Bereits zum zweiten Mal inszenierte RTL die Passionsgeschichte mit deutschen Popsongs und im modernen Gewand. "Engel"-Sänger Ben Blümel gab einen Jesus mit Glatze, Dreitagebart und leichter Plauze. Auch Nadja Benaissa, Jenny Elvers, Francis Fulton-Smith und Jimi Blue Ochsenknecht durften mitspielen. Letzterer fand in der Leidensgeschichte mit Werbepausen leider keinen zweiten Gesichtsausdruck, was irgendwie schade, aber auch relativ wurscht war. Das satirische Minutenprotokoll:

Eine Satire
Diese Satire stellt die Sicht von Robert Penz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

20:15 Uhr: Und los geht's. "Live aus Kassel. Die größte Geschichte aller Zeiten. Freundschaft, Verrat, Opfer, Vergebung und Liebe" taucht in weißer Schrift auf. Auf der Bühne stehen weiß gekleidete Menschen unter transparenten Regenschirmen. Geile Symbolik! Ah, nein, der Grund ist ein profaner: In Kassel regnet‘s wie Sau! Dann werden die Protagonisten der größten Geschichte aller Zeiten vorgestellt: Ben Blümel als Jesus, Nadja Benaissa als Maria, Timur Ülker als Petrus, Jimi Blue Ochsenknecht als Judas und Francis Fulton-Smith als Pontius Pilatus.

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20:17 Uhr: Petrus taucht im karierten Holzfäller-Hemd, Judas vor einem Baugerüst in schwarzer Lederjacke auf. Die Person, die sich bei RTL für die Garderobe verantwortlich zeichnet, wird eher nicht in den Himmel kommen. Pontius Pilatus steigt im dunklen Anzug aus einer schwarzen Limousine.

Petrus meinte es nicht gut mit der RTL-Passion. © /Live

20:19 Uhr: Wow, da geht mächtig was ab. Hannes Jaenicke schiebt sich jetzt auf die Bühne, um die moderne Passionsgeschichte im krassen RTL-Style wiederzugeben. "Die letzten Tage im Leben Jesu Christi. Wir erzählen sie in moderner Form. Mit modernen Popsongs in einer modernen deutschen Großstadt", so der Schauspieler und Umweltaktivist, der jetzt gar nicht mehr aufhören will zu schwafeln. It's just a jump to the left! Nein, falsche Geschichte.

20:25 Uhr: "Die Gesellschaft driftet mit beängstigender Geschwindigkeit auseinander. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und die Klimakrise bedrohen unsere Gesellschaft", hebt Jaenicke jetzt den Zeigefinger. Ihm zufolge würde heute auch niemand mehr zuhören. Dass die sozialen Medien voll doof sind, sagt er nicht. Der Erzähler im grauen Mantel mahnt uns aber dennoch: "Heute wollen viele nur mehr Meinung senden, nicht mehr empfangen." Ein bisschen gar stark evangelisiert er, der Hannes Jaenicke.

20:25 Uhr: Jesus und seine Freunde erreichen Kassel. "Pünktlich mit der deutschen Bahn", macht Jaenicke einen ersten Joke. Jesus und Co. steigen aus dem Zug und singen "Tage wie diese" von den Toten Hosen. Joey Heindle, Larissa Marolt und Mola Adebisi sind unter den Jüngern, von denen einige Kaffee im Pappbecher trinken. Unter uns: Wenn du heute im Windschatten einer starken Persönlichkeit Larissa Marolt, Joey Heindle und Mola Adebisi siehst, wirst du ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit eher nicht folgen. Gottseidank war früher alles besser. "An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit", singen Jesus und seine Apologeten jetzt. Dass Jesus kurz vor dem Ende der 40-tägigen Fastenzeit noch immer ein Bäuchlein hat, stört nicht. Er war vielleicht auch nur ein Mensch. Mola Adebisi grinst unentwegt, er scheint sich auf die Bergpredigt zu freuen.

