• Alexandra Burghardt steht auf dem Sprung in einen erlesenen Kreis.
  • Deutschlands schnellste Leichtathletin hat sich kein halbes Jahr nach ihrer olympischen Halbfinal-Teilnahme über die 100 Meter für die Winterspiele in Peking qualifiziert.
  • Burghardt schiebt für Olympiasiegerin Mariama Jamanka den Bob an - und das geht nicht ohne Schrammen ab.
  • Im exklusiven Interview berichtet Burghardt von ihrem gelungenen Quereinstieg in die neue Sportart - wobei der richtige Einstieg das Hauptkriterium ist.
Ein Interview

Nach einem sogenannten Crash-Kurs und nur zwei Einsätzen im Bob-Weltcup ist Alexandra Burghardts Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Peking so gut wie sicher.

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Burghardt gehört ganz frisch zu den zahlreichen Leichtathletinnen und -athleten, die ihre Sprintfähigkeit gewinnbringend im Bobsport einsetzen. Bei den Sommerspielen in Tokio hatte Burghardt noch über die 100-Meter-Strecke das Einzel-Finale knapp verpasst.

Im exklusiven Interview mit unserer Redaktion erzählt die 27-Jährige von sprichwörtlichen Anlaufschwierigkeiten, ihrer Furcht vor Ressentiments im Bob-Zirkus und Spikes im Rücken ihrer Pilotin.

Frau Burghardt, Sie kommen gerade vom Sprinttraining - ohne ihre neue Bob-Partnerin Mariama Jamanka. Da Sie ja noch Neuling in diesem Sportgerät sind: Wie sieht der Austausch mit Jamanka vor dem kommenden Einsatz im Weltcup in Winterberg aus?

Alexandra Burghardt: Unser Training ist zweigeteilt. Es gibt den athletischen Bereich. Den mache ich auf der Tartanbahn. Und es gibt den Schlittenbereich. Mariama mischt sich da gar nicht ein. Sie will, dass ich in Topform bin, wenn es zählt. Das habe ich ihr versprochen. Und unsere Anschubzeit in Winterberg hat gezeigt, dass ich trotz des nicht wettkampfgerechten Trainings schon in ganz guter Form bin. Mariama vertraut mir. Mein Trainer kennt mich ja auch am besten.

Mariama und ich trainieren aber auch - so oft es geht - gemeinsam mit dem Schlitten. Das ist aktuell aber nicht so einfach. Durch Corona bedingt gibt es nur noch zwei Eisbahntrainings pro Woche. Eins davon geht für den Monobob drauf. Wir haben also gemeinsam nur ein offizielles Training. Dabei geht es vor allem um unser Kommando am Start, den sogenannten Abriss, unser Timing. Wir benutzen dazu auch ein Schlittengerät. Damit können wir auch abseits des Eises den Ablauf gut simulieren.

Davon habe ich vor ein paar Wochen ein paar TV-Bilder gesehen. Ihr Problem war, dass sie zu früh in den Bob gehüpft sind.

Das ist immer noch der große Knackpunkt. Bei den meisten Bobsportlern kommt das mit der Zeit und der Routine. Ich bin es als Leichtathletin gewohnt, dass es einen Startschuss gibt, und dann gibt es dieses Explosive. Und bei diesem Abriss, wie man die erste Bewegung in den Schlitten nennt, gebe ich das finale Kommando. Mariama als Pilotin sieht mich durch ihren Helm nicht. Sie vertraut auf mein Kommando. Aktuell klingt mein Kommando zwar immer gleich, aber meine Bewegung dazu passt nicht immer. Der beste Impuls ist es, wenn wir beide in der gleichen Hundertstelsekunde am Schlitten sind. Dann fliegt er richtig weg. Das merkt man dann auch. Da aber fehlt uns noch etwas im Vergleich zu Paaren, die schon jahrelang miteinander starten. Unsere Varianz ist noch zu groß. Aber es wurde in den letzten drei Wochen schon viel besser. Und wir haben ja auch noch ein bisschen Zeit.

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Hat Ihnen aus Ihrer Sicht diese Zeit am Start gefehlt, um das Rennen in Winterberg zu gewinnen (Laura Nolte war mit Anschieberin Levi Deborah nach zwei Läufen im Ziel um insgesamt sieben Hundertstelsekunden schneller als Burghardt mit Jamanka. Am Start fehlten Burghardt und Jamanka im ersten Lauf sechs Hundertstelsekunden auf die Siegerinnen, im zweiten zwei, Anmerk. d. Red.)?

