• Diesem großartigen Fußballspiel hätten die Fans gerne länger zugesehen.
  • England aber verliert noch in der regulären Nachspielzeit gegen Frankreich - und das mal wieder auf dramatische Art und Weise.
  • Die Three Lions sind mit dem Weltmeister mindestens auf Augenhöhe - am Ende fehlt aber diese eine Sache.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am Ende war es dann wie immer: England hat ein enges, wichtiges Spiel bei einem großen Turnier verloren. Just in dem Moment, als die Gelegenheit so gut wie selten zuvor erschien. Mit dem besten Kader seit Jahrzehnten, nach einer bis dahin ziemlich überzeugenden WM und einem neuen, vielversprechenden Ansatz.

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Und tatsächlich hatte die englische Nationalmannschaft den Favoriten und Titelverteidiger fast über die komplette Spielzeit im Griff, ließ den besten Spieler des Gegners nicht zur Entfaltung kommen, erspielte sich selbst genug Torchancen - und scheiterte letztlich doch in bewährter Manier, vom Elfmeterpunkt.

England ist raus aus der Weltmeisterschaft, mal wieder kommen die Three Lions (früher) nach Hause und nicht der Weltpokal. Mögen die Niederlagen bei früheren Turnieren in ihrer Entstehung noch dramatischer gewesen sein, die Tragödie dieses Ausscheidens erreicht aus einem anderen Gesichtspunkt ein neues Maß.

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Das beste englische Team seit langer Zeit

Selten zuvor konnte England eine stärkere Nationalmannschaft zu einem Turnier entsenden. Die Zusammenstellung des Kaders, die individuelle Qualität der Einzelspieler, der Flow, in den sich die Mannschaft mit ihren überzeugenden Auftritten in den ersten Partien gespielt hatte und die Tatsache, dass der Matchplan gegen den amtierenden Weltmeister besser kaum hätte sein können: Das sollte für einen Halbfinaleinzug doch eigentlich reichen.

England schoss doppelt so oft aufs Tor, hatte mehr Eckbälle und mehr Ballbesitz, spielte mehr Pässe und lag auch bei den expected Goals klar vorne. Und trotzdem kullerten am Ende wieder die Tränen, geht für die englische Mannschaft ein Turnier mit einer herben Enttäuschung zu Ende. "Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden. Ich sehe nicht, was wir mehr hätten tun können", sagte Jordan Henderson nach der Partie.

England spielte das beste Turnier seit Jahrzehnten, die Auftritte der Three Lions waren besser als beim Halbfinaleinzug 2018 und bei Beinahe-EM-Triumph im letzten Jahr. Nach schwierigen Monaten vor dem Turnier mit schier endlosen Debatten um die schleppende Entwicklung der Mannschaft und auch seine Person hat es Trainer Gareth Southgate geschafft, seiner Mannschaft eine deutlich aktivere, spielerisch-leichte Note zu verpassen.

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England fehlt nur eine Sache

Vom Sicherheitsgedanken, der noch in den letzten Turnieren das tragende Element war, blieb wenig übrig. Stattdessen demonstrierte England eine ziemlich beeindruckende spielerische Weiterentwicklung. Natürlich kann man über die eine oder andere Entscheidung Southgates streiten, etwa die Verweigerung, im Rücken von Frankreichs Superstar in der Offensive auch Akzente zu setzen oder die späten, nicht eben risikofreudigen Wechsel.

Auch die Auswechslung von Bukayo Saka dürfte noch ein Nachspiel haben, der Arsenal-Star war bis dato der gefährlichste englische Angreifer und riss Frankreichs linke Abwehrseite ein ums andere Mal auf. Im Grunde aber hatte diese Mannschaft an messbaren Parametern alles, was Top-Team ausmacht. Nur eben nicht diese eine Sache: Das Selbstverständnis eines Champions.

Auf besonders erschütternde Weise dokumentiert von Harry Kane. Der egalisierte Wayne Rooneys Torrekord per Elfmeter, beide stehen nun bei jeweils 53 Toren und Kane hätte die Bestmarke nur ein paar Minuten nach seinem erfolgreichen Schuss mit einem zweiten Strafstoß für sich alleine sichern können. Aber Kane schoss den Ball beim Stand von 1:2 ein paar Minuten vor dem Ende gute zwei Meter über das Tor.

Und so blieb ihm der Rekord verwehrt, seiner Mannschaft der Halbfinaleinzug und der Fußball-Nation England die Gewissheit, mit nun sieben verlorenen Viertelfinals bei einer Weltmeisterschaft in diesem Ranking weltweit führend zu sein. Wieder einmal waren es ein, zwei Momente, die den Engländern fehlten und auch ein das notwendige Glück.

England verzweifelt an den Details

England war fast 100 Spielminuten lang mit den Franzosen auf Augenhöhe, vielleicht sogar das bessere Team. "Sorry, good game", schrieb selbst die französische Sportzeitschrift "L'Equipe" in einer Mischung aus Anerkennung und Süffisanz.

"Wir hätten mit dieser Leistung mehr verdient als das. Aber am Ende entscheiden die Tore", sagte Southgate auf der Pressekonferenz. Fragen zu seiner eigenen Zukunft wollte er nicht beantworten, er habe zu viel in seinem Kopf. Stattdessen lobte Southgate ausdrücklich seine Mannschaft. "Ich habe meinen Spielern gesagt, dass ich nicht glaube, dass sie mehr geben können. Sie haben sehr gut gegen eine große Mannschaft gespielt. Aber: Es geht um die Details. Kleinigkeiten auf beiden Seiten entschieden über den Ausgang solcher Spiele." Und in diesen Kleinigkeiten waren die Franzosen schlicht effizienter und auch glücklicher.

Als die Partie zu kippen drohte, nach Kanes Ausgleichstreffer kurz nach der Pause, konnte der Weltmeister die Partie nach ein paar kritischen Momenten wieder beruhigen und diese eine Unachtsamkeit des Gegners nutzen.

Olivier Girouds Kopfballtreffer hatte dieses höchste Qualitätslevel, das den Unterschied macht. "Das ist schon Wahnsinn. Wir haben super gearbeitet in der Defensive. Wir haben alles reingehauen - ich bin sehr stolz auf das Team. Und ich bin mir sicher: Es geht so weit, wie es nur gehen kann..."

Deschamps: "Wir hatten die richtige Antwort"

Es sind diese Spiele, die das Selbstverständnis von großen Mannschaften stärken und die Gewissheit, auch eine schlechtere Partie noch erfolgreich zu gestalten. "Wir hatten mal wieder die richtige Antwort", sagte Frankreichs Trainer Didier Deschamps. Tatsächlich zeigten sich die Franzosen ein wenig wie Real Madrid in großen Spielen: Selbst wenn der Gegner besser erscheint, wenn es brenzlige Momente zu überstehen gilt, hat man doch immer das Gefühl, dass sich am Ende doch alles arrangiert.

Die Franzosen gegen weiter den Weg der Titelverteidigung, im Semifinale wartet nun Überraschungsteam Marokko. Für England geht es ohne den Pokal nach Hause, aber mit dem Wissen, dass diese Mannschaft in den kommenden Jahren noch einiges erreichen kann. Im Winter 2022 fehlten noch ein paar Kleinigkeiten. Aber schon in anderthalb Jahren sollte sich ja die nächste Chance bieten.

Verwendete Quellen:

  • kicker.de: Southgate lässt die Zukunft offen
  • kicker.de: Deschamps: "Hatten mal wieder die richtige Antwort"
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