Apples Investitionspläne für ein Chip-Zentrum in der bayerischen Landeshauptstadt München haben Diskussionen um den dadurch eventuell entstehenden Druck auf den Wohnungsmarkt ausgelöst. Haben große Unternehmen die Pflicht, Wohnraum für ihre Mitarbeiter zu schaffen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Eldersch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als der US-Tech-Riese Apple Anfang März in einer Pressemitteilung bekannt gab, dass er eine Milliarde Euro in "den Ausbau seines Europäischen Zentrums für Chip-Design im Herzen von München investieren" will, löste das ein enormes, mediales Echo aus und rief Kritiker im Münchner Stadtrat auf den Plan. Schnell wurden Bedenken laut, Münchens Mietmarkt könnte explodieren – gut bezahlte Apple-Mitarbeiter könnten die Preise nach oben treiben. Alles Quatsch, sagt Münchens Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner (CSU).

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Werden Apples Investitionspläne Druck auf den Münchner Mietmarkt auslösen?

Er vergleicht im Gespräch mit unserer Redaktion Apple mit dem Oktoberfest. Alles im Zusammenhang mit so großen Namen habe eine "gewisse Breitenwirkung". "Einen berühmten Schuldigen wie Apple zu finden, ist für die eine oder andere politische Gruppierung in ihr Schema passend. Ob's stimmt oder nicht, wird lange nicht geprüft."

Ein Adressat für Baumgärtners Kritik dürfte die ÖDP-/Münchner-Liste-Stadtratsfraktion sein. Dort ist man grundsätzlich nicht gegen die Ansiedlung von Firmen, es bestehe aber "ein Ungleichgewicht zwischen Wohnungen und Arbeitsplätzen", sagt Tobias Ruff, ÖDP-Fraktionsvorsitzender, unserer Redaktion.

"Wenn so ein großes Unternehmen kommt und gut bezahlte Arbeitsplätze schafft, dann erhöht das den Druck auf den Wohnungsmarkt", folgert Ruff. Apple spricht immerhin von 1.500 neugeschaffenen Stellen. Und deshalb stünden solche Unternehmen in der Pflicht, für Ausgleich zu sorgen. Apple müsse keine Wohnungen bauen, aber sollte sich Partner suchen, die eben einen solchen Ausgleich schaffen.

In der Pflicht sieht Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in diesem Fall auch den Freistaat. Dem gehörte das Grundstück, auf dem Apple zukünftig Chips entwickeln will. Er sagt auf Anfrage unserer Redaktion: "Ich habe deshalb schon frühzeitig an den Freistaat Bayern und Apple appelliert, sich der Verantwortung in Bezug auf den Wohnungsbedarf zu stellen." Immerhin wolle der Freistaat wohl an anderer Stelle Wohnung bauen, heißt es aus dem Oberbürgermeisterbüro weiter.

Zahlreiche US-Tech-Unternehmen investieren in die bayerische Landeshauptstadt

Apple ist nicht der einzige Tech-Konzern, der in die Isarmetropole investiert. Microsoft, Amazon und IBM haben ebenfalls Standorte in München. Auch der Branchen-Riese Google hat in der Innenstadt neu gebaut. Hier sollen laut Baumgärtner ebenfalls 1.500 neue Stellen entstehen. Das Wort "Isar Valley", in Anlehnung an Silicon Valley, die Tech-Hochburg in den USA, fällt immer wieder.

Nur einer von vielen Spitznamen der bayerischen Landeshauptstadt. Ist man Anhänger des FC Bayern, dann ist sie der Stern des Südens. Für Architektur-Fans ist sie das Isar-Athen – überzogen mit klassizistischen Gebäuden. "Ich werde nicht ruhen, bis München aussieht wie Athen!", hatte König Ludwig I. einst gesagt. Für Wohnungssuchende und Eigenheimkäufer ist sie allerdings die teuerste Stadt Deutschlands. Ein Spitzname, auf den man wohl gerne verzichten würde.

Bei den Immobilienpreisen spielt München in der Champions League. Hier ist die bayerische Landeshauptstadt sogar Vize-Meister geworden. Nur in Paris ist es noch teurer. Dort kostet der Quadratmeter rund 13.400 Euro. In München sind es zwischen 9.000 und 10.500 Euro je Statistik. Dann erst kommt London mit etwa 8.400 Euro. Da ist Wohnen in Hamburg mit 6.900 Euro pro Quadratmeter schon fast ein Schnäppchen.

Baumgärtner hält den Spitznamen "Isar Valley" übrigens für nicht sonderlich zutreffend. "München ist München und wir müssen uns nicht mit dem Silicon Valley oder irgendjemand anderem messen." Unter der kalifornischen Sonne ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Baumgärtner vermisse dort eine gute Infrastruktur und Sozialleistungen.

