- Im Nachbarland Österreich hat die Debatte bereits ordentlich an Fahrt aufgenommen: Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein erwägt eine 1G-Regel ab Oktober.
- Dann hätten nur noch Geimpfte Zutritt zu Freizeitaktivitäten wie Konzerten, Restaurants oder Sportstätten.
- Auch in Deutschland macht der Vorschlag die Runde. Wäre das hierzulande umsetzbar? Ein Jurist und ein Virologe nehmen Stellung.
In Österreich ist der Vorstoß bereits in aller Munde: Ab Oktober könnte nur noch Geimpften der Zutritt zu Freizeitaktivitäten gestattet werden.
Ein Konzert-, Restaurant- oder Kinobesuch wäre dann nur noch mit Impfnachweis möglich – und nicht wie bisher auch mit Testnachweis oder Genesungszertifikat. 1G anstatt 3G? Der österreichische Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hält die Einführung einer solchen Regel jedenfalls für denkbar.
"Ich will über 1G als Zutrittsregel in Hinblick auf den Herbst reden", hatte Mückstein gesagt. Angestoßen worden war die Diskussion durch den Wiener Gesundheitsrat Peter Hacker (SPÖ), der dafür Zustimmung aus der Ärztekammer geerntet hatte. Kritik kam hingegen von der rechtspopulistischen FPÖ, die von einer "Impfpflicht durch die Hintertür" sprach.
Kritik aus der Gatronomiebranche
Auch die betroffenen Branchen, allen voran die Gastronomie, liefen schnell Sturm: Eine 1G-Regel einzuführen, "würde einem Lockdown gleichkommen", sagte Mario Pulker, Gastronomie-Obmann der Wirtschaftskammer. Mückstein hält angesichts der zugespitzten Corona-Lage in Österreich allerdings an dem Vorschlag fest.
Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in Österreich zuletzt wieder von 8,2 (Stand 7. Juli) auf 85,3 (Stand 20. August) geklettert. Die Zahl der Patienten auf Intensivstationen hat sich seit Ende Juli mehr als verdoppelt. Laut Umfrage des ORF sprechen sich 41 Prozent der österreichischen Bevölkerung für eine 1G-Regel aus.
Voraussetzungen für 1G
Zwei Voraussetzungen sieht Grünen-Politiker Mückstein jedoch für die Zutrittsbeschränkungen für Ungeimpfte:
- Zum einen müsse jeder bereits die Möglichkeit für den vollen Impfschutz gehabt haben.
- Zum anderen dürfe die Eindämmung der "prekären epidemiologischen Situation" nicht mit gelinderen Mitteln möglich sein.
Auch in Deutschland liegt der Vorschlag einer 1G-Regel bereits auf dem Tisch. In der Pandemie war das Nachbarland unter Kanzler
Denkbar auch in Deutschland?
Wie Kanzleramtschef
Der Staat habe die Pflicht, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, erklärte Braun. "Dazu gehört ein Gesundheitswesen, das im Winter nicht erneut Krebs- und Gelenkoperationen zurückstellen muss, um Corona-Patienten zu behandeln. Und dazu gehört auch der Schutz derjenigen, die ungeimpft sind", sagte Braun.
Zuspruch von den Grünen
Kritik kam derweil von der FDP, der Linke und Unions-Kanzlerkandidat
Zuspruch hingegen kam vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte er, es sei möglich, "dass wir irgendwann gewisse Bereiche und Tätigkeiten nur noch für Geimpfte zulassen". Der Grünen-Politiker nannte verpflichtende Masern-Impfungen für Kindergärten als Beispiel.
Das sagt ein Virologe
Auch Ulf Dittmer, der das Institut für Virologie am Uniklinikum Essen leitet, hält eine 1G-Regel für sinnvoll. Das Risiko, sich zu infizieren, das Virus weiterzugeben und selbst möglicherweise schwer an COVID-19 zu erkranken, stelle sich bei den 3Gs wie folgt dar: "Für Geimpfte gilt: Sie haben ein geringes Risiko, sich zu infizieren und das Virus zu verbreiten, außerdem besteht für sie fast kein Risiko einer mittleren oder schweren COVID-19-Erkrankung".
