"Heute geht es im 'ZDF Magazin Royale' um Geld, um die Ehre von besoffenen Männern, lukrative Deals, um einen Sturz vom Balkon, einen Hammer auf den Kopf und um mindestens einen Uwe", erklärt Jan Böhmermann etwas kryptisch das Thema der Woche. Er hätte auch einfach "Sportwetten" sagen können.
Die Bundesligasaison ist vorbei und Bayern München ist nicht Meister geworden. Klingt wie die Pointe eines Mittelklassewitzes, ist aber Realität. Dass die Schale nicht auch ein zwölftes Mal hintereinander nach München geht, war statistisch gesehen vielleicht gar nicht mal so unwahrscheinlich. Dass Bayer Leverkusen Meister wird, hatten aber wahrscheinlich nur Experten auf dem Schirm, dass die Leverkusener dies auch noch ohne eine einzige Niederlage vollbringen würden, wohl nur tollkühne Fans.
Aber was hat das mit dem "ZDF Magazin Royale" zu tun? Nun ja, hätte man auf diesen Ausgang der Meisterschaft Geld gesetzt, wäre man heute um einiges reicher. Und genau darum geht es am Freitagabend in der neuesten Ausgabe: um Sportwetten. Oder wie es Moderator
Wenn Sie sich jetzt fragen: "Was ist denn mit Böhmermann los? Wetten gibt es, seit der liebe Gott beim Schicksal der Erde auf den Menschen gesetzt hat. Wo ist das Problem?" Zum Beispiel beim Suchtpotenzial. "1,3 Millionen Deutsche sind abhängig von Glücksspiel. Weitere 3,3 Millionen Menschen zeigen ein riskantes Glücksspielverhalten sowie erste Suchterscheinungen", zitiert Böhmermann die "Frankfurter Allgemeine". Aber sind Sportwetten überhaupt ein Glücksspiel?
Sportwetten – Glücksspiel oder Zeitvertreib für Experten?
Nicht, wenn man den Anbietern und ihren prominenten Werbegesichtern glaubt: "Es wird Zeit, dass auch hier in Deutschland Millionen Sportfans ihr Sportwissen nutzen können und Wetten platzieren können und dabei einfach Spaß haben können", erzählt beispielsweise
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Böhmermann macht das Ergebnis noch einmal deutlich: "Ja natürlich sind Sportwetten Glücksspiel für alle. Und wie jedes vernünftige Glücksspiel tun Sportwetten so, als wären sie keins." Vor allem Männer, die glauben, von dem jeweiligen Sport Ahnung zu haben, schlitterten in die Spielsucht. Eine Sucht, die so schnell in den Ruin führe und so hohe Suizidraten habe wie keine andere Sucht.
Noch weitere Beispiele? "Das Angebot von Sportwetten im Internet ohne Erlaubnis ist und war schon immer verboten", zitiert Böhmermann aus einer Antwort der gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder. Will heißen: "In ganz Deutschland war Internet-Sportwetten-Anbieten eigentlich verboten. Erst seit 2020 vergibt der Staat Konzessionen", erklärt Böhmermann. Eine solche Konzession habe etwa der Anbieter Betano, der auch die kommende Europameisterschaft sponsert, erst seit 2021.
Bayern München und Tipico
"Mit Beginn der Saison 2018/2019 ist Betano […] der neue Wettanbieter an der Seite des VfB", zitiert Böhmermann allerdings eine Meldung des VfB Stuttgart vom Juni 2018 und kombiniert: "100 Prozent legal in Deutschland war Betano damals aber noch nicht." Offenbar mit Konsequenzen, denn der "Stern" schrieb Anfang April dieses Jahres über Betano: "Sportwettenverluste müssen zurückgezahlt werden – EM-Sponsor droht Klagewelle." Die EM werde also von einem Unternehmen gesponsert, das in Deutschland illegales Glücksspiel betrieben habe, bemerkt Böhmermann. Doch das war es noch nicht.
"Mehr als 80 Prozent der Vereine der aktuellen ersten und zweiten Bundesliga haben schon mit Online-Sportwetten-Anbietern zusammengearbeitet – und zwar bevor die überhaupt bundesweit eine Erlaubnis hatten", erklärt Böhmermann und nennt als Beispiel den 1. FC Köln und dessen einstigen Partner betsafe. Allerdings dürfte dieses Beispiel nicht unbedingt repräsentativ sein, denn Böhmermann gleitet vom eigentlichen Thema zu Betrugsvorwürfen gegen einen Mann namens Uwe Karsten Lenhoff ab, der als "Leiter einer Firma für das Deutschlandgeschäft von betsafe zuständig war."
Interessanter, greifbarer und aktueller ist da die Zusammenarbeit des FC Bayern München mit dem Sportwetten-Anbieter Tipico, seit 2015 Werbepartner des Vereins. Über die Zusammenarbeit zitiert Böhmermann aus dem "Spiegel" von 2021: "In einer Präsentation für das Topmanagement wurden die Kunden (von Tipico, Anm. d. Red.) in den Wettbüros beschrieben: Die seien meist 'nicht in Deutschland geboren', hätten ein 'relativ niedriges Bildungsniveau' und 'eher geringes Einkommen'. (…) Das meiste Geld, so eine Analyse, sei dort zu verdienen, wo Menschen typischerweise wenig davon besitzen (…)." Böhmermanns Einschätzung: "Tipico ist wie Robin Hood – nur umgekehrt."
Sportwetten: Schein versus Realität
Es ist ein schönes Bild, das Sportwettenanbieter von sich zeichnen: modern, einfach, spaßig, ungefährlich, aber trotzdem voller Adrenalin und für Menschen mit Sportsachverstand. Das Bild, das Jan Böhmermann von Sportwettenanbietern zeichnet, ist dagegen nicht so schön: Glücksspiel statt Zeitvertreib für Experten, eine potenziell hoch ruinöse Sucht mit hohen Suizidraten, bis vor kurzem in Deutschland illegal und mit menschenverachtenden Einstellungen.
Böhmermann präsentiert die Vorwürfe wie immer mit reichlich Sarkasmus und Ironie, aber trotzdem nachvollziehbar. Nur, als er eine Verbindung zwischen Wettanbietern und organisierter Kriminalität herstellen will, wird es ein bisschen wild, weil spekulativ. Da konstruiert Böhmermann aus den Berichten über die mutmaßliche Ermordung einer Tipico-Mitarbeiterin durch einen Kollegen mit einem Hammer und über den Balkonsturz eines Tipico-Büroleiters, der zuvor mit Kokain gedealt haben soll.
Das kann natürlich alles einen Mafia-Hintergrund haben, vielleicht aber auch nicht. Daher wäre es klüger, weil nachvollziehbarer, gewesen, hätte das "ZDF Magazin Royale" hier eine eigene Folge zur Verbindung von organisierter Kriminalität und Wettanbietern gemacht. Die eigentliche Botschaft wäre ohnehin auch so klar geworden: Sportwetten sind alles andere als harmlos, sondern im besten Fall dubios, im schlechtesten Fall ruinös – vor allem aber kein passender Werbepartner für Fußballclubs oder Europameisterschaften.
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