Mitunter wahrscheinlich. Man kann es aber auch nicht nur auf eine Sache beschränken. Am Ende ist es ein Teamsport. Und mein Einfluss ist begrenzt, auf vielleicht 40 Meter. Und das bei einer Länge der Bahn von meistens über einem Kilometer. Ich bin auf jeden Fall noch nicht perfekt. Aber irgendwann gebe ich die Verantwortung auch an Mariama ab und vertraue darauf, dass sie den Schlitten gut ins Ziel steuert.

Welche Rolle spielt eigentlich der Faktor Angst? Sie steigen wie selbstverständlich in so einen Bob rein und rasen die Bahn hinunter. Haben Sie dabei kein mulmiges Gefühl?

Angst nicht, aber definitiv Respekt. Ich bin in der privilegierten Position, dass ich nicht den normalen Weg einer Anschieberin gegangen bin und viele Schritte dazwischen übersprungen habe. In einer Woche hat man wahrscheinlich 20 Trainingsfahrten, wenn man sich dazu entscheidet, Anschieberin zu sein. Und unter ein, zwei Stürzen kommt man auch nicht nach Hause. Erst recht nicht, wenn die Pilotin oder der Pilot auch eine Anfängerin oder ein Anfänger ist. Ich hatte das Glück, das alles zu überspringen. Mariama ist eine sehr erfahrene, zuverlässige und super talentierte Pilotin. Deswegen hatte ich von vornherein keine Angst. Ich wusste, dass sie das kann und was sie schon alles gewonnen hat. Sie vermittelt mir auch, dass sie zu 100 Prozent weiß, was sie tut. Ich finde das von Woche zu Woche auch immer faszinierender.

Ich war gestern das erste Mal bei einer Bahnbegehung dabei. Das ist für eine Anschieberin eher unüblich. Denn ich richte am Ende ja weniger aus. Es hat mich aber interessiert. Und es ist irre, was die Pilotinnen und Piloten da machen. Manchmal bin ich ganz froh, vom Bahnverlauf nichts zu sehen. Gerade Altenberg ist eine sehr anspruchsvolle Bahn mit krassen Kombinationen und Geschwindigkeiten. Dazu kommen die Druckpunkte. Es war crazy, das live zu sehen, in der Bahn zu gehen und das Eis zu fühlen.

Ihr Drang, mal selbst an die Lenkseile zu gehen, hält sich also in Grenzen.

Auf jeden Fall. Das werde ich nicht angehen. Ich bin froh, dass es Leute gibt, die das über Jahre gelernt haben und verstehen, was sie tun. Es steckt sehr viel Physik dahinter. Ich stelle so viele Fragen, dass Mariama manchmal schon die Augen verdreht. Aber für mich ist es eine neue Sportart, und es interessiert mich einfach. Mariama aber ist sehr geduldig und erklärt mir alles. Wer Bob im TV sieht, denkt gar nicht daran, was alles dahintersteckt. Es ist auch nicht zu verstehen.

Was bekommen Sie eigentlich während der Fahrt in ihrer geduckten Haltung von der Anstrengung der Pilotin mit?

Im besten Fall gar nichts. Wenn alles gut läuft, habe ich meinen Kopf mit dem Helm zwischen meinen Knien. Hin und wieder merke ich einen Arm von ihr. Je nachdem, wie stark sie lenken muss, kommt da mal ein Ellenbogen zu mir nach hinten. Und leider Gottes merkt auch sie hin und wieder meine Spikes im Rücken. In Winterberg habe ich mich dort verewigt. Mariama meinte aber, da sei ich nicht die Erste. Bei diesen Kräften und Geschwindigkeiten in der Bahn lässt es sich nicht vermeiden, dass man mal einen Kratzer abkriegt oder einen blauen Flecken.

Sie haben also durch den Anzug durchgestochen, und die Wunde ist anschließend zu sehen?

Ja, Mariama hat leicht geblutet.

Was geht Ihnen ansonsten während der Fahrt durch den Kopf?

Ich versuche im Vorfeld, mir die Bahn einzuprägen. Ich fühle mich sicherer, wenn ich weiß, wo ich mich gerade befinde, welche Kurve oder welcher Kreisel als nächste oder nächster kommt. Wenn man nicht weiß, wo man ist, ist man den Kräften total ausgeliefert. Ich muss mich auch von der Körperspannung her darauf vorbereiten. Ich versuche, mich festzumachen, aber nicht zu fest. Bei mir ist das eine witzige Mischung aus angespannt und trotzdem entspannt zu sein. Bei meinen ersten Fahrten in Igls war ich viel zu angespannt. Das muss aber gar nicht sein. Man muss nur auf alle Eventualitäten gefasst sein. Man kann auch jederzeit stürzen. Das ist mir bewusst. Deshalb muss man sich immer gut festhalten. Aber man sollte auch nicht als träge Masse hinten im Bob sitzen. Man muss schon mitschwingen mit dem Gerät.

