Union und SPD planen milliardenschwere Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung. Die Staatsschulden könnten dadurch deutlich ansteigen. Kein Problem, sagt der Ökonom Sebastian Dullien. Wie meint er das?
"Whatever it takes": Was immer es auch kosten mag. Dieser Satz von CDU-Chef
Der gewerkschaftsnahe Ökonom Sebastian Dullien findet die Pläne von Union und SPD richtig. Er sagt: Für Sparsamkeit ist jetzt keine Zeit.
Herr Dullien, die kommende Bundesregierung plant ein milliardenschweres Sondervermögen und höhere Verteidigungsausgaben – alles über Kredite finanziert. Wie viel Schulden verkraftet Deutschland?
Sebastian Dullien: Wir haben relativ viel Spielraum nach oben. Aktuell liegt die deutsche Schuldenquote bei gut 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die meisten G7-Länder liegen bei rund 100 Prozent – auch das scheint unproblematisch. Man darf auch nicht vergessen: Ein Teil der Verschuldung finanziert sich von selbst, nämlich über Wirtschaftswachstum. Gerade Investitionen verbessern mittel- und langfristig die Angebotsseite, es kann mehr produziert werden. Die Schuldenquote bleibt damit beherrschbar.
Trotzdem könnte sie von jetzt 60 auf rund 80 Prozent steigen.
So einfach darf man das nicht rechnen. Das Geld wird nicht heute geliehen und kommt morgen auf die Schulden drauf. Es handelt sich um ein Programm über zehn Jahre. Die Kredite werden nach und nach aufgenommen – und sie schieben das Wachstum an. Ich sehe daher keine Schuldenquote von 80 Prozent am Ende.
"Die Schuldenbremse darf kein Hindernis sein"
CDU, CSU und SPD wollen Rüstungsausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse ausnehmen. Ist das sinnvoll?
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, auch über Kredite in Verteidigung zu investieren und Dinge nachzuholen, die über Jahre vernachlässigt wurden. Es sind Ausgaben, die nun getätigt werden müssen – in der Hoffnung, dass die Verteidigungsausgaben irgendwann auch wieder sinken. Auch das ist machbar und finanziell verkraftbar. Die Schuldenbremse darf dabei kein Hindernis sein.
Kritiker argumentieren: Verteidigung muss aus dem Kernhaushalt finanziert werden.
Wir dürfen nicht mehr Kredite aufnehmen, als mit einer langfristig tragfähigen Schuldenquote vereinbar sind. Aber: Bei den Verteidigungsausgaben ist es so, dass wir sie jetzt stärker hochfahren, als sie dauerhaft sein müssen, weil wir viele Dinge erstmals wieder anschaffen, etwa Waffensysteme. Dafür bietet sich die Kreditfinanzierung an.
Angesichts all der Milliarden, die im Raum stehen: Wo bleibt die Haushaltskonsolidierung?
Aktuell ist keine Überschuldung zu sehen. Gleichzeitig gibt es viele Herausforderungen für den Staat. Nur ein Beispiel: Seit drei Jahren befindet sich die Wirtschaft in einer Stagnation. Jedes volkswirtschaftliche Lehrbuch sagt da: Es ist Zeit für expansive Finanzpolitik – also mehr Ausgaben. Der Haushalt sollte trotzdem auf unnötige Subventionen oder Steuerschlupflöcher überprüft werden. Aber Konsolidierung hielte ich jetzt für falsch.
Die Unionsparteien haben im Wahlkampf umfangreiche Steuersenkungen versprochen. Sind die drin?
Das muss man sich nach einem Kassensturz anschauen. Nach meiner Wahrnehmung waren die Summen der versprochenen Entlastungen aber zu groß, um sie einfach aus dem Haushalt herauszunehmen. Es wären auch Steuersenkungen mit der Gießkanne, also für alle. Sinnvoller fände ich Investitionsförderungen, entweder über Steuergutschriften oder über verbesserte Abschreibebedingungen. Das hilft zielgenau.
Müssen wir uns mittel- und langfristig nicht ohnehin eher auf höhere Steuern einstellen?
Das wäre in einer Situation denkbar, in der das Wachstum nicht anzieht und die Verteidigungsausgaben deutlich höher ausfallen müssen. Da kann man sich schon irgendwann die Frage stellen: Und wer zahlt das jetzt? Eine Möglichkeit wäre es, die Mehrwertsteuer anzuheben. Oder man erhebt, wenn man es gerechter will, eine einmalige Vermögensabgabe. Das ist durchaus üblich und wurde historisch auch häufiger so gemacht.
Für die Infrastruktur ist ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro geplant. Wie groß wird der Wachstumsschub sein?
Wir haben das beim IMK in der Vergangenheit mal für ein 600 Milliarden Programm durchgerechnet. Das Bruttoinlandsprodukt würde als Folge bis zum Jahr 2050 inflationsbereinigt um in der Summe mindestens 2100 Milliarden Euro höher ausfallen. Realistischer ist sogar ein Plus von mehr als 4000 Milliarden Euro über die 25 Jahre zusammengerechnet. Das zeigt: Ein Programm von dieser Größenordnung schiebt das Wachstum merklich an.
Die strukturellen Probleme der deutschen Volkswirtschaft aber bleiben: zu viel Bürokratie, Fachkräftemangel, zu hohe Unternehmenssteuern.
Ein Investitionsprogramm löst nicht alle volkswirtschaftlichen Probleme. Es kann aber auch hier unterstützen. Beispiel Energiepreise: Die sind hoch, was auch mit den Problemen beim Netzausbau zusammenhängt. Wenn der Staat Teile davon übernimmt, dann sinken irgendwann die Preise. Das Geld ist also eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, dass sich die Standortbedingungen deutlich verbessern.
Der Staat schafft Nachfrage, das Angebot an Arbeitskräften ist aber begrenzt. Folglich steigen die Preise. Müssen wir mit neuen Inflationswellen rechnen?
Das glaube ich nicht. Zum einen, weil der für die Infrastruktur wichtige Bausektor kriselt. Hier sind die Kapazitäten also vorhanden und ungenutzt. Auch das Problem der fehlenden Arbeitskräfte sehe ich auf dem europäischen Binnenmarkt nicht. Das Programm ist auf Jahre ausgelegt, die Unternehmen haben also Planungssicherheit. Und: In der Vergangenheit haben Baubooms auch nicht zu allgemeiner Inflation geführt. Warum sollte es diesmal anders sein?
Über den Gesprächspartner
- Sebastian Dullien ist seit 2019 Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Dullien studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten in Bochum und Berlin (FU). Vor seiner Professur für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der HTW Berlin war er Journalist bei der Financial Times Deutschland.