Mitte März schien doch alles schon so gut wie geregelt. Union Berlin hatte sich mit einem 2:1-Erfolg über Werder Bremen deutlich von der Abstiegszone entfernt, den Vorsprung auf den Relegationsrang auf neun Punkte anwachsen lassen, der direkte Abstiegsplatz war sogar zehn Zähler entfernt.
Nach der katastrophalen Hinserie mit nur 13 Punkten aus 15 Spielen bis zur Winterpause hatte sich die Mannschaft von Nenad Bjelica durchaus stabilisiert, der Trainer seinen ganz persönlichen Tiefpunkt nach der Handgreiflichkeit gegen Bayerns
Der Einzige, der schon damals warnend seine Stimme erhob, war Bjelica selbst. Der Kroate wurde nicht müde zu betonen, dass da noch ein paar Siege und damit Punkte fehlen zum sicheren Klassenerhalt. Bei noch ausstehenden acht Spielen und den soliden Leistungen der Mannschaft wollte die Warnungen des 52-Jährigen aber offenbar niemand so recht hören.
Die Lage spitzt sich zu
Nun, zwei Spieltage vor Schluss, spitzt sich die Lage für den 1. FC Union aber tatsächlich noch einmal dramatisch zu. Die Niederlage im Sechs-Punkte-Heimspiel gegen den VfL Bochum lässt die Unioner weiter bei 30 Punkten stehen. Es war lediglich der Heidenheimer Schützenhilfe im Spiel gegen Mainz zum Abschluss des 32. Spieltags zu verdanken, dass Bjelicas Mannschaft nicht auf den Relegationsrang abgerutscht ist.
Noch beträgt der Vorsprung auf die Mainzer einen Zähler und auf den kommenden Gegner 1. FC Köln - im nächsten Sechs-Punkte-Spiel, das für die Kölner auch schon die allerletzte Chance bedeutet - noch scheinbar komfortable sechs Zähler. Der Trend der letzten Wochen spricht allerdings klar gegen Union und die Frage lautet nun, ob wirklich jeder die Signale und den Ernst der Lage auch erkannt hat.
„Glatte Sechs“ in der ersten Halbzeit gegen Bochum
In den vergangenen Tagen und Wochen war von vielen Stellen zu hören, dass die Qualität in der Mannschaft reiche, dass das Bewusstsein für die diffizile Situation geschärft sei, dass Bjelica einen funktionierenden Ansatz für seine Mannschaft parat hielte.
Dann kam die erste Halbzeit gegen Bochum und ein 0:3-Rückstand in einem so wichtigen Spiel. Teile der Fans an der Alten Försterei quittierten den Auftritt der Mannschaft mit Pfiffen, die in der Anfeuerung der deutlich größeren Zahl der Anhänger zwar schnell untergingen. Dass die eigene Mannschaft aber nicht mehr komplett bedingungslos unterstützt wird: Das hat es in Köpenick schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gegeben.
Die spektakuläre Aufholjagd in der zweiten Halbzeit macht durchaus Mut und sie zeigt auch, dass die Mannschaft anders kann als bei der „glatten Sechs“, die Kapitän Rani Khedira seiner Mannschaft für die ersten 45 Minuten ins Zeugnis schrieb. Nur: Sie war nicht von Erfolg gekrönt - was die Lage vor den beiden letzten Spielen in Köln und gegen den SC Freiburg nun so prekär macht.
Die Verantwortlichen versuchen sich in den üblichen Durchhalteparolen, die an Wucht und Überzeugung aber fast im Wochentakt nachlassen. „Unsere Situation war viel aussichtsloser, als ich gekommen bin“, sagte Bjelica am Sonntagabend und das klang doch auch ein bisschen wie das Pfeifen im Walde. Er glaube, dass seine Mannschaft mit jedem in der Bundesliga mithalten könne. „Ich bin voller Überzeugung, dass wir den Klassenerhalt gemeinsam schaffen werden!“ Aber was sonst sollte ein Trainer in der Situation auch anderes sagen?
Über Bjelicas Zukunft - beziehungsweise dessen Nicht-Zukunft - in Berlin war in den Tagen vor dem Spiel heftig debattiert worden. Der „Kicker“ hatte berichtet, dass sich die Wege des Trainers und der Eisernen nach der Saison trennen werden. Präsident Dirk Zingler hatte das am Mikrofon von „DAZN“ vor dem Bochum-Spiel als „falsch“ bezeichnet. So richtig aufklären oder entkräften konnte oder wollte Zingler die Spekulationen aber auch nicht.
Stattdessen verwies auch Zingler auf die schwierige Ausgangslage bei Bjelicas Amtsantritt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Situation, in der wir sind, nichts mit Nenad Bjelica zu tun hat. Es hat mit der Hinrunde zu tun, da haben wir nicht gut gespielt und als ganzer Klub nicht geliefert. Nenad Bjelica hat seine Punkte, die er machen musste, gemacht. Er hat den Auftrag, uns in der Klasse zu halten.“ Und dafür gebe es vom Klub „die volle Unterstützung“, so Zingler. Aber das war vor dem Spiel.
Kaum Entwicklung und Punkte
Die gute Nachricht ist, dass die Mannschaft den direkten Klassenerhalt noch immer in der eigenen Hand hat. Das könnte allerdings, je nach Lesart, auch schon die schlechte Nachricht sein. Besonders groß war der Beitrag zum Minimalziel Platz 15 in den letzten Wochen nicht mehr, aus den letzten sechs Spielen nach dem Sieg über Werder holte Union noch ganz zwei Punkte.
Zu der frappierenden Abschlussschwäche gesellen sich nun auch wieder längst abgestellt geglaubte Probleme in der Defensive. Der Versuch, aus einer reinen Defensivmannschaft sukzessive eine Ballbesitzmannschaft zu formen, die mehr kann, als bärenstark verteidigen, schnell kontern und den einen oder anderen Standard zu verwerten, war schon in der Hinserie unter Urs Fischer gescheitert.
Nun stockt auch die Entwicklung unter Bjelica gewaltig. Aktuell hat Union weder seine Schwächen verbessert noch seine Stärken konserviert. In Phasen funktionieren einzelne Versatzstücke mal ganz gut, im Kollektiv, in allen Spielphasen und über 90 Minuten bringt es die Mannschaft aber nicht auf den Rasen.
Im Prinzip spielt Union zu großen Teilen immer noch den Fußball der erfolgreichen Zeit der letzten Jahre - nur eben ohne den entsprechenden Erfolg. Ganz im Gegenteil: Die märchenhafte Reise aus der zweiten Liga zum gefestigten Bundesligisten und bis hinein in die Königsklasse des Fußballs könnte ihr ganz jähes Ende finden.
Vor fünf Jahren hatte Union den Weg in die erste Liga über die Relegation beschritten, nun könnten wieder zwei zusätzliche Saisonspiele anstehen. Nur dieses Mal eben in der Rolle des Gejagten.
Verwendete Quelle
- Union-Trainer Bjelica: „Wir werden den Klassenerhalt schaffen“
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