In Altenberg gibt es eine Gerade. Dort erreichen wir eine hohe Geschwindigkeit. Dann versuche ich, nochmal tief durchzuatmen und den Rumpf anzuspannen, damit da nichts schiefgeht. Und dann kommt diese unsichtbare Hand, die mich runterdrückt. Da merkt man die G-Kräfte.

Thema Stürze: Wenn man die sieht, ist die Gefahr, mit dem Kopf gegen die Bande zu knallen, immer da.

Man scheppert mit dem Helm anscheinend auch ohne Sturz relativ häufig gegen den Schlitten. Mein Helm sieht schon ziemlich schlimm aus, dafür, dass ich erst zwei Wettkämpfe hinter mir habe. Man merkt das aber gar nicht. Ich frage mich nach dem Rennen: Wie kann der Helm so ausschauen?

Über Stürze sprechen wir, ganz klar. Denn es ist wichtig, darauf vorbereitet zu sein. Stürze können immer passieren, egal, wie gut die Pilotin fährt. Wichtig ist dann, sich festzuziehen und im Schlitten festzuhalten - und zu versuchen, nicht rauszufallen. Das gelingt in den meisten Fällen auch. Aussteigen sollte man auch nicht. Denn die Bahn geht ja nicht immer nur bergab. Und dann kann es passieren, dass der Schlitten zurückrutscht. Und wenn man dann ausgestiegen ist und in der Bahn steht, wäre das fatal. Ich habe gelernt, im Bob sitzenzubleiben, bis Helfer da sind.

Sie sind wahrlich nicht die erste Leichtathletin im Bobsport. Holen Sie sich von der einen oder anderen auch Tipps?

Ja, ich treffe ganz viele alte Bekannte. Die sind alle super aufgeschlossen. Das hat mich sehr positiv überrascht. Ich habe es nicht als selbstverständlich empfunden, so empfangen zu werden, wie ich empfangen wurde. Alle Kolleginnnen sind sehr, sehr hilfsbereit. Sie nehmen mich an der Hand, erklären mir von sich aus Dinge und geben mir Tipps. Ich fühle mich echt gut aufgehoben.

Aber mit welchem Empfang hatten Sie denn gerechnet?

Es ist nicht für alle Kolleginnen so einfach. Ich komme von den Sommerspielen ins mehr oder weniger gemachte Nest. Ich musste, wie gesagt, die harte Schule, durch die andere gegangen sind, nicht durchmachen. Ich hatte meine drei Wochen Crash-Kurs. Und ich nehme auch der einen oder anderen Athletin eine Olympia-Chance weg. Dessen bin ich mir bewusst. Deshalb war es für mich nicht selbstverständlich, dass alle es cool finden, dass ich da bin. Es sind auch ein paar jüngere Sportlerinnen dabei, für die die Spiele in Peking ihre ersten wären. Sie sind mir gegenüber aber alle sehr nett. Und ich arbeite ja auch hart für meinen Traum, im Sommer und im Winter Olympische Spiele zu erleben.

Neben Ihnen gibt es ja im Team von Mariama Jamanka noch deren Anschieberin Kira Lipperheide (beide fuhren am 5. Dezember im Rahmen des Weltcups in Altenberg auf Platz zehn, Anmerk. d. Red.). Greift sie in das Olympia-Rennen noch ein?

Es gibt am 23. Dezember in Oberhof den finalen Anschubtest. Da werde ich mich auch stellen. Es ist a) ein Training und b) möchte ich den klassischen Weg gehen und nicht irgendetwas überspringen. Das werden wir uns alle sehen. Kira wird da sein, und auch Vanessa Mark (Anschieberin Jamankas bei der Zweierbob-WM am Königssee im Januar 2021, Anmerk. d. Red.), die jetzt auch mit in Winterberg war. Dann wird man sehen, wer dort die schnellsten Zeiten hat. Danach wird entschieden, wer zu den Spielen fährt.

