort: "Nein."

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