• "Sportswashing" ist ein relativ neuer Begriff für den Missbrauch eines Sport-Events durch autoritäre Staaten, um den eigenen, oft schlechten Ruf aufzupolieren.
  • Doch in der Regel gehören mindestens zwei dazu, denn den Staaten muss diese Möglichkeit erst einmal gewährt werden.
  • Amnesty International kritisiert im Gespräch mit unserer Redaktion Olympia-Gastgeber China scharf. Doch nicht nur die Winterspiele werden als "Sportswashing" angeprangert.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors sowie der zu Wort kommenden Expertin einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Dinigeer Yilamujiang strahlte über das ganze Gesicht. Die 20-Jährige ist Ski-Langläuferin, Olympia-Teilnehmerin und war bei der Eröffnungsfeier Fackelträgerin – und überglücklich. Sie entzündete gemeinsam mit dem Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen das olympische Feuer, ganz im Sinne der IOC-Choreografie, zu zeigen, wie das Erbe von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird.

Eine schöne Idee, eine große Ehre, und eigentlich ein besonderer Moment, denn für Yilamujiang geht mit Olympia ein Traum in Erfüllung. Doch für viele Kritiker ist die Uigurin vor allem eines: ein Spielball Chinas. Ein Propagandainstrument. Denn unter dem Strich ist ihr Auftritt ein perfides, aber ebenso perfektes Beispiel für den Versuch des "Sportswashing", das dem Gastgeber der Olympischen Winterspiele vorgeworfen wird.

Es ist ein relativ neuer Begriff für ein etwas älteres Phänomen: Autoritäre Staaten nutzen ein sportliches Großereignis, um ihren schlechten Ruf aufzupolieren, um Kapital zu schlagen aus dem Glamour und dem Prestige, den so ein Event mit sich bringt.

"Peking will demonstrieren, wie es seit dem Ausrichten der Sommerspiele 2008 seinen Status als Supermacht ausbauen und zementieren konnte. Die Menschenrechtslage soll dabei unter den Teppich gekehrt werden. Dass die Olympischen Spiele vor dem Hintergrund schwerster Menschenrechtsverletzungen stattfinden, soll nicht Teil der Berichterstattung sein", sagt Lisa Salza, Expertin für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz, unserer Redaktion.

IOC steht in der Kritik

In der Kritik steht dabei auch das Internationale Olympische Komitee (IOC), "das immer wieder betont, dass Sport und Politik nicht vermischt werden sollten. Dabei ignoriert das IOC, dass China genau dies tut: Das Land nutzt den Sport für seine politischen Zwecke", so Salza.

Die internationale Gemeinschaft dürfe dies nicht hinnehmen, sie dürfe die chinesische Propaganda keinesfalls unterstützen, so Salza, sondern "soll vielmehr die Menschenrechte ins Zentrum dieser Spiele setzen und klarstellen, dass die Ausrichtung sportlicher Ereignisse nicht mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen darf".

Doch China instrumentalisiert den Sport für die eigenen Zwecke, auch die Teilnehmer lassen sich in gewisser Weise instrumentalisieren, ebenso wie das IOC auch. Die bittere Ironie dabei: Ausgerechnet Peking ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Großereignis zur Außendarstellung genutzt wird, sich innerhalb des Staates in der Folgezeit aber nichts tut.

"Die Olympischen Spiele 2008 in Peking haben bewiesen, dass sich die Menschenrechtslage durch solch ein Großereignis nicht verbessert. Deshalb war es auch eine frevelhafte Entscheidung, die Spiele erneut nach China zu geben", sagt Wenzel Michalski von Human Rights Watch bei "watson".

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Viele Vorwürfe gegen China

Denn die Vorwürfe reichen heute immer noch von Spionage über Datenmissbrauch, wie zum Beispiel bei der Olympia-App "My2022", bis hin zu Menschenrechtsverletzungen. Wie bei den Uiguren, einer mehrheitlich muslimischen Minderheit in der nordwestlichen Region Xinjiang. In Umerziehungslagern zwingt China diese Minderheit zur Aufgabe ihrer Religion, Kultur und Sprache.

Einige westliche Mächte hatten unter anderem wegen dieser Vorwürfe einen diplomatischen Boykott der Spiele verhängt. Deutschland hatte sich dem Boykott nicht offiziell angeschlossen, aber keine Vertreter nach Peking entsandt. "Dies ist ein Versuch der Chinesen, uns vom eigentlichen Problem abzulenken", sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, auf CNN. "Wir wissen, dass die Uiguren gefoltert werden und dass die Uiguren Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Chinesen sind."

