- Die Einführung des Bürgergelds ist vorerst im Bundesrat gescheitert.
- Der Vermittlungsausschuss soll nun schnell eine Lösung finden.
- Warum die Gesetzgebung in Deutschland manchmal kompliziert ist – und warum der Vermittlungsausschuss in Zukunft öfter gefragt sein könnte.
In Deutschland beschließt der Bundestag die Gesetze und legt damit die Regeln für das gesellschaftliche Miteinander fest. Das ist korrekt – und doch nur ein Teil der Wahrheit. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das Grundgesetz für die neue Bundesrepublik geschrieben wurde, lautete ein Ziel, der Macht des Bundes Grenzen zu setzen. Auch die regierenden Parteien sollten nicht ohne Weiteres immer und überall ihre Projekte durchsetzen können.
Die Gesetzgebung in Deutschland ist manchmal bewusst kompliziert – das zeigt sich auch jetzt wieder.
Am Montag hat der Bundesrat die Einführung des Bürgergelds, das die bisherige Grundsicherung Hartz IV ablösen soll, vorerst gestoppt. In der vergangenen Woche hatte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bundestag das Bürgergeld beschlossen. Im Bundesrat aber erhielt es keine Mehrheit. Jetzt soll der Vermittlungsausschuss eine Lösung finden. Zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode kommt damit ein Gremium ins Spiel, das so etwas wie das wichtigste Hinterzimmer der deutschen Demokratie ist.
Bundesrat: Ländervertretung mit Blockade-Potenzial
Zunächst aber zurück zum Bundesrat: Über dieses Verfassungsorgan wirken die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mit. Seine Funktion ist grob vergleichbar mit dem Senat in den USA. Allerdings sitzen im Bundesrat keine speziell dafür gewählten Abgeordneten, sondern die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen sowie Ministerinnen und Minister der Landesregierungen. Das ist im weltweiten Vergleich höchst ungewöhnlich.
Will der Bundestag ein Gesetz verabschieden, das in die Finanzen oder Verwaltungsaufgaben der Länder eingreift, so ist das nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich. Man spricht in diesem Fall von Zustimmungsgesetzen. Die Länder können über den Bundesrat also verhindern, dass der Bund ihnen Aufgaben aufhalst, die sie nicht stemmen können oder wollen. "Der Bundesrat ist die Stimme der Länder", sagt Ina Scharrenbach (CDU), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen und Mitglied des Bundesrats. "Damit haben die Länder eine wichtige Kontrollfunktion und können ihre Interessen auf der Bundesebene vertreten."
Allerdings hat dieses Konstrukt noch eine weitere Folge: Sie gibt der Opposition die Möglichkeit, bestimmte Gesetze der Regierungskoalition zu verhindern. So war es in den letzten Jahren der Regierung von Helmut Kohl (CDU) 1997 und 1998: SPD-geführte Bundesländer blockierten damals unter der Führung des damaligen SPD-Chefs Oskar Lafontaine zahlreiche Gesetze der schwarz-gelben Bundesregierung.
Theoretisch könnte in den kommenden Jahren Ähnliches passieren. Der Bundesrat hat insgesamt 69 Sitze. CDU und CSU sind derzeit an acht Landesregierungen beteiligt, die zusammengenommen über 39 Sitze verfügen. Stimmen all diese Landesregierungen gegen ein Gesetz oder enthalten sich, erhält es im Bundesrat keine Mehrheit. So wie nun im Fall des Bürgergelds.
Vergangene Jahre waren von Zusammenarbeit geprägt
In den vergangenen Jahren wurde das Veto-Potenzial des Bundesrats eher selten genutzt. Erstens kommt eine Blockadehaltung der Opposition bei Wählerinnen und Wählern in der Regel schlecht an. Zweitens ist der Anteil der Gesetze, die nur mit Zustimmung des Bundesrats in Kraft treten können, seit einer Föderalismusreform 2006 von 49 auf 38 Prozent gesunken. Zwischen 2002 und 2005 kam der Vermittlungsausschuss in 102 Fällen in Spiel, in denen sich die damalige rot-grüne Bundesregierung und der schwarz-gelb dominierte Bundesrat nicht einigen konnten. Zwischen 2017 und 2021 war das nur noch bei sieben Gesetzen der Fall.
