Neven Subotic verließ im vergangenen Sommer Deutschland nach nur einem Jahr wieder. Die "langweilige" Bundesliga war aber nicht der Grund dafür. Im Interview mit uns spricht er über die Liga, seine Stiftung und sein neues Leben in der Türkei.
Sie sind der breiten Öffentlichkeit als Fußball-Profi bekannt. Sie engagieren sich aber auch abseits des Platzes: 2012 haben Sie Ihre eigene Stiftung ins Leben gerufen. Diese unterstützt Menschen in Äthiopien. Wie funktioniert die Arbeit vor Ort?
Neven Subotic: Unser Ziel besteht einerseits darin, Infrastruktur zu schaffen. Gleichzeitig wollen wir den Menschen vor Ort das nötige Knowhow mitgeben, die Hardware, die wir installieren, auch korrekt zu nutzen. Bei der Hardware sprechen wir über Brunnen, die den Menschen den Zugang zu sauberem Wasser ermöglichen.
Zudem geht es um Toiletten und Latrinen. In Teilen der Regionen haben fünf Prozent der Schulen vor Ort Sanitäranlagen. Das ist ein riesengroßes Problem - vor allem für junge Frauen, die, um auf die Toilette zu gehen oder einen privaten Rückzugsort zu suchen, den Weg nach Hause auf sich nehmen. In den ländlichen Regionen müssen sie dafür enorme Distanzen, mehrere Kilometer, zurücklegen.
Doch es ist nicht nur der Weg von A nach B das Problem, sondern was damit verloren geht: Übergeordnet geht es darum, den Menschen einen Alltag zu ermöglichen, der sich auf die Bildung fokussiert. Besteht der ganze Tag daraus, sich Wasser zu beschaffen, um zu überleben und sich anschließend um andere Sachen im Haushalt gekümmert wird, bleibt keine Zeit mehr für die Schule.
Können Sie die Menschen dort in Zeiten von Corona so unterstützen, wie Sie es sonst auch tun?
In den ersten Wochen und Monaten während der Corona-Pandemie in Äthiopien gab es Reiseverbote zwischen den Städten - mit Ausnahme von Reisen aufgrund von systemrelevanten Aktivitäten, zu denen die Sicherung des Zugangs zu sauberem Wasser gehört. Sauberes Wasser ist wichtig - und hat während der Corona-Pandemie noch an Wichtigkeit dazugewonnen.
Die Aktivitäten wurden, und mussten, schnell angepasst werden, um das Infektionsrisiko der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Menschen in den Gemeinden zu sichern, sehr ähnlich wie in Deutschland. Nur in den ersten Wochen gab es aber keine Schulungen mehr, in denen den Menschen der Umgang mit den Anlagen beigebracht wird.
Wie hat Ihre Stiftung darauf reagiert?
Früher mussten die Leute aus einer Gemeinde ins nächstmögliche Dorf kommen oder in die nächstgelegene Stadt, um eine Schulung zu besuchen. Jetzt finden die Trainings lediglich ein paar Gemeinden weiter statt.
Üblicherweise nahmen bis zu 100 Leute an einer Schulung teil, jetzt sind es maximal 20 und gelehrt wird nur draußen mit entsprechendem Abstand untereinander. Das ist ein Mehraufwand von unserer Seite, da mehr Leute im Einsatz sein müssen, um alle Gemeinden zu besuchen und die Trainings durchzuführen.
Sind Sie selbst derzeit so oft vor Ort, wie Sie es gerne wären?
Nein. Ich wäre als Teil von zwei Gruppen im Juni nach Äthiopien gereist, doch es wurde ziemlich schnell deutlich, dass es nicht geht. In diesem Zuge haben wir uns auch die Frage gestellt: Ist es überhaupt verantwortungsvoll, aus einem Land, das bereits etliche Corona-Fälle hatte, in ein anderes Land zu reisen, für eine Aktivität, für deren Erfolg unsere Gruppe nicht unbedingt erforderlich ist?
