Seehofer. Merkel. Flüchtlinge. Asylstreit. Der Zoff in der Union dominiert die politischen Debatte in Deutschland vollkommen und bremst dringend notwendige Maßnahmen für Probleme aus, die den Wähler tatsächlich unmittelbar betreffen.

Mehr aktuelle News

Seit Wochen beherrscht der Asylstreit zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer die deutsche Politik.

Und auch nach dem Kompromiss bleiben Fragen offen, deren Beantwortung neues Konfliktpotenzial birgt. Dennoch gibt es weitaus dringlichere Probleme, die die volle Aufmerksamkeit der Bundesregierung erfordern. Eigentlich.

Denn auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer monierte unlängst: "Mich bedrückt der Streit auch deshalb, weil sich gerade so viel verändert, wir aber auf der Stelle treten."

In einer vom Meinungsforschungsinstitut Forsa für RTL und NTV durchgeführten Umfrage unter 1.033 Menschen in Bayern waren 75 Prozent der Befragten der Auffassung, dass es andere Probleme gibt, "die genauso wichtig oder sogar noch wichtiger sind" als die Flüchtlingspolitik. Selbst unter den Anhängern der Christsozialen vertraten 66 Prozent diese Meinung.

Wir haben wichtige Felder und Vorhaben unter die Lupe genommen:

Klimaschutz

Zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen mussten Union und SPD eingestehen: Das selbst gesteckte Ziel, den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist nicht mehr zu schaffen. Eine politische Blamage.

Angela Merkel versucht nun, ihren Ruf als Klimakanzlerin zu retten. Dass zwischenzeitlich eine Kommission zur Zukunft der Kohleverstromung gebildet wurde und es eine deutsch-französische Arbeitsgruppe geben soll, die gemeinsame Standpunkte zur Energiewende definiert, geht Umweltschützern jedoch nicht weit genug.

"Mit Absichtserklärungen und der Bildung von Arbeitsgruppen wird die Klimakrise nicht gestoppt", sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. "Visionen oder konkrete Pläne hat Merkel keine geliefert", kritisiert Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND.

Mietpreisbremse

In vielen Ballungszentren Deutschlands mieten sich die Menschen trotz eines regulären Gehalts arm.

Weil die Mietpreisbremse in ihrer bisherigen Form häufig nicht wirkt, hat die GroKo angekündigt, sie zu verschärfen. Justizministerin Katharina Barley (SPD) hat Anfang Juni einen Gesetzesentwurf vorgelegt - der es allerdings wohl nicht durchs Parlament schaffen wird.

Grund dafür ist der Widerstand des eigenen Koalitionspartners. Denn der Union missfällt, dass Vermieter dazu verpflichtet werden sollen, einem neuen Mieter Auskunft über die Vormiete geben zu müssen.

Sie will einen solchen Auskunftsanspruch nur für den Fall, dass die verlangte Miete zehn Prozent oder mehr über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt.

Wohnbau

1,5 Millionen neue Wohnungen bis 2021 hat die Bundesregierung versprochen. Doch vom GdW, dem größten Branchenverband der Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften, heißt es schon jetzt: "Das wird nicht klappen."

Schon rein zeitlich sei das Ziel unrealistisch: Von der Planung bis zur Fertigstellung von Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus gingen heute im Durchschnitt 48 Monate ins Land. 2015 waren es noch 29.

Neben Kapazitätsengpässen in der boomenden Bauwirtschaft sind dafür laut GdW auch komplizierte Vorschriften verantwortlich.

Bildung

Zehn Milliarden Euro zusätzlich für Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen - der Betrag ließ aufhorchen.

Und auch unabhängig vom Geld hat sich die GroKo in Sachen Bildung viel vorgenommen. Sie will überkommene Strukturen aufbrechen. Ein sogenannter Nationaler Bildungsrat soll dabei helfen.

Anfang Juni hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) einen Vorschlag zur Stimmverteilung in dem Expertengremium vorgelegt und sich damit den Zorn der Kultusminister der Länder zugezogen.

Denn die sollen weniger Stimmen bekommen als der Bund, und das, obwohl Bildung doch Ländersache ist. Eine Lösung des Streits ist bislang nicht in Sicht. Das Projekt steckt in einer Sackgasse.

Europa

Vom "neuen Aufbruch für Europa", wie ihn Union und SPD im Koalitionsvertrag angekündigt haben, ist bislang nicht allzu viel zu spüren. Das Ringen um eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik bremst andere Pläne aus.

So musste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron monatelang auf Angela Merkels Antwort auf seine zahlreichen Reformvorschläge für die EU warten - er bekam sie nicht etwa in einer Regierungserklärung, sondern recht nüchtern in einem Zeitungs-Interview.

Wie schwierig die Sache mit dem Aufbruch ist, hat sich nicht nur am Beispiel des geplanten Haushalts für die Eurozone gezeigt.

Vom großen Wurf, den vor allem Macron geplant hatte, war nach dem EU-Gipfel nurmehr ein Reförmchen übrig.

Sozialpolitik

In der Sozialpolitik hat die Bundesregierung bereits an einigen Stellschrauben gedreht: Künftig gibt es mehr Kindergeld und einen höheren Kinderfreibetrag. Die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen, jene zur Arbeitslosenversicherung sinken. Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge ist beschlossen.

Experten bezweifeln jedoch, dass diese Maßnahmen den "kleinen Leuten“ zugutekommen, wie Innenminister Horst Seehofer versprochen hat.

Der Kampf gegen die Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen gleicht einem unbestellten Feld.

Breitbandausbau

In puncto schnelles Internet haben schon viele Bundesregierungen ihre Versprechen gebrochen und viel deutet darauf hin, dass sich die aktuelle GroKo in diese unrühmliche Liste einreihen wird. Bis 2025 soll es flächendeckend Gigabit-Netze geben - eigentlich.

Der Europäischen Rechnungshof jedoch hat Deutschland jüngst bescheinigt, diese Ziel wohl nicht erreichen zu können. Denn die Verantwortlichen setzten weiter auf die Vectoring-Technologie.

Diese ermöglicht es, mit den vorhandenen Kupferleitungen schneller als bislang zu surfen. "Geschwindigkeiten von einem Gigabit pro Sekunde werden jedoch wahrscheinlich nicht zu verwirklichen sein."





JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.