20:30 Uhr: Journalisten stürmen am Hauptbahnhof auf Jesus zu. "Warum sind Sie hier?", fragen Sie den Erlöser. "Ich sage den Blinden, dass sie wieder sehen werden und den Unterdrückten, dass sie wieder frei sein werden", antwortet dieser. Super, dass genau zu diesem Zeitpunkt Jenny Elvers als Blinde mit Sonnenbrille am Bahnhof auftaucht. "Du sollst sehen können, dein Glaube hat dich gerettet", sagt Jesus zu Jenny, die plötzlich wieder sehen kann und sich trotz Marolt, Heindle und Adebisi Jesus anschließt. Im Publikum auf dem Friedrichsplatz? Tränen der Freude.

Die Außenwette und Helene Fischer

20:33 Uhr: Jaenicke schaltet rüber zum Kongress-Palais in Kassel, wo die deutsche TV-Moderatorin Angela Finger-Erben wartet. Das Setting dort gleicht jenem einer Außenwette. Gläubige sollen vom Palais ein großes weißes Kreuz zum Friedrichsplatz tragen. Das könnten sie schaffen.

20:37 Uhr: Maria, dargestellt von der "No Angels"-Bardin Nadja Benaissa, die 2010 zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde, singt im dunkelblauen Kleid den "Helene Fischer"-Song "Phänomen". Benaissas Stimme? Ganz gut. Der Song? Eine Plage biblischen Ausmaßes:

"Du bist ein Phänomen.
Du kannst die Erde drehen.
Du, dich fängt niemand ein.
Der Wind trägt deinen Namen"

20:40 Uhr: "Seine Botschaft ist radikal. Und er selbst kompromisslos. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Und zwar alle Nächsten – die Aussätzigen, die Zöllner und Wucherer, die Prostituierten", so Jaenicke jetzt über Jesus. Zöllner und Wucherer? Klar, denen begegnet man ja in letzter Zeit ständig in Kassel. Neulich wollte ein Wucherer drei Euro für eine Banane, die man an der Grenze zwischen Süsterfeld-Helleböhn und Niederzwehren gegenüber dem Zöllner dann auch noch deklarieren musste. Und Morbus-Hansen fängst du dir in Deutschland inzwischen sowieso an jeder Ecke ein. Jaenicke bekommt dann doch noch die Kurve und rettet die Story ins Jetzt: Jesus würde "eben auch die Ungeimpften, die Wutbürger, die Querdenker, die Klimakleber genauso wie die Protestwähler lieben".

Visagentester Ochsenknecht

20:42 Uhr: Petrus und Jesus laufen durch Kassel und singen den "Mark Forster"-Song "Übermorgen". Jesus zu Petrus, seinem Felsen:

"An deiner Seite will ich sein.
Uns alle Fehler verzeih′n.
Mit allen Träumen und all den Sorgen.
Heute, morgen und übermorgen"

Jesus und Petrus sind in der RTL-Inszenierung relativ haptisch veranlagt und klopfen sich ständig auf die Schultern und piksen einander in die Wohlstandsbäuche. Nach dem Geklopfe und Gepikse offenbart Jesus seinen Jüngern, dass man ihn demnächst hinrichten werde. Dann wird "Die Passion" von einer Werbepause unterbrochen. Es geht jetzt um Haussanierungen, Smartphones und ein italienisches Deo. Wenn das so weitergeht, könnte die größte Geschichte aller Zeiten auch die längste Geschichte aller Zeiten werden.

Blick ins Publikum. © RTL/Stefan Gregorowius

20:55 Uhr: Jesus magaziniert sich für seine Bergpredigt in einem Laden auf und ersteht dort fünf Ciabattas und zwei "Frutti di Mare"-Pizzen. Die "Speisung der Fünftausend" findet dann in der Kasseler Markthalle statt. Die Jünger singen jetzt "So soll es bleiben" von Ich & Ich. "Ich muss noch weiter suchen, weil immer noch was fehlt", trällert Jimi Blue Ochsenknecht, der als Judas in der ersten Dreiviertelstunde leider noch keinen zweiten Gesichtsausdruck gefunden hat. "Einer von euch wird mich den Autoritäten verraten", so Jesus zu seinen Aposteln. Man kennt sich nicht mehr ganz aus. Ist das jetzt die die wundersame Brotvermehrung oder das letzte Abendmahl? Ochsenknecht testet eine zweite Visage. Er scheitert erneut.