Da haben wir mit unserer Ethik zu kämpfen - und werden die Situation Ende des Jahres neu bewerten. Wir gehen erst einmal davon aus, dass wir vorerst nicht vor Ort sein können.
Oft verzichten hilfsbereite Bürger auf eine Spende, weil sie fürchten, dass ihr Geld nicht dort ankommt, wo es benötigt wird. Auf der Seite Ihrer Stiftung heißt es: "Wir sorgen dafür, dass jede Spende zu 100 Prozent in die Hilfe vor Ort eingesetzt wird. Das ist unser Versprechen." Wie können Sie das garantieren?
Es gibt verschiedene Controlling-Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es bei einem Bau mehrere Angebote gibt, zum Beispiel für die Materialien. Wichtig ist dabei, dass diese transparent und nachvollziehbar dargestellt werden, denn oft bekommen wir die Frage gestellt: "Warum kostet das so viel?" Da hilft es, Relation zu schaffen und zu fragen: "Was kostet das woanders?" Und wenn es irgendwo mehr oder weniger kostet, zu verstehen, wieso das der Fall ist.
Wir gucken zum Beispiel nicht darauf, wie wir den Brunnen am günstigsten bauen oder fördern können, sondern welcher der wahrscheinlich sinnvollste für die jeweilige Gemeinde ist, auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Zudem gibt es Stichproben für Ausgaben, um sicherzustellen, dass das Geld eingesetzt wird, wie es im Vertrag festgehalten ist.
Wir sind im Auftrag der Spender da und der Leute, für die wir etwas errichten möchten. Dementsprechend haben wir eine hohe Motivation, dass alles korrekt abläuft.
Sind Sie mit den Fortschritten, die Ihre Stiftung in den acht Jahren seit der Gründung erzielt hat, zufrieden?
Ja. Gefühlt muss ich das sagen, aber es ist tatsächlich so. Wir sind sehr selbstkritisch und hinterfragen uns immer, wie es besser laufen könnte. Es hat sich im Laufe der Zeit bewahrheitet, dass es passt. Wir möchten weiter investieren.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, ausgerechnet die Menschen in Äthiopien zu unterstützen? Schließlich haben Millionen von Menschen in Afrika keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Es gibt viele Länder, die zu der großen Zielgruppe gehören, die wir mit unserer Organisation unterstützen könnten. Hier sprechen wir von den Menschen in den ärmsten Regionen der Welt. Für uns war und ist es wichtig, in einem bereits bestehenden System eine strategische Rolle einzunehmen.
In Äthiopien laufen parallele Maßnahmen seitens der Regierung oder anderen NGOs, die den Effekt unserer Projekte stärken und das war auch ein Grund dafür. Ebenfalls wichtig ist für uns, dass die Infrastruktur langfristig genutzt werden kann, damit nimmt beispielsweise die Wichtigkeit der nationalen Sicherheit zu.
In Kriegsregionen zum Beispiel arbeiten auch Organisationen, die darauf spezialisiert sind, höhere Budgets zur Verfügung haben, teils von Staaten oder multilateralen Institutionen unterstützt werden und damit risikoreicher agieren können. Unsere Unterstützer sind hauptsächlich Menschen aus der Zivilgesellschaft, die eine langfristige Wirkung erzielen möchten - auf dieses Ziel sind wir fokussiert. Es ist gut und wichtig, dass sich Organisationen spezialisieren, weil keiner kann alles überall.
Sie erleben immer wieder die Armut in Afrika. Nun verdienen Sie als Fußballer gutes Geld. Wie kommen Sie mit dem Zwiespalt zurecht?
Persönlich bin ich selbstkritisch und weiß, dass sich mein Berufsalltag im Fußball weitaus über der idealen gesellschaftlichen Norm befindet. Meine Balance kommt durch meine Arbeit im Gemeinnützigkeitssektor.