Auch bei Genesenen, die COVID-19-Symptome hatten, sei das Risiko für eine erneute Infektion oder Erkrankung für sechs bis neun Monate nach der Infektion gering. "Aber Menschen, die während der Infektion keine Symptome hatten, sind dagegen nur wenige Monate vor einer erneuten Infektion geschützt", warnt der Virologe.
Risiko für Getestete am größten
Bei Getesteten sei das Risiko am größten: "Ein Test stellt keinen Eigenschutz, sondern nur einen Fremdschutz dar", betont Dittmer. Eine Infektion mit einer Erkrankung sei jederzeit möglich. "Außerdem liegt die Fehlerquote der Antigentests bei 20 bis 25 Prozent, bei PCR-Tests etwas darunter, sodass noch eine erhebliche Gefährdung für andere bestehen bleibt", sagt der Experte.
Eine 1G- oder 2G-Regel könne vor diesen Hintergründen durchaus Sinn ergeben. "Das gilt besonders für Veranstaltungen mit hohem Gefährdungspotential, also mit großen Menschenmengen in Innenräumen, oder wenn kein Mund-Nasen-Schutz in Innenräumen getragen wird."
Jurist: "Geeignete Maßnahme"
Doch wäre eine 1G- oder 2G-Regel in Deutschland überhaupt rechtlich umsetzbar? Jurist Kenan Yildiz geht davon aus. "Geeignet ist die Maßnahme schon deswegen, weil der mit ihr verfolgte Zweck – die Übertragung des Virus sowie eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern und vulnerable Gruppen zu schützen – zumindest gefördert werden kann", sagt der Experte. Es gebe außerdem keine milderen, ähnlich geeigneten Maßnahmen, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen.
Wann aber würde Ungeimpften der Zugang zu Einrichtungen, die nicht unmittelbar der notwendigen Versorgung dienten, versagt werden, während Geimpften oder Genesenen der Zugang nicht verwehrt wird? Bei dieser Frage gehe man davon aus, dass die neue Mutationsvariante sich weiter exponentiell in Deutschland verbreitet. "Das wird nicht nur mit einem hohen Inzidenzwert, sondern beispielsweise durch einen sehr hohen R-Wert und die Auslastung der Intensivbetten bemessen", sagt der Experte. Er hält in der juristischen Betrachtung das Zusammenspiel dieser Werte für geeignet.
Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um die Corona-Pandemie in unserem Live-Blog
Unruhe unter Ungeimpften?
Denn ein rechtlicher Eingriff wie die 1G- oder 2G-Regel müsse in jedem Fall angemessen sein. "Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und der ihn rechtfertigenden Gründe müsste die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein", erläutert der Jurist.
Betroffen sei beispielsweise – wie auch bei der Maßnahme der Ausgangsbeschränkung – die allgemeine Handlungsfreiheit und die körperliche Fortbewegungsfreiheit. Diese Rechte sind jeweils im Grundgesetz geregelt.
Würden derartige Grundrechtseingriffe für Ungeimpfte nicht zu massiven Unruhen führen? "Allgemeine Solidarität oder die Gefahr einer 'Unruhe' unter den Nicht-Geimpften sind keine Verfassungsgüter, die sich mit Grundrechten der Geimpften abwägen lassen oder diese überwiegen", sagt der Jurist.
Lediglich in Einzelfällen, bei übermäßigem organisatorischen Aufwand für eine Sonderbehandlung für Geimpfte - etwa im täglichen Personennahverkehr - ließe sich daran denken, von Ausnahmen für Geimpfte abzusehen.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Kenan Yildiz
- Interview mit Ulf Dittmernm
- FPÖ: Nein zur Impfpflicht – Nein zur 1G-Regel
- Österreichischer Rundfunk (ORF): Corona-Daten Österreich. Stand 22. August 2021.
- Bild.de: Helge Braun im Interview: "Geimpfte werden mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte"
- FDP:
Kubicki Gastbeitrag: "Eine Benachteiligung von Ungeimpften wäre verfassungswidrig" - Hessischer Rundfunk: Sommerinterview mit
Janine Wissler
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.