Ein Verrat mit Christina Stürmer

21:01 Uhr: Judas sagt zwei Polizisten, dass er ihnen helfen könne, Jesus zu schnappen. Der Verräter steigt in den Polizeiwagen ein. Maria singt nun "Weil ich dich liebe" von Marius Müller-Westernhagen. Ihr Mann Josef, Vater von Jesus, scheint in der RTL-Geschichte keine Rolle zu spielen. Als Zimmermann bist du in Kassel aber eh im Vollstress.

21:07 Uhr: Judas lehnt jetzt unter der Herkules-Statue in Kassel lässig an einer Steinmauer und "rockt" sich durch den "Christina Stürmer"-Song "Nie genug". Auch dafür müsste man ihm die Leviten lesen.

"Ich kriege nie genug vom Leben.
Ich kriege nie genug, da geht noch mehr.
Ich will alles auf einmal und nichts nur so halb.
Nicht nur warten bis etwas passiert."

"Im nächsten Jahr dann bitte #DiePassion einfach mit den Wollnys! Das sind genug Leute, die können alle Rollen besetzen!", schreibt jemand auf X. Ganz gute Idee. Mit der Kelly Family hätte man aber auch die Speisung der Fünftausend locker ohne Statisten hinbekommen.

21:15 Uhr: Wann kommt endlich ein Song von Slayer?

21:23 Uhr: Jesus und seine Bros haben sich im Salzmann-Gebäude – einer einstigen Fabrik – niedergelassen. Der Herr weiß, dass sie ihn bald holen werden. Angsterfüllt geht er durch die alten Fabrikhallen und singt "Alles brennt" von Johannes Oerding.

"Alles brennt.
Alles geht in Flammen auf.
Alles, was bleibt,
sind Asche und Rauch."

"Lass diesen Kelch an mir vorübergehen", sagt Jesus.

Ösi-Phase mit Udo Jürgens und Falco

21:28 Uhr: Maria singt nun "Liebe ohne Leiden" von Udo Jürgens und seiner Tochter Jenny. Während Jesus ob des drohenden Schicksals verzweifelt, pennt Petrus irgendwo in der Fabrik völlig weg. Jesus weckt seinen Felsen, der wie ein Stein schläft, beinhart auf. "Noch vor dem Morgengrauen wirst du dreimal geleugnet haben, dass du mich überhaupt kennst", tadelt er den Schlaftrunkenen, der ihm noch zuvor die ewige Treue geschworen hat. Shit, jetzt taucht Jimi Blue Judas mit seinem gefürchteten Blick und ein paar Polizisten auf. "Sei gegrüßt, Meister!", sagt er zu Jesus. Die Ösi-Phase in der Passion geht in die Verlängerung: Judas und Jesus teilen sich den Song "Out of the Dark" von Falco, der in die Aufführung wie einst Pontius ins Credo kam und 1.998 Jahre nach Jesus in den Himmel aufgefahren ist.

21:40 Uhr: "Wenn bei der Auferstehung von Jesus nicht 'Völlig losgelöst' ertönt, trete ich aus der Kirche aus", schreibt Micky Beisenherz auf X, während Jesus erst verhaftet wird. Dass Beisenherz offenbar das Ende der Geschichte kennt, ist total wow. Er scheint Abitur zu haben. Noch im Foyer des Polizeiwagens singt Jesus "Out of the Dark": "Muss ich denn sterben, um zu leben?".

21:52 Uhr: "Wie würden wir handeln, wenn's mal brenzlig wird. Was ist, wenn man wirklich mal einstehen muss für seine Überzeugungen – mit der Gefahr von Konsequenzen?", fragt Erzähler Jaenicke, kurz bevor Petrus seinen Herrn in einem Fast-Food-Restaurant zum zweiten und dritten Mal verrät.