"Sonst stirbt Olympia aus": Felix Neureuther kritisiert das IOC für Spiele in Peking

Felix Neureuther sieht die Zukunft der Olympischen Spiele gefährdet. Olympia müsse nachhaltiger werden, sagt die deutsche Ski-Legende. Mit Blick auf Peking 2022 fordert Neureuther beim Problem im Umgang mit Menschenrechten ein Eingreifen der Politik. (Vorschaubild: imago images/Eibner/Memmler) © ProSiebenSat.1

Es ist also noch immer möglich, dass Sie gar nicht in Peking starten?

Noch ist es nicht offiziell. Meine Leistung in Winterberg aber hat für sich gesprochen. Ich habe mich dort sehr gut präsentiert. Ich gehöre auf jeden Fall zum Kreis der Olympia-Fahrerinnen. Trotzdem möchte ich mich dem offiziellen Weg stellen. Obwohl es mir eigentlich freigestellt wurde, diesen Test noch zu machen. Für mich aber habe ich entschieden, dass ich ihn aus Fairnessgründen gegenüber den anderen Athletinnen mache. Ich denke, meine Karten sind sehr, sehr gut.

Offiziell haben Sie mit dem zweiten Platz in Winterberg die Olympia-Norm erfüllt.

Genau, das war die Olympia-Norm für das Team Jamanka. Es war aber noch nicht direkt für mich die Norm. Man kann sagen: Ich habe mich qualifiziert, bin aber noch nicht offiziell nominiert.

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Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Rodlerinnen und Rodler, Tobias Arlt und Nathalie Geisenberger, die bereits zu Test-Weltcups in Peking weilten, haben aufgrund ihrer dort gemachten Erfahrungen bereits erklärt, sie könnten auch auf einen Start in Peking, wenn auch schweren Herzens, verzichten. Wie geht es Ihnen mit der Kritik am Austragungsort der Winterspiele?

Diese Kritik ist komplett berechtigt. Auch ich finde vieles nicht gut, was in Peking passiert. Es ist schade, dass es am Ende immer bei den Sportlern landet, und auf deren Rücken. Es gab schon 2008 Olympische Spiele in Peking. Alle Probleme, die es aktuell zu besprechen gibt, waren schon 2008 vorhanden und bekannt. Die Frage ist, warum man dann wieder Olympische Spiele dorthin vergibt und nichts an den Gegebenheiten und Problemen vor Ort ändert oder versucht, darauf Einfluss zu haben. Ich kann die Kritik deshalb voll unterstützen. Ich sehe es auch sehr, sehr kritisch, was die Menschenrechtsverhältnissen vor Ort betrifft. Als Sportler aber haben wir nur alle vier Jahre Olympische Spiele. Ich fände einen sportlichen Boykott nicht gut. Sportler sind auch vom Olympia-Zyklus abhängig, Förderungen sind davon abhängig, ganze Existenzen sind davon abhängig. Es sollte deshalb nicht an der Sportlerin oder dem Sportler liegen, über die Teilnahme zu entscheiden. Man müsste beim IOC oder in der Politik anklopfen und fragen, warum eine Entscheidung für so komische oder kritische Orte wie Peking oder - wie bei der Fußball-WM - Doha zustande kommt. Obwohl man eigentlich genau weiß, dass man solche Ereignisse dort nicht hingeben sollte.

Bis jetzt bewegt sich dieser Boykott-Aufruf noch auf diplomatischer Ebene. Deutschland aber hat sich dazu noch nicht positioniert. Können Sie sich vorstellen, dass es noch zu einem sportlichen Boykott kommt?

Ich könnte mir vorstellen, dass es auch von deutscher Seite aus zu einem diplomatischen Boykott kommt. An einen sportlichen Boykott denke ich nicht, und ich hoffe auch nicht, dass es dazu kommt. Da hängt für einzelne sportliche Schicksale viel dran. Das sollte nicht auf dem Rücken der Sportler ausgetragen werden. Die wollen das genaue Gegenteil: Sport bedeutet Gemeinsamkeit und Fairness, und er sollte Menschen und Kulturen zusammenbringen. Es wäre nicht der richtige Weg, Olympia sportlich einzuschränken.

In der Zukunft aber sollte man besser schauen, wo man die Spiele austrägt. Es ist auch ein Appell an Deutschland und an Regionen, die Spiele sehr gut austragen könnten. Wir hatten in Deutschland ein-, zweimal die Chance, in naher Zukunft Winterspiele auszutragen. Das aber war von der Bevölkerung nicht so gewollt. Das verstehe ich nicht ganz. Denn Olympische Spiele sind eine megatolle Sache. Für mich war es im Sommer in Tokio eine emotionale und tolle Erfahrung. Es würde Deutschland und vielen anderen Regionen gut tun, diesen olympischen Geist mal zu spüren.

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