Investitionsstau in München

Und genau die Infrastruktur ist es, um die sich ÖDP-Fraktionschef Ruff in München Sorgen macht. "Jedes neue Unternehmen schafft wieder neuen Investitionsbedarf in Infrastruktur, in Kindergärten, in Schulen und so weiter." Laut Ruffs Angaben hat München ohnehin schon einen Investitionsstau von rund 20 Milliarden Euro. Und nach seiner Einschätzung würde es rund 25 Jahre dauern, bis dieser aufgeholt werden kann.

Für Baumgärtner ist es allerdings unverständlich, warum in diesem Fall Apple der Infrastruktur zusetzen sollte. Dort, wo Apple sich jetzt ansiedle, stand früher auch keine "grüne Wiese". Es gab dort produzierendes Gewerbe, jetzt würden Büro- und Laborflächen entstehen. Die Stadt sei ständig im Wandel. Früher siedelten sich Unternehmen wie BMW und Siemens an. Heute seien es eben IT-Firmen.

Außerdem widerlegt Baumgärtner die Behauptung, Apple sei für einen größeren Zuzug an Menschen verantwortlich. 2022 seien 26.000 Menschen (durchschnittlich etwa 2.200 pro Monat) neu nach München gekommen. In dem Monat der Apple-Ankündigung seien es aber nur 700 gewesen. "Es kommen also auch ohne Apple genug Menschen nach München. Seit Jahren entstehen die meisten Jobs in München im Sektor Informationstechnologie. Das Getue um Apple ist also scheinheilig."

Des Weiteren würden die IT-Jobs nicht einfach so oben draufkommen, argumentiert Baumgärtner. Automobilfirmen und Zulieferer würden immer mehr Stellen abbauen. IT-Firmen würden sich dann aus diesem Fachkräfte-Pool bedienen. Dazu gebe es genug junge Studenten an der TU, "die froh sind, nach dem Abschluss des Studiums in München bleiben zu können. Da stelle ich mir die Frage, warum wehren wir uns eigentlich gegen qualifizierte Arbeitskräfte?"

Stadt München soll sich auf den Schwerpunkt Wohnen konzentrieren

Ruff und Baumgärtner stehen nicht nur politisch, sondern auch bei den beiden Polen Arbeiten versus Wohnen auf unterschiedlichen Seiten. Münchens Wirtschafsreferent sagt, dass in den vergangenen zehn Jahren etwa 120 Hektar Gewerbeflächen in Wohnflächen umgewandelt worden seien. "Mir ist also nicht Angst und Bange um das Thema Wohnbauflächen", resümiert er.

Die Stadt solle überall dort, wo sie noch die Planungshoheit habe, den Schwerpunkt auf Wohnen setzen, meint Ruff. "Dies hätte man im Fall von Apple schon vor fünf Jahren mit einem Bebauungsplan festsetzen können." Zudem würde die Innenstadt von München aussterben. "Es leben kaum noch Leute dort. Man hat nur noch Arztpraxen, Anwaltskanzleien und Bürokomplexe. Wir würden uns eine Durchmischung wünschen."

Schaut man sich die Stadtentwicklungsplanung der bayerischen Landeshauptstadt an, könnte man Ruff Recht geben. Die Nettokaltmiete bei Wiedervermietung lag 2021 im Stadtzentrum bei über 21 Euro pro Quadratmeter. Eine Doppelhaushälfte hatte 2012 noch rund 675.000 Euro gekostet. Jetzt liegt der Preis bei 1.460.000 Euro laut Referat für Stadtplanung und Bauordnung. (PDF des Referats für Stadtplanung und Bauordnung)

In der Schlussfolgerung der Stadtentwicklungsplanung heißt es: "Die wirtschaftliche Attraktivität Münchens sorgte in den vergangenen Jahren für einen kontinuierlichen Zuzug. In Verbindung mit den begrenzten Flächenressourcen und der Attraktivität von Immobilien als Anlageform übersteigt die Nachfrage nach Wohnraum deutlich das Angebot. Dies führt zu immer weiter steigenden Miet- und Kaufpreisen, bei denen sich ein klares Gefälle zwischen Zentrum und Stadtrand feststellen lässt." (PDF des Referats für Stadtplanung und Bauordnung)

Können sich also in Zukunft nur noch die gut bezahlten Apple-Mitarbeiter im Münchner Stadtzentrum eine Wohnung leisten, wie Kritiker immer wieder anführen? Und wieder sieht Baumgärtner hier kein Apple-Problem. Auch BMW-Mitarbeiter würden gut verdienen und "könnten so auch einen Druck auf den Wohnungsmarkt auslösen. Das Kernproblem ist nicht das Gehalt, sondern, dass es nicht genug Wohnungen gibt." Tatsächlich ein Punkt, in dem sich Ruff und Baumgärtner einig sind.

Sind Werkswohnungen die Lösung für den Wohnungsmangel in Großstädten?