Denn drittens war die Politik in den vergangenen Jahren häufig von einem Konsens zwischen Bund und Ländern geprägt: Während der großen Fluchtbewegung und in der Corona-Krise stimmten Kanzleramt und Landesregierungen ihre Maßnahmen oft so eng ab, dass die Verabschiedung von Gesetzen in Bundestag und Bundesrat eher Formsache war.
Zur Zeit der Großen Koalition war zwar die Grünen, die wegen ihrer zahlreichen Beteiligungen an Landesregierungen Gesetze behindern konnten. Das machten sie aber kaum. "Die Grünen haben in vielen Fällen Entscheidungen der Großen Koalition letztlich mitgetragen. Es handelte sich fast um eine informelle schwarz-rot-grüne Koalition“, sagt Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier.
"Es hängt jetzt viel vom Stil der Opposition ab"
Inzwischen ist die Lage etwas anders. CDU und CSU sind jetzt in der Opposition und können über den Bundesrat ihre politischen Muskeln spielen lassen. "Es hängt jetzt viel vom Stil der Opposition ab: Setzt sie eher auf Wettbewerb oder auf Zusammenarbeit mit der Regierung?", sagt Politikwissenschaftler Jun. CDU-Chef Friedrich Merz habe bisher mal in die eine, mal in die andere Richtung agiert. "Er hat aber deutlich gemacht, dass er durchaus bereit ist, die Instrumente der Opposition zu nutzen."
Aus den Ländern – und zwar nicht nur aus den unionsgeführten – kommt zudem immer wieder der Vorwurf, die regierende Ampel-Koalition nehme weniger Rücksicht auf sie als die Vorgänger-Regierung. "Das ist wie mit Edelstahl und Diebstahl: Hört sich ähnlich an, hat aber nichts miteinander zu tun. Für mich gibt es faktisch keine vertrauensvolle Zusammenarbeit des Bundes mit uns", sagte der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) im September im Interview mit unserer Redaktion.
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour übte am Montag deutliche Kritik an der Union, weil sie das Bürgergeld im Bundesrat nicht mittragen wollte. "Die Union hat blockiert, das ist extrem misslich", sagte Nouripour auf einer Pressekonferenz. "Das ist ein Zeugnis davon, welchen Oppositionskurs die Union fahren will: nämlich gegen alles zu sein." Wenn die Ampel-Koalition etwas unterschätzt habe, dann sei es "die Bereitschaft von Friedrich Merz, Oskar Lafontaine zu spielen".
Die CDU will sich diesen Vorwurf dagegen nicht gefallen lassen. "Den Bundesrat in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen, ist hier das völlig falsche Signal", sagte NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach. "Die Länder entscheiden zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Land."
"Man muss sich ertragen": Lösungssuche im Vermittlungsausschuss
Mit dem Bürgergeld wird sich nun also der Vermittlungsausschuss beschäftigen. Er muss einen Kompromiss finden, dem dann Bundestag und Bundesrat wieder zustimmen müssten. Die Zeit drängt, wenn das Bürgergeld-Gesetz wie von der Ampel-Koalition versprochen zum 1. Januar 2023 in Kraft treten soll.
Der Vermittlungsausschuss besteht aus insgesamt 32 Mitgliedern: 16 Bundestagsabgeordnete sowie 16 Vertreter der Landesregierungen (oft die Ministerpräsidentinnen oder -präsidenten). Der Ausschuss habe in seiner 70-jährigen Geschichte schon häufig bewiesen, dass er "große Themen einigen kann", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Montag im Bundesrat.
Das Ganze geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also hinter verschlossenen Türen. Vertraulichkeit ist das höchste Gebot. Das soll die Chancen erhöhen, über Parteigrenzen hinweg einen Kompromiss zu finden – ohne dass dieser sofort öffentlich zerredet wird oder jemand als Umfaller dasteht. Ob das auch dieses Mal beim Bürgergeld gelingt? Man wird sehen.
Die Suche kann jedenfalls lang und aufreibend sein. Der frühere Bremer Bürgermeister und erfahrene Verhandler Henning Scherf sagte einmal dem Deutschlandfunk: "Man darf nie kränken, man muss es fröhlich halten. Man muss sich ertragen – auch in seiner Unterschiedlichkeit."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Prof. Dr. Uwe Jun, Universität Trier
- Büro von Ina Scharrenbach, Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung Nordrhein-Westfalen
- Pressekonferenz Bündnis 90/Die Grünen
- Bundesrat.de: Statistik
- Deutschlandfunk.de: Schlichtungsstelle der Demokratie
- Vermittlungsausschuss.de
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