Jaenicke hat die Haare schön

21:55 Uhr: Der Regen perlt an Hannes Jaenicke völlig ab. Immer noch hat er die Haare schön. Nach der Elvers-Geschichte und der Ciabatta-Vermehrung das dritte Wunder an diesem Abend.

21:58 Uhr: Jesus steht in oranger Gefängniskleidung und Handschellen vor Pontius Pilatus, der vom kaum wiederzuerkennenden Francis Fulton-Smith dargestellt wird. Der deutsche Mime erinnert an den "Roseanne"-Schauspieler John Goodman vor dessen massiver Erschlankung. Anzugträger Pilatus wäscht auf der Bühne seine Hände (in Unschuld). Er, Jesus und Judas singen eine deutsche Version des "Tina Turner"-Klassikers "We don't need another Hero". Die 2023 verblichene Rockröhre wird unterirdisch kurz an eine Wiederauferstehung angedacht haben, um auf Fulton-Smith für dessen unterirdische Performance Frösche regnen oder zumindest Stechmücken niedergehen zu lassen.

Seine Frisur, ein Wunder! Erzähler Hannes Jaenicke. © RTL/Stefan Gregorowius

22:07 Uhr: Pontius Pilatus will vom Volk, dessen Rolle jetzt das Publikum übernehmen muss, auf dem Friedrichsplatz wissen, wen er anlässlich des Pessachfests begnadigen solle: Jesus oder Barabbas, der jetzt in Handschellen auf die Bühne gebracht und von Schauspieler Ralf Richter gespielt wird? Die Zuseher, die zuvor noch Tränen in den Augen hatten, werden gleichsam jetzt dazu genötigt, blutrünstig Jesus Kreuzigung zu verlangen. Das ist nicht in Ordnung.

22:23 Uhr: Das von Einwohnern aus Kassel getragene weiße Kreuz trifft auf dem Friedrichsplatz ein und wird dort vor die Bühne gelegt.

22:26 Uhr: Pilatus schickt sich jetzt an, eine abschließende Rede zu halten. Mit der Bibel in der Hand legt er los: "So, damit ist die Geschichte zu Ende erzählt. Aber das wussten wir ja auch, nicht wahr? Steht ja alles hier drin. Verraten, verurteilt und gekreuzigt. Aber wir schreiben doch auch das Jahr 2024. Und wer von uns möchte wirklich heute hier und jetzt einen Unschuldigen gefoltert und gekreuzigt sehen? Früher da hat man das vor den Toren der Stadt erledigt. Heute gibt es das nur noch im Fernsehen. Und für diejenigen von Ihnen, die gerne 'Game of Thrones' oder die Nachrichten anschauen, ein paar schmutzige Details wie so eine Kreuzigung ablief."

22:28 Uhr: Fulton-Smith beschreibt jetzt etwa, wo genau die 18 Zentimeter langen Nägel bei einer Kreuzigung einst eingeschlagen wurden. Und dass die Gekreuzigten letztlich qualvoll erstickten. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?", hören wir Jesus aus dem Off.

22:30 Uhr: Am Ende darf auch Hannes Jaenicke noch etwas sagen: "Jeder von uns hat sein eigenes Kreuz zu tragen. Jeder geht den eigenen Kreuzweg. Wir werden noch oft fallen", so der Erzähler mit andächtigem Gesicht. Jaenicke weiter: "Sind Sie bereit für Ostern? Liebe ist alles. Dann wird alles gut. Bedingungslos."

"Auf der Suche nach der großen Freiheit.
Nach Liebe Schmerz und Wahrheit.
Sorg dich nicht um mich,
denn ich werd' da sein.
Immer für dich da sein.
Und wenn du mich vermisst,
such mich da wo Liebe ist"

Okay, danke, Sarah Connor!

22:35 Uhr: Es ist vollbracht. Auf X schreibt dann noch jemand: "Ich habe alle eure Passions-Tweets gescreenshottet, und wenn auch nur einer von euch im kommenden Januar über das Dschungelcamp lästert, packe ich die alle aus, verlasst euch drauf."

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