Ein Comeback in diesem Fall könnten Werkswohnungen feiern. Das Relikt aus dem 19. Jahrhundert kommt auch in den USA wieder zum Einsatz. Die "Wirtschaftswoche" schreibt, dass Amazon rund zwei Milliarden Dollar in bezahlbaren Wohnraum für ihre Mitarbeiter investieren will. Für das Silicon Valley haben Konzerne wie Alphabet (Google-Mutterkonzern), Microsoft und eben auch Apple solche Programme aufgelegt. Für München gibt es bislang keine solchen Vorhaben.

Oberbürgermeister Reiter schreibt unserer Redaktion dazu: "Die Stadt kann den zwangsweisen Bau von Werkswohnungen in diesem Fall nicht zur Bedingung machen, da das Baurecht bereits besteht. In einem Gespräch mit der Vizepräsidentin von Apple, Kristina Raspe, habe ich aber darauf hingewiesen, dass das Unternehmen neben dem klassischen Bau von Werkswohnungen für seine Mitarbeiter*innen beispielsweise auch Anteile an Genossenschaften kaufen könne, denn auch große Unternehmen wie Apple bräuchten nicht nur Angestellte, die finanziell in der Lage seien, die hohen Mieten in München zu bezahlen, sondern auch Reinigungskräfte oder Pförtner."

Im Fall Apple "hätte man während den Verkaufsverhandlungen sagen können, die obersten zwei Stockwerke könnten Werkswohnungen werden", argumentiert Ruff. Baumgärtner stimmt dem zumindest teilweise zu, in dem er sagt: "Wer Werkswohnungen bauen will, ist herzlich willkommen."

Er erinnert sich aber noch an eine Initiative von Reiters Vorgänger, Ex-OB Christian Ude (SPD), der 2011 einen Brief an die größten Unternehmen in München schrieb und für Werkswohnungen warb. Die Industrie ließ ihn abblitzen. "Diese Aktion kann man getrost als wenig erfolgreich bezeichnen", schlussfolgert der Wirtschaftsreferent. "Die Einzigen, die Wohnungen gebaut haben, waren die Stadtwerke und im kleineren Umfang die städtischen Kliniken."

Gewerbesteuer ist ein zweischneidiges Schwert

Die Fronten im Stadtrat scheinen zumindest in dieser Hinsicht verhärtet. Wirtschaftsreferent Baumgärtner sagt: "Mein Aufgabe ist, dass sich die Wirtschaft in München wohlfühlt. Von etwa 7,5 Milliarden Euro Stadthaushalt kommen drei Milliarden von der Gewerbesteuer."

Apples Beitrag dazu könnte allerdings gering ausfallen, vermutet Ruff. "Ob Apple so viel Gewerbesteuer zahlt, wird sich zeigen. Die großen, globalen Tech-Unternehmen haben oft Möglichkeiten kreativ zu sein, was die Steuerlast angeht, und können ihre Steuern woanders zahlen."

Der ÖDP-Fraktionschef sieht zudem einen Trend, dass Firmen ins Münchner Umland ziehen, um dort von einem niedrigeren Gewerbesteuerhebesatz zu profitieren. Der Münchner Satz liegt bei 490 Prozent, der des Münchner Vororts Unterföhring beispielsweise nur bei 330 Prozent. (Excel-Tabelle der statistischen Ämter des Bundes und der Länder) "Da frag ich mich, warum zieht Apple rein? Haben die andere Möglichkeiten, Gewerbesteuer zu vermeiden?"

Von der Option, mit einem noch höheren Gewerbesteuerhebesatz die großen Unternehmen aus München fernzuhalten, hält Ruff jedenfalls nichts. Denn das treffe vor allem die kleinen Unternehmen und Handwerker. "Wir haben jetzt schon einen Handwerkermangel und die meisten, die in der Stadt unterwegs sind, kommen ohnehin von außerhalb, weil München einfach zu teuer ist." Er würde sich wünschen, den Hebesatz besser an die einzelnen Firmen anpassen zu können.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Tech-Riesen und Wohnungssuchende gleichermaßen von der bayerischen Landeshauptstadt angezogen werden. Wie man beide Lager jedoch unter einen Hut bringt, wird man wohl noch in einigen Stadtratsrunden ausdiskutieren müssen.

Apple dürfte das erst einmal wenig interessieren. Dort steht jetzt das neue Chip-Design-Zentrum im Fokus. Tim Cook, CEO von Apple, wird in einer Pressemitteilung zitiert: "Apple ist seit mehr als 40 Jahren in München, und wir freuen uns mehr denn je auf unsere Zukunft hier."

Verwendete Quellen:

  • Apple-Pressemitteilung: Apple beschleunigt Investitionen in Deutschland mit zusätzlich einer Milliarde Euro für den Ausbau seines Europäischen Zentrums für Chip-Design
  • Wirtschaftswoche: Konzerne ködern Mitarbeiter mit günstigen Wohnungen
  • Referat für Stadtplanung und Bauordnung: Wohnungsmarktdaten München 2021
  • Referat für Stadtplanung und Bauordnung: Wohnungsbauatlas für München und die Region
  • Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Hebesätze der Realsteuern in Deutschland
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