Bei einem Messerangriff in Mannheim wurde ein Mensch getötet, fünf Menschen wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter ist afghanischer Herkunft. Nun werden Forderungen laut, Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen. Ganz so einfach ist das aber nicht.
Als die radikal islamistischen Taliban 2021 die Kontrolle über Afghanistan wieder übernahmen, fällte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Entscheidung: Er ließ Abschiebungen in das zentralasiatische Land aussetzen. Ein Rechtsstaat trage dafür Verantwortung, "dass Abschiebungen nicht zur Gefahr für die Beteiligten werden", sagte er. "Sobald es die Lage zulässt, werden Straftäter und Gefährder wieder nach Afghanistan abgeschoben."
Knapp drei Jahre später kommt es zu einem mutmaßlich islamistischen Attentat in Mannheim. Ein 25-jähriger Afghane verletzte am Freitag fünf Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa sowie einen Polizisten mit einem Messer. Der 29 Jahre alte Beamte Rouven Laur erlag später seinen Verletzungen. Der mutmaßliche Täter soll 2014 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen sein.
Wer fordert Abschiebungen nach Afghanistan?
In weiten Teilen der Politik wird nun eine Forderung erhoben: Straftäter mit afghanischer Staatsbürgerschaft sollen wieder in ihre Heimat abgeschoben werden können.
"Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er aus Afghanistan kommt. Hier wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Täters", sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD).
Er forderte: "Wir müssen einen Weg finden, für Straftäter, aber auch für Gefährder und islamistische Verfassungsfeinde, Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen." Die Innenministerrunde der Länder solle das Bundesinnenministerium bitten, die Sicherheitslage in Afghanistan und in der Region der syrischen Hauptstadt Damaskus neu zu bewerten.
Mehrere unionsregierte Bundesländer unterstützten den Vorschlag Grotes. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der "Bild": "Personen, die hier islamistisch auffällig werden, sollten auch in Länder abgeschoben werden, in die das bisher nicht möglich war, wie beispielsweise Afghanistan."
Abschiebungen: Wie ist die rechtliche Lage?
Die Frage, ob eine Abschiebung zulässig ist, kann Deutschland nicht allein entscheiden. Dafür gibt es Regeln im Völkerrecht. Ein wichtiges Prinzip ist das Refoulment-Verbot beziehungsweise der Grundsatz der Nichtzurückweisung. Demnach darf eine Person nicht in ein Land abgeschoben werden, wo ihr Verfolgung oder Folter drohen. Dieses Prinzip ist sowohl in der Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert.
Auch in das Aufenthaltsrecht der Bundesrepublik wurde diese Einschränkung für Abschiebungen aufgenommen. Dort heißt es: "Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht."
Die Frage lautet also: Darf gemäß dem Refoulment-Verbot nach Afghanistan abgeschoben werden oder nicht?
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sind in einem nur wenige Wochen alten Gutachten genau dieser Frage nachgegangen. Das Ergebnis ist uneindeutig: Es gibt sich widersprechende gerichtliche Urteile dazu. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die rechtliche Zulässigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan "nicht verallgemeinernd und abschließend beurteilt werden" könne.
Wären Abschiebungen nach Afghanistan praktisch möglich?
Bei Abschiebungen nach Afghanistan steht man in Deutschland vor einem großen Problem: Die Bundesrepublik erkennt die Taliban-Herrschaft nicht an. Das macht Abschiebungen in das Land vorerst unmöglich – es gibt in Afghanistan schlicht keine Regierung, mit der man offiziell über die Rücknahme ihrer Staatsbürger verhandeln könnte.
Auf dieses Problem verweist auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor. "Wollen wir wirklich diplomatische Beziehungen mit dem Taliban-Regime in Afghanistan aufbauen und denen Geld geben, dass sie Menschen nach Afghanistan zurücknehmen?", fragte sie am Dienstag im ARD-Morgenmagazin.
Zudem vermutet Kaddor, dass ein in Deutschland verurteilter Täter unter den radikal islamistischen Taliban womöglich "gar keine Strafe mehr zu befürchten" habe. "Wahrscheinlich wird er dort noch eher belohnt."
Könnten Abschiebungen künftig zulässig werden?
Aus rechtlichen und praktischen Gründen spricht derzeit noch viel gegen Abschiebungen nach Afghanistan. Doch der politische Wille, diese Hürden beiseite zu räumen, ist mittlerweile groß. Bereits im Dezember 2023 hatte die Ständige Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu aufgefordert, den Abschiebestopp nach Afghanistan zu überprüfen.
Aus dem Bundesinnenministerium hieß es am Montag, Ministerin Nancy Faeser (SPD) prüfe intensiv Möglichkeiten, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder erfolgen könnten. In diesen Fällen müsse das Sicherheitsinteresse Deutschlands klar gegenüber dem Bleibeinteresse des Betroffenen überwiegen. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage und der Tatsache, dass keine international anerkannte Regierung in Afghanistan existiere, seien aber schwierige Fragen zu klären.
Konkret werden Justiz und Politik in Deutschland vor allem über diese zwei Fragen entscheiden müssen: Lässt die Situation in Afghanistan Abschiebungen in das Land zu? Und soll die Taliban-Regierung anerkannt werden? Solange diese Fragen nicht beide mit einem Ja beantwortet werden, bleiben Abschiebungen nach Afghanistan vorerst nicht möglich. (jos/dpa/AFP)
Verwendete Quellen
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