Boris Becker war schon vieles: Wimbledon-Sieger, Tennis-Star, Tennis-Startrainer, Steuerhinterzieher, Boulevardliebling. Doch nun hat Becker eine erneute Verwandlung vollzogen: Er ist zu einer ernstzunehmenden deutschen Stimme im Kampf gegen Rassismus geworden.
Die berühmten blauen Augen blicken in die Kamera, das Gesicht ist von einer grünen Maske verhüllt. Im Hintergrund halten Menschen "Black Lives Matter"-Plakate in die Höhe und demonstrieren aufgerüttelt durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd gegen Rassismus.
Das schmeckt nicht allen. Schon neben seinem Instagram-Video häufen sich Kommentare einer bestimmten Richtung. Ein User schreibt: "Mann, du warst mein Vorbild in den 80er Jahren. Jetzt bist du es leider nicht mehr." Und das ist noch nett formuliert.
Besenkammer statt Becker-Hecht
Boris Becker hat immer noch viele Fans aus den guten alten 1980er Jahren. Damals als sein Stern in Wimbledon aufging. Er, der berühmteste lebende Deutsche, Bum-Bum-Boris. Ihm lag die Welt zu Füßen, Kinder wollten sein wie er. Ganz Deutschland spielte Tennis - wegen ihm. Die Fallhöhe von ganz oben nach recht weit unten war immens.
Und Becker fiel. Vom Wunderkind zum Boulevardliebling, zeitweise nicht mehr ernst zu nehmen. Die Scheidung von Barbara und ein im US-Fernsehen übertragener Sorgerechtsstreit 2001 formte den anderen Becker. Besenkammer statt Becker-Hecht. Steuerhinterziehung statt Sportler des Jahres. Gefälschter Diplomatenpass statt Doppelsieg. Dass er neben TV-Auftritten, die häufig in gewissen Fremdschäm-Momenten gipfelten, auch sehr erfolgreich als TV-Experte für die BBC Wimbledon kommentierte, Novak Djokovic trainierte und aktuell für das deutsche Herrentennis verantwortlich ist, interessierte wenig. So richtig ernst wollte ihn niemand mehr nehmen, dabei buhlte Becker weiter um die Liebe seines Publikums. Warum sonst würde sich jemand vor eine Kamera setzen und haarklein von einer Affäre oder den eigenen Schulden berichten? Seine Offenheit war auch immer ein Stück weit Beckers Achillessehne.
Beckers eigene Erfahrungen machen ihn glaubwürdig
Das ändert sich gerade. Beckers Offenheit wird im Kampf gegen Rassismus zu seiner Stärke. Als ihn nach seinem Video bei der Black-Lives-Matter-Demo Hasskommentare erreichen, rechtfertigt er sich nicht, sondern geht den Weg der Konfrontation: "Sind wir ein Land von Rassisten geworden?", fragt er bei Twitter und später: "Anscheinend haben viele Menschen in Deutschland immer noch nicht verstanden, dass es meine Familiengeschichte ist." Wenn Becker Rassismus anprangert, dann weiß er, wovon er redet.
Im Interview mit der "Bild am Sonntag" wird Becker konkret: "Meine älteren drei Kinder erleben mindestens einmal die Woche einen rassistischen Vorfall, daher bin ich mit ihnen im ständigen Austausch über dieses Thema", erzählt der Vater von vier Kindern. Die drei Mütter seiner Kinder hätten eine andere Hautfarbe als er selbst, erklärt Becker weiter. "Wer also Vorbehalte gegenüber der schwarzen Bevölkerung hat, greift mich persönlich an." Und dann fällt ein Satz, mit dem Becker mehr Reife beweist, als ihm viele zugetraut hätten: "Ganz ehrlich: Auf solche Fans kann ich verzichten." Die 1980er Jahre sind vorbei. Der Kampf gegen Rassismus ist Becker wichtiger als von allen geliebt zu werden. "Aus Boris wird Herr Becker", schreibt der Spiegel.
Natürlich ist es nicht gesagt, dass Becker künftig nie wieder danebenhauen wird, streitbare Positionen vertritt, oder sich in fragwürdigen TV-Shows zum Affen macht. Doch zum Tennis-Becker und Boulevard-Becker hat sich ein neuer Becker gesellt: Boris Becker, die Respektsperson.
Quellen:
- Boris Becker Instagram-Account
- Boris Becker Twitter-Account
- "Bild.de": Boris Becker - Meine Kinder erleben immer wieder Rassismus (Hinter Bezahlschranke)
- "Spiegel.de": Tennislegende gegen Rassismus - Aus Boris wird Herr Becker
Boris Becker: So sahen seine Jungs als Kleinkinder aus
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