Ich bin Realist und ich bin pragmatisch, ich verschwende keine Zeit an den Gedanken, die größten Bausteine der Gesellschaft zu verschieben, indem ich versuche, den Fußball zu sozialisieren, denn der Wunsch kann nur von den Menschen selbst kommen. Ich weiß, was ich leisten kann - und ich habe über die Jahre hinweg gelernt, dass man sich lediglich die Ziele setzen sollte, auf die man auch Einfluss nehmen kann.
Könnten andere Fußballer sich ähnlich engagieren wie Sie?
Das ist nicht limitiert auf Fußballer. Das ist eine Frage, die sich die gesamte Gesellschaft stellen muss. Und dann würde ich die Frage ganz klar bejahen. Jeder kann mehr leisten, ich auch. Ich nehme mich selbst in die Pflicht und frage mich auch, was ich noch tun kann und tun sollte.
Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft mehrere Lager haben und diese hinsichtlich einer besseren Zukunft - an der man sich als Bürger proaktiv beteiligt - ideell, finanziell und emotional noch mehr Leute gewinnen könnten. Vor allem Leute, die auch die Möglichkeiten dazu haben. Als alleinerziehende Mutter ist es schwieriger, in unserer Gesellschaft Zeit zu finden, um sich zu engagieren – im Gegensatz zu jemanden, der sich in einer finanziellen Landschaft bewegt, die das zulässt.
Kommen wir zum Sport. Sie sind Teil des Spielerbündnisses. Können Sie kurz skizzieren, worum es sich dabei handelt? Dieser Zusammenschluss wurde der Öffentlichkeit nie richtig vorgestellt.
Es ist ein Bündnis zwischen 1. Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga und der Frauen-Bundesliga. Diese sind untereinander bisher nicht so stark vernetzt, wie es die Spielerschaft gerne hätte. Die Fußball-Landschaft in Deutschland sollte zusammenkommen, um den deutschen Fußball gemeinsam ins neue Jahrzehnt zu bringen, mit Partizipation der Spielerschaft.
Bayern München hat acht Mal in Folge die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Würden Sie sagen, die Bundesliga ist langweilig?
Nicht nur ich würde das sagen. Aber man muss dem FC Bayern auch ein Kompliment aussprechen: Was sie in der vergangenen Saison gezeigt haben, vor allem zum Finale hin, das ist der beste Fußball der Welt.
Das als Fußballer zu sehen, ist super. Auf der anderen Seite bin ich Sportler – und wenn es in Zukunft weiterhin nur einen Meister gibt, ist das langweilig. Es wäre besser, mehr Diversität einzubringen. Für den Zuschauer gibt es spannendere Ligen, spannendere Sportarten.
Ich weiß, wie es ist, Meister zu werden, das ist wunderschön – auch für die Stadt. Dies einmal zu erleben, gönne ich jedem. Aber es ist auch klar, dass der Bundesliga-Titel kein Wanderpokal ist.
Mit Borussia Dortmund haben Sie unter anderem zweimal den Titel gewonnen. Dem Rivalen aus Gelsenkirchen geht es derzeit nicht so gut. Wie bewerten Sie den Niedergang des FC Schalke?
Schalke gehört in die erste Liga – zweifelsohne. Alleine wegen der Anzahl an Fans und weil wir, da spreche ich als Fan, das Derby haben möchten. Ich hoffe, dass die vergangenen Ereignisse der letzte Schritt zurück waren und es jetzt wieder nach vorne geht. Nicht, dass es Schalke wie dem HSV ergeht und sie in der 2. Bundesliga versinken.
Persönlich tut es mir für David Wagner (Schalkes Ex-Trainer, Anm.d.Red.) unglaublich leid, ich habe ihn kennengelernt und schätze ihn.
Sie haben Union Berlin nach nur einem Jahr wieder verlassen. Weil Ihnen die Bundesliga zu langweilig war?
Nein. Das war nicht das Problem. Die Bundesliga ist und bleibt mein Zuhause, wo ich mich pudelwohl gefühlt habe und - sollte ich irgendwann mal zurückkehren - mich wieder pