Die Politik will irreguläre Einwanderung begrenzen. Dafür gibt es Möglichkeiten, sagt der Migrationsforscher Niklas Harder. Er warnt aber vor falschen Versprechungen. Die Höhe der Sozialleistungen sei nicht entscheidend dafür, wie viele Menschen sich auf den Weg nach Deutschland machen.

Ein Interview

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will es, Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) sowieso und auch die Länder finden: Die Flüchtlingszahlen müssen runter. Nur wie?

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Im Gespräch sind unter anderem schnellere Asylverfahren, konsequentere Abschiebungen und Gutscheine statt Geldleistungen. Der Migrationsforscher Niklas Harder hält viele Vorschläge für nicht ausgereift. Er sagt: Deutschland braucht Zuwanderung – und mehr Möglichkeiten, legal einzureisen.

Herr Harder, knapp ein Drittel aller europäischen Asylanträge wird derzeit in Deutschland gestellt. Woran liegt das?

Niklas Harder: Deutschland liegt zentral in Europa und ist ein großes Land. Eines, das außerdem wirtschaftlich stark ist. So ist Deutschland beispielsweise für etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung der EU verantwortlich. Was Migranten anzieht, ist die Perspektive auf ein besseres Leben. Also ein Staat, der funktioniert und dem es ökonomisch gut geht. All das trifft auf die Bundesrepublik zu.

Zieht der deutsche Sozialstaat Migranten an?

Aus der Forschung gibt es dafür keine Hinweise. Die meisten Geflüchteten kommen nicht, weil sie von Sozialleistungen leben wollen, sie wollen arbeiten. Wir haben eher ein anderes Problem.

Nämlich?

Viele Geflüchtete wollen sofort arbeiten und Geld verdienen. Sinnvoller wäre es aber – gerade bei jungen Menschen –, wenn sie zunächst noch eine Ausbildung absolvieren. Das wäre auch dem langfristigen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt dienlich.

Wer nach Deutschland kommt, darf nicht sofort eine Arbeit aufnehmen. Die Grünen wollen, dass Geflüchtete schneller arbeiten dürfen. Die Union lehnt das strikt ab. Was raten Sie?

Einfach gesagt: Je schneller der Zugang zum Arbeitsmarkt, desto besser. Wartezeiten vernichten Humankapital – also Dinge, die ein Mensch kann, die er gelernt hat. Sie vernichten Motivation und Kompetenzen gehen verloren. Es wäre also richtig, den Zugang zum Arbeitsmarkt schnell zu öffnen.

Die Union will etwas anderes – nämlich verpflichtende allgemeinnützige Arbeit.

Da stellt sich schon die Frage: Warum nicht gleich richtig arbeiten? Der Vorschlag zeigt, worum es geht. Man will Menschen, deren Aufenthaltsstatus noch offen ist, nicht zu früh eine Tür öffnen und ihnen die Möglichkeit geben, in Deutschland zu bleiben – vor allem, wenn sie am Ende keinen Schutzstatus haben. Wäre es aber so schlimm, wenn jemand bleibt, der einen sozialversicherungspflichtigen Job hat? Schließlich bringt sich die Person produktiv in die Gesellschaft ein – und sie versorgt sich selbst.

Ein Problem ist, dass abgelehnte Asylbewerber oft nicht abgeschoben werden können.

Schon aus diesem Grund wäre es gut, Menschen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es geht um einen pragmatischen Umgang mit dem Thema Flucht und Asyl. Natürlich kann man Arbeitsverbote aussprechen. Am Ende hat man aber eine immer weiter wachsende Zahl von Menschen, die von Transferleistungen leben, keine Perspektive haben – und die man am Ende auch nicht abschieben kann, weil die Herkunftsländer sie nicht zurücknehmen.

Den Großteil der Integrationsarbeit leisten Städte und Gemeinden. Nun klagen die Kommunen, dass sie an der Belastungsgrenze angelangt seien. Wie kann man sie unterstützen?

Es stimmt. Die Arbeit wird vor Ort geleistet. Allerdings gibt es keine Daten, wie überlastet einzelne Flüchtlingsunterkünfte sind, ob die Unterbringung klappt oder wie lange die Wartezeit bei der Ausländerbehörde ist. Dafür müsste man alle Landkreise einzeln abfragen. In Teilen wird es sicher eine Überlastung geben. Und dann spielen Geld und Ressourcen natürlich eine Rolle. Ob dieses Problem aber flächendeckend ist, kann ich als Forscher nur schwer einordnen.

Forscher Harder: "Die EU muss sich einen neuen Verteilungsmechanismus überlegen"

Würde der Migrationsdruck nachlassen, wenn Asylbewerber Sach- statt Geldleistungen bekämen?

Diese Möglichkeit gibt es bereits. Das Problem: Es ist mit unheimlich viel Bürokratie und personellem Aufwand verbunden. Wenn ein Asylbewerber ab Oktober eine Winterjacke braucht, müsste er zunächst zu seinem Sachbearbeiter gehen. Der prüft dann, ob die alte Jacke wirklich ausgetragen ist. Und dann muss auch eine neue Jacke vorrätig sein. Die Kommunen müssten also selbst alles lagern, zu einer Art Kaufhaus werden. Das funktioniert nicht. Hinzu kommt: Die Ausländerbehörden haben jetzt schon Probleme, offene Stellen zu besetzen. Das ist also eine Scheindebatte.

Wie lässt sich Migration aus Ihrer Sicht wirkungsvoll steuern?

Die EU muss sich einen neuen Verteilungsmechanismus überlegen. Die aktuelle Regelung scheitert an der Blockadehaltung von Staaten wie Polen oder Ungarn. Natürlich müssen auch Rückführabkommen mit Ländern, aus denen die Migranten kommen, ausgehandelt werden. Am Ende ist es so: Deutschland braucht Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Damit 400.000 Arbeitskräfte bleiben, wird eine Bruttoeinwanderung von 1,2 Millionen Menschen jährlich benötigt. Das Auswärtige Amt hat aber nur eine Kapazität, um 300.000 Visa jährlich auszustellen – also für Menschen, die regulär einwandern wollen.

Was also tun?

Es wäre sinnvoll, hier Kapazitäten aufzubauen. Schon heute zahlen Geflüchtete große Summen Geld an Schleuser, um über das Mittelmeer zu kommen. Dieses Geld könnte auch vor Ort in einen Deutschkurs investiert werden – um dann per Visa regulär nach Deutschland zu kommen. Das wäre eine Art Spurwechsel und eine Möglichkeit, Migrationsströme zu ordnen.

Über den Gesprächspartner:

  • Dr. Niklas Harder ist Co-Leiter der Abteilung Integration am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Integration und politischer Partizipation. Harder studierte Politikwissenschaft an den Universitäten in Hamburg und Konstanz und dem Georgia Institute of Technology. Anschließend folge die Promotion in Konstanz im Bereich Migration und Integration.
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