Partys, Cruisen, Waffeln backen: In einer Mischung aus Reality-Show und Dokumentarserie geben die "Tokio Hotel"-Stars Bill und Tom Kaulitz einen Einblick in ihr Leben in Los Angeles. Das verläuft erstaunlich unspektakulär – und so muss die Show ohne großes Drama auskommen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Julia Hackober dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Bill und Tom Kaulitz kommen von einer fünfmonatigen Tour mit ihrer Band "Tokio Hotel" zurück nach Hause; in Bills Kühlschrank liegen noch ein paar inzwischen vermutlich vergammelte Eier, die Klimaanlage funktioniert nicht, aber zumindest sind die Zwillingspalmen in seinem Garten von der Hurrikan-Saison verschont geblieben – "das wär' sonst ein schlechtes Zeichen gewesen".

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Eigentlich haben die Brüder einander ein bisschen satt, er brauche jetzt "Me-Time", sagt Tom. Kein optimaler Start für den Dreh einer Reality-Show, die den Alltag der Zwillinge in Los Angeles dokumentieren soll. Aber gut, die Kaulitz-Brüder sind seit 20 Jahren im Showgeschäft, sie können performen, auch dann, wenn der Sinn eher nach Entspannung steht.

Die Kaulitz-Zwillinge könnten unterschiedlicher nicht sein

Für Netflix ließen sich die Brüder, die 2005 mit ihrem Hit "Durch den Monsun" berühmt wurden, acht Monate lang mit der Kamera begleiten. Entstanden ist eine Mischung aus Dokumentarfilm und Reality-Show à la "Keeping up with the Kardashians". In einer losen Abfolge von mehr oder weniger künstlich konstruierten Szenen soll die achtteilige Serie zeigen, was es bedeutet, wenn einstige Teenie-Stars erwachsen werden.

"Kaulitz & Kaulitz", so heißt die Show, verlässt sich dabei ganz auf die Zwillingsdynamik. Die Brüder machen quasi alles zusammen, von Job über Finanzen bis Privatleben – und stehen doch für zwei ganz unterschiedliche Lebensentwürfe.

Tom führt ein vergleichsweise ruhiges Leben mit Ehefrau Heidi Klum und deren Kids, steht nach eigenen Angaben jeden Sonntag am Grill und ist zur Stelle, wenn die Schule zum Elternabend ruft (dazu sagt Bill: "Tom führt das typische Spießer-Leben, nur ein bisschen bigger").

Bill hingegen ist noch auf der Suche nach der großen Liebe, verrennt sich des Öfteren in "Herzschmerz-Geschichten" und geht mit einer geheimen Kreditkarte shoppen, damit sein Bruder den Yves-Saint-Laurent-Einkauf nicht auf der gemeinsamen Abrechnung entdeckt (dazu sagt Tom: "Bill meint immer, dass es auf die Karriere einzahle, wenn er cool aussieht. Na ja, mal so, mal so.")

Vom Podcast zum TV-Format

Für die Zuschauer gibt’s also genügend Identifikationsfläche zur gefälligen Auswahl. Dass sich Bill und Tom so ähnlich sind und gleichzeitig doch so unterschiedlich ticken, machte schon ihren Podcast "Kaulitz Hills" zum Mega-Erfolg. Darin erzählen die Brüder jede Woche aus ihrem Leben, machen sich einen Spaß daraus, Anekdoten auch mal etwas zu überhöhen, um zu gucken, was die Regenbogenpresse daraus macht. Dabei nehmen sie vermeintliche gegenseitige Schwächen mit geschwisterlicher Leichtigkeit aufs Korn.

Das gleiche Rezept soll nun auch im TV-Format ziehen. Immerhin habe ihm, so erzählt Bill, einst eine Wahrsagerin ein eigenes "Imperium" über die Musik hinaus vorhergesagt, irgendwas mit Radio und TV. Beim Fernseh-Coup mit am Start: Kaulitz-Mutter Charlotte, die sich bislang immer aus der Öffentlichkeit herausgehalten hat und die in der Show für den Reality-Check zuständig ist ("Die beiden übertreiben gern mal mit ihren Geschichten").

Und auch Heidi Klum, die sich in der Sendung übrigens als "Heidi Kaulitz, die Frau von Tom" vorstellt, berichtet gut ausgeleuchtet und bestens aufgelegt aus dem Leben mit den Brüdern: "Sie sind beide gleich eitel – Tom verbringt sehr viel Zeit mit seinen Haaren!"

Es kann auch mal zum Handy gegriffen werden

Die Herzlichkeit, mit der die Brüder und ihre Vertrauten übereinander sprechen, macht den Charme der Serie aus. Und lenkt bisweilen auch davon ab, dass "Kaulitz & Kaulitz" eigentlich ziemlich spannungsarm vor sich hin plätschert.

Ein für die Kameras hochgeschaukelter Streit, bei dem man nicht so richtig kapiert, worum es eigentlich geht, verpufft nach einem Cliffhanger-Moment sofort in brüderlicher Gelassenheit. Ansonsten sieht man Szenen, die zum Standard-Drehbuch einer jeden Reality-Show gehören: ein Arztbesuch (hoffentlich ist niemand ernsthaft krank), ein gescheiterter Waffel-Backversuch (oh je, wir sind Stars, wir können nix in der Küche!), Cruisen durch die Filter-getönte Sonnenlandschaft Kaliforniens (schaut mal, wie schön wir es hier haben).

Alles ganz nett anzuschauen, aber es bleibt genügend Hirn-Kapazität übrig, um nebenher Online-Shopping zu betreiben oder Instagram zu checken (bei der Geburtstagsparty der Zwillinge besteht der dramatischste Moment darin, dass die Zahlenluftballons geplatzt sind).

Die Kaulitz-Brüder sind vor Jahren nach Los Angeles gezogen, um dem deutschen Rummel um ihre Personen zu entkommen. Sie führen ein entspanntes Leben, zumindest gemessen an gängigen Rockstar-Klischees (in Bills holzige Mid-Century-Oase in den grünen Hollywood Hills möchte man sofort einziehen). Bis auf die für ihre Mittdreißiger-Altersgruppe üblichen Millennial-Diskussionen von der Sorte "Welcher Lebensentwurf ist der 'bessere' – Dauersingle mit interessantem Party-Life oder lässiges Familienleben?" scheint es wenige Baustellen im Leben der Kaulitz-Brüder zu geben.

Zumindest solche, an denen sie die Öffentlichkeit teilhaben lassen wollen. Gut für die Jungs – fürs Drama-verwöhnte Reality-TV-Publikum leider nach ein paar Folgen etwas schnarchig.

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