Die strahlende Yilamujiang, die sportlich bisher kaum in Erscheinung getreten ist, steht im krassen Gegensatz zu den Vorwürfen, ihr Auftritt ist deshalb mindestens zynisch, in jedem Fall unglaubwürdig, er soll nach außen hin eine Heile-Welt-Bild vermitteln – wie die ganzen Spiele es tun sollen. Das Problem: viele Staaten haben noch kein wirkliches Konzept im Umgang mit dem mächtigen China, aus Angst vor (wirtschaftlichen) Konsequenzen.

Dabei ist das "Sportswashing" nicht nur für die Außenwirkung gedacht. "Sportswashing soll nach außen auf andere Staaten, aber auch nach innen auf die Bevölkerung wirken", sagt Michalski: "Die eigenen Bürger und Bürgerinnen sollen beruhig werden und es soll gezeigt werden, dass der Staat in der Welt wichtig ist und dass das Land gefeiert wird."

"Sportswashing" beim Fußball oder in der Formel 1

Diese Art der "PR" ist inzwischen weit verbreitet. Die Formel 1 fährt für viel Geld in Katar und Saudi-Arabien Rennen. Der Fußball-Weltverband FIFA steht seit Jahren in der Kritik, weil er im Vorfeld der in diesem Jahr stattfindenden WM in Katar bei Menschenrechtsverletzungen in dem Emirat die Augen verschließt.

Aber auch Vorgänge bei Fußball-Vereinen wie Paris St. Germain (katarische Investorengruppe) oder dem deutschen Meister FC Bayern München (Sponsor Qatar Airways und Trainingslager in Doha) werden immer öfter hinterfragt.

Dabei gehören zum "Sportswashing" immer mindestens zwei. Staaten - wie bei Olympia nun China - die diese Bühne erhalten. Und diejenigen, die diese Bühne überhaupt erst zur Verfügung stellen und es damit ermöglichen, dass der Ruf aufpoliert werden kann. Wenn also "die anderen Staaten und der organisierende Sportverband das Spiel mitspielen und die schlechte Menschenrechtssituation in ihrer öffentlichen Kommunikation ebenfalls unter den Teppich kehren", wie es Salza beschreibt.

Michalski: "Korrupte Verbände"

Man kann es noch drastischer formulieren. "Die Fußball-Vereine und sämtliche Verbände sind so korrupt, dass sie dieses Geld annehmen und sich mit in die Propaganda-Maschine setzen, um aktiv den Ruf der Staaten, die Menschenrechtsvergehen begehen, sauber zu waschen", sagt Michalski. In Deutschland gebe es auch Anzeichen dafür, so Michalski: "Und eine wache Fan-Szene, die sich kritisch, lautstark und effektiv zu Rechtsvergehen von Ländern, mit denen die Vereine zu tun haben, äußert."

Das IOC hat ähnliche Möglichkeiten, es könne gegen Sportswashing ankämpfen, indem es sich klar zu seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht bekenne, die Auswirkungen der Spiele auf die Menschenrechte benenne und offenlege, wie es dagegen vorgehe, stellt Salza klar. "Die teilnehmenden Staaten und supranationale Organisationen wie die Vereinten Nationen sollten sich dezidiert und öffentlich für die Menschenrechte im betreffenden Land einsetzen, unabhängig davon, ob sie eine offizielle Vertretung zu den Spielen schicken oder nicht", so Salza.

Stattdessen sagte IOC-Sprecher Mark Adams zum Eröffnungsfeier-Auftritt von Yilamujiang bloß, sie habe "jedes Recht" teilzunehmen, "wir diskriminieren niemanden aufgrund seiner Herkunft oder seines Hintergrunds." Auch das klingt vor dem Hintergrund der Situation der Uiguren zynisch. Denn das Lächeln Yilamujiangs – so strahlend es war, so schonungslos zeigt es auch, wie "Sportswashing" funktioniert.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Lisa Salza, Expertin für Sport und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz
  • watson.de: Sportswashing: Menschenrechtler kritisiert Einfluss autoritärer Staaten im Sport – "Fußball-Vereine setzen sich mit in die Propaganda-Maschine"
  • cnn.com: UN Ambassador: China trying to 'distract' from its Uyghur abuses
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