Bereits am Donnerstag starten für die DFB-Frauen die Olympischen Spiele. Nach einer herben Niederlage und einem mitreißenden Sieg in der Vorbereitung ist das Team von Horst Hrubesch für viele eine Wundertüte. Ex-Nationalspielerin und TV-Expertin Navina Omilade zählt Deutschland beim Fußballturnier der Frauen dennoch zum Favoritinnenkreis - trotz des Ausfalls von Lena Oberdorf.

Ein Interview

Frau Omilade, Sie haben selbst bei Olympia bereits eine Medaille gewonnen. Was unterscheidet Olympia von einem normalen Fußballturnier?

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Navina Omilade: Ich hatte das Glück, in Athen 2004 dabei zu sein, wo wir die Bronzemedaille erringen konnten. Das war etwas ganz Besonderes. Spätestens, wenn man mit der Mannschaft ins olympische Dorf einzieht, wo auch alle anderen Sportarten vertreten sind, ist das einzigartig. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Das ist der Unterschied zu anderen Fußballturnieren wie der Europameisterschaft oder Weltmeisterschaft. Olympia ist sportartenübergreifend und man tritt nicht nur für die Fußballmannschaft Deutschland an, sondern man ist Teil von Team Deutschland mit allen möglichen Sportarten und kämpft für Deutschland um eine Medaille.

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Als Fußballerinnen haben wir leider nie die Möglichkeit, bei der Eröffnungsfeier dabei zu sein, weil das Turnier immer ein paar Tage vorher startet. Aber man fiebert mit und schaut im Fernsehen, wie das olympische Team einmarschiert. Das sind tolle Emotionen. In Athen hatte ich mit ein paar Teamkolleginnen das Glück, dass wir bei der Abschlussfeier dabei sein konnten. Das schweißt zusammen, als Team Deutschland ins Stadion einzumarschieren, mit den Fähnchen und allem Drum und Dran.

Den guten Outfits ...

(lacht) Genau, auch das.

Sie haben gerade gesagt, dass die Fußballerinnen normalerweise nicht bei der Eröffnungsfeier dabei sind, weil am Tag vorher schon gespielt wird. Dieses Mal könnte ja immerhin eine Fußballerin dabei sein: Alex Popp ist als Fahnenträgerin im Rennen. Was würde das auch für den Frauenfußball bedeuten, wenn sie die Fahne trägt?

Dass Alex Popp überhaupt in der engeren Auswahl ist, ist schon eine tolle Wertschätzung und eine Aufwertung für den Stellenwert des Frauenfußballs. Bisher war es noch nie der Fall, dass eine Fußballerin überhaupt in diese Auswahl gekommen ist. Für Alex Popp persönlich ist es natürlich auch eine Riesenauszeichnung, unabhängig davon, ob sie es am Ende wird oder nicht.

Hinweis: Das Interview wurde noch vor der Bekanntgabe, dass Anna-Maria Wagner die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele tragen wird, geführt.

"Das zeigt, dass viele weiterhin Lust auf Fußball haben, egal ob Frauen oder Männer."

Navina Omilade

Jetzt ist gerade die EM der Männer zu Ende gegangen. Glauben Sie, die Euphorie, die für den deutschen Männerfußball aufkam, kann sich auf Olympia und den Frauenfußball übertragen?

Ja, das denke ich. Man hat es beim Länderspiel in Hannover gegen Österreich (4:0-Sieg, Anm.d.Red.) gesehen, vor einem ausverkauften Haus. Das war eine tolle Kulisse. Da hat man gesehen, dass alle nach der Männer-EM wieder Lust hatten, eine deutsche Mannschaft spielen zu sehen und das eigene Land zu unterstützen. Die Stimmung war riesig und hat die deutsche Elf total beflügelt. Das zeigt, dass viele weiterhin Lust auf Fußball haben, egal ob Frauen oder Männer.

DFB-Team zeigt "immer wieder Potenzial"

Das Ergebnis gegen Österreich war natürlich super. Ein paar Tage vorher gegen Island hatte es noch ganz anders ausgesehen, das Spiel ging mit 0:3 verloren. Wie schätzen Sie das Team ein? Wo steht das DFB-Team? Ist die Medaillen-Hoffnung berechtigt?

