Großbritannien will Geflüchtete nach Ruanda ausfliegen, damit sie dort Asyl beantragen. Befürworter des Modells sehen es als Schlüssel zur Reduktion der Flüchtlingszahlen, Kritiker sehen darin einen Bruch internationalen Rechts.

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Seit Monaten fällt in der Asyldebatte immer wieder der Name eines Staates: Ruanda. Das ostafrikanische Land hat sich auf einen Deal mit der britischen Regierung eingelassen. Es will Geflüchtete, die auf irregulären Wegen nach Großbritannien gekommen sind, bei sich aufnehmen. Lange gab es Widerstand gegen den Plan, doch nun ist der Weg frei: Das "Ruanda-Modell" kann umgesetzt werden. Doch wie genau sieht es aus? Und könnte es auch als Vorbild für Deutschland dienen?

Gericht stoppte Pläne der britischen Regierung

"Stop the Boats" lautet der Slogan für die Asylrechtsreform des britischen Premiers Rishi Sunak. Tausende Geflüchtete fahren jährlich mit Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien, immer wieder kommt es dabei zu tödlichen Unglücken.

Sunak will dem ein Ende bereiten und verfolgt dafür einen unkonventionellen, manche sagen, unmenschlichen Plan: Wer künftig irregulär britisches Gebiet betritt, soll nach Ruanda ausgeflogen werden – selbst wenn keinerlei Verbindung zu dem Land besteht. Der Betroffene soll dann in Ruanda Asyl beantragen und dort auch Schutz erhalten können. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen. Das ist, kurz gesagt, das Ruanda-Modell.

Das oberste Gericht in London verhinderte jedoch zunächst dessen Umsetzung. Es sei zweifelhaft, dass in Ruanda ein menschenrechtskonformes Asylverfahren möglich sei, lautete die Begründung der Richter. Die britische Regierung umging das Urteil mit einem zweifelhaften Schritt: Ruanda wurde einfach per Gesetz zu einem sicheren Drittstaat erklärt. "Drittstaat" bedeutet in diesem Kontext ein Land, das weder Herkunfts- noch Zielland eines Flüchtlings ist.

CDU/CSU fordern Ruanda-Modell für Deutschland

Der Begriff "Ruanda-Modell" wird aber auch unabhängig von dem konkreten Drittland benutzt, in das Geflüchtete gebracht werden sollen. Statt Ruanda könnte es also auch Marokko, Moldawien oder Georgien sein. Tatsächlich sind diese drei Länder immer wieder im Gespräch, wenn es um eine Drittstaaten-Lösung für die Europäische Union und für Deutschland geht.

Hierzulande fordern vor allem die oppositionellen Unionsparteien ein deutsches Pendant zum Ruanda-Modell. So heißt es im Europa-Programm von CDU/CSU: "Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat außerhalb der EU gebracht werden und dort ein Verfahren durchlaufen." Wem Asyl zugestanden wird, soll in dem Drittstaat auch Schutz finden und dort bleiben. Willige EU-Staaten sollen wiederum im Gegenzug eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen bei sich aufnehmen.

Voraussetzung für ein solches Arrangement ist laut Unionsprogramm, "dass in sicheren Drittstaaten Asylverfahren stattfinden, die allen rechtsstaatlichen Voraussetzungen entsprechen". Doch genau das ist der Knackpunkt in der Debatte um das Ruanda-Modell – und eines der größten Hindernisse für eine Umsetzung in Deutschland.

Zweifel an Rechtskonformität des Ruanda-Modells

Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt die Migrationsexpertin Petra Bendel, dass es in der Realität schwer zu überprüfen ist, ob Asylverfahren in Drittstaaten menschenrechtskonform durchgeführt werden. Das Ruanda-Modell, glaubt die Professorin der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, untergrabe das individuelle Recht auf Asyl. "Wer das Völkerrecht und das EU-Recht ernst nimmt, muss einen anderen Ansatz wählen", sagte sie.

Rechtliche Grundlage für die deutsche Asylpolitik bilden unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Völkerrechtler Daniel Thym sieht anders als Petra Bendel diese nicht im Widerspruch zum Ruanda-Modell. "Es gibt ein Recht auf Schutz, aber kein Recht auf Schutz in einem bestimmten Land", sagte er gegenüber der "Zeit". Allerdings: "Es kommt auf die Bedingungen an."

Thym weist auf eine weitere Hürde für eine solche Drittstaaten-Lösung in Deutschland hin: Die gerade erst beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schließt es aus, Asylbewerber in Länder zu bringen, zu denen sie keinerlei Bezug haben. Es war die deutsche Regierung, die in den Verhandlungen gegenüber anderen EU-Staaten auf dieser Einschränkung beharrt hatte. Mit dem Ruanda-Modell wäre das nicht vereinbar. Thym: "Um die Verlagerung von Asylverfahren in ein anderes Land praktikabel zu machen, müsste man den EU-Asylkompromiss nochmals verändern."

Deutschland prüft Machbarkeit des Ruanda-Modells

In der Ampel-Koalition haben insbesondere SPD und Grüne Vorbehalte gegen das Ruanda-Modell. Dennoch: Das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD) prüft derzeit die Machbarkeit des Konzepts für den deutschen Kontext. Diesen Schritt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ländern und Kommunen zugesagt. Die sehen sich angesichts steigender Flüchtlingszahlen überfordert. In einer Reihe von Experten-Anhörungen soll nun Für und Wider des Ruanda-Modells erörtert werden.

In absehbarer Zeit werden aber wohl eher keine Geflüchteten von deutschem Boden aus in Drittstaaten gebracht, damit sie dort ein Asylverfahren durchlaufen. Dafür fehlt eine politische Mehrheit und die EU-Regeln ließen dies nicht zu. Die Blicke werden sich nun aber insbesondere nach Großbritannien richten: Je nachdem, ob dort das Ruanda-Modell gelingt oder scheitert, wird das auch Einfluss auf die deutsche Debatte haben.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Petra Bendel, Migrationsforscherin
  • EU-Programm von CDU/CSU
  • zdf.de: Britisches Parlament billigt Ruanda-Asylpakt
  • zeit.de: Das Modell Ruanda scheidet aus
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