Wenn Deutschland im Turnier ist, gehört die Mannschaft meiner Meinung nach immer zum Favoritenkreis. Wir haben das Potenzial, bei Olympia weit zu kommen. Klar, die Enttäuschung von der letzten WM ist noch im Hinterkopf, aber bei der EM ein Jahr zuvor hat das Team gezeigt, was möglich ist. Auch in der Nations League lief es besser. Im kleinen Finale haben sie sich toll gegen die Niederlande durchgesetzt und damit das Olympia-Ticket gelöst. Auch die EM-Qualifikation haben sie frühzeitig geschafft. Sie zeigen immer wieder ihr Potenzial. Natürlich warten aber bei Olympia andere Mannschaften.

Stichwort USA.

Ja, die USA sind immer ein schwerer Gegner. Und generell hat Deutschland eine sehr schwere Gruppe erwischt. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die deutsche Mannschaft in der Lage ist, die Vorrunde zu überstehen und weiterzukommen. Dann ist alles möglich.

Gruppe B beim olympischen Fußballturnier der Frauen

  • Deutschland
  • Australien
  • USA
  • Sambia

Deutsche Spiele

  • 25. Juli, 19:00 Uhr: Deutschland - Australien
  • 28. Juli, 21:00 Uhr: USA - Deutschland
  • 31. Juli, 19:00 Uhr: Sambia - Deutschland

Wie schwer wiegt der Ausfall von Lena Oberdorf?

Sehr schwer. Sie ist Dreh- und Angelpunkt im defensiven Mittelfeld. Gegen Island hat man den Unterschied deutlich gesehen, als sie gesperrt war und nicht auf dem Platz stand. Gegen Österreich hat man dann gesehen, was sie alles abräumt, wie viel sie bewegt, ihre Präsenz, die sie trotz ihres jungen Alters auf dem Platz hat, und wie wichtig sie für das Team ist. Ihr Ausfall ist ein herber Verlust.

Wer kann die Lücke füllen?

Das ist schwierig. Alex Popp könnte zwar auf der Sechs spielen, aber dann fehlt sie vorne. Es gibt Spielerinnen wie Sjoeke Nüsken oder Elisa Senß, die das gut machen können, aber Oberdorf ist nicht eins zu eins zu ersetzen.

Merle Frohms ist eigentlich die unangefochtene Nummer eins im deutschen Tor. Gegen Island sah sie etwas unglücklich aus, gegen Österreich hat dann Ann-Katrin Berger stark gehalten. Wen sehen Sie aktuell vorne für Olympia?

Ich sehe Merle Frohms weiterhin als Nummer eins, weil sie bei den letzten Turnieren einen tollen Job gemacht hat und die nötige Turniererfahrung mitbringt, die Ann-Katrin Berger fehlen würde. Aber klar ist, wir haben zwei Top-Torhüterinnen und der Bundestrainer hat auf jeden Fall die Qual der Wahl.

"Ich fände es sehr schade, wenn es das Turnier in der jetzigen Form nicht mehr geben würde."

Navina Omilade

Olympia kommt rein terminlich nicht ganz gelegen, gerade aus Vereinssicht. Eigentlich würden die meisten in die Vorbereitung starten, jetzt fehlen die Nationalspielerinnen. Braucht es dieses Olympia-Turnier der Frauen in der Form noch, wie es gerade stattfindet, oder würden Sie Überlegungen befürworten, es in ein U-Turnier zu verwandeln?

Ich fände es sehr schade, wenn es das Turnier in der jetzigen Form nicht mehr geben würde. Es ist für jede Spielerin ein absolutes Highlight. Da kämpfen die absoluten Top-Nationen um die Medaillen und man darf sich mit den Größten messen. Das ist einfach ein Riesenplus, dass man dieses Turnier spielen darf, auch als A-Nationalmannschaft. Anders als bei den Männern, wo es ein U23-Team ist. Ich finde, das sollte man auf jeden Fall beibehalten. Sonst nimmt man den A-Nationalmannschaften im Frauenfußball die Chance, sich auf dieser Bühne zu zeigen und zu spielen. Dafür ist es viel zu wertvoll.

Das letzte Jahr war nicht einfach für das DFB-Team. Jetzt steht man kurz vor dem Umbruch. Nach Olympia wird Christian Wück übernehmen. Ist es motivierend für die Spielerinnen, dass man sagt, man holt die Medaille für Horst Hrubesch? Oder gibt es auch Unsicherheiten?

Ich denke, dass die Motivation überwiegt. Man hat in der Olympia-Qualifikation gesehen, wie sehr die Spielerinnen für Horst Hrubesch kämpfen wollten. Sie haben von Anfang an gesagt, dass sie auch für ihn das Olympia-Ticket holen wollen. Diese Motivation wird auch im Turnierverlauf vorhanden sein, für ihn diese Medaille zu holen. Es wäre historisch, wenn er das mit den Männern und den Frauen schafft. Es ist aber auch gut, dass frühzeitig Klarheit geschaffen wurde, damit die Mannschaft weiß, wie es danach weitergeht.

Alex Popp hat schon eine Olympia-Medaille, aber man weiß bei ihr natürlich nicht, wie lange sie noch in der Nationalmannschaft spielen wird. Olympia könnte ihr letztes großes Turnier sein. Wie wichtig ist sie für die Mannschaft und wer könnte in ihre Fußstapfen treten?

Popp ist ein sehr wichtiger Faktor im deutschen Team. Allein mit ihrer Präsenz als Kapitänin und ihrer ganzen Erfahrung steht ihre Wichtigkeit außer Frage. Sie ist ein Aushängeschild und ein Vorbild im Frauenfußball und eigentlich nicht wegzudenken aus dem deutschen Team. Aber klar, auch ihre Tage werden irgendwann gezählt sein. Vielleicht nimmt sie noch die EM im nächsten Jahr mit, aber irgendwann wird es auch bei ihr vorbei sein. Allerdings haben wir auch jetzt schon weitere tolle Spielerinnen, zum Beispiel eine Lea Schüller, gerade wenn man positionsbezogen denkt, die eine absolute Topquote als Stürmerin mitbringt. Und von ihrer Präsenz her ist natürlich Lena Oberdorf eine Person, die da in die Fußstapfen treten wird, genauso wie Giulia Gwinn, die in Popps Abwesenheit bereits die Kapitänsbinde trägt.

Sie sind als Expertin für Eurosport bei Olympia dabei. Was macht Ihnen daran besonders Spaß? Und gibt es etwas, worauf Sie lieber verzichten würden?

Es ist eine Riesenehre, das machen zu dürfen. Es macht sehr viel Spaß, in anderer Form nah dran zu sein und das Geschehen mitzubegleiten. Das ist ein absolutes Privileg und ich möchte nichts daran missen. Ich wüsste nicht, was daran negativ sein könnte.

Worauf legen Sie Ihren Fokus, wenn Sie sich auf diese Expertinnenrolle vorbereiten? Taktisch oder hinter die Kulissen schauend?

Tatsächlich etwas von allem. Ich versuche, mir so viel Wissen wie möglich anzueignen, lese viele Berichte, schaue mir die letzten Spiele an und analysiere, wie die Teams taktisch eingestellt sind. Es geht darum, auf alles vorbereitet zu sein.

Über die Gesprächspartnerin

  • Navina Omilade hat eine ganze Reihe als Erfolgen vorzuweisen: Sie ist dreifache Deutsche Meisterin (2x Turbine Potsdam, 1x VfL Wolfsburg), vierfache DFB-Pokalsiegerin (3x Turbine Potsdam, 1x VfL Wolfsburg), zweifache Champions-League-Siegerin (1x Potsdam, 1x Wolfsburg), Europameisterin von 2001 und 2005 und hat Bronze bei Olympia 2004 in Athen gewonnen. Nach ihrer aktiven Karriere arbeitet sie unter anderem als TV-Expertin. Während der Olympischen Spiele in Paris analysiert sie für Eurosport die Spiele des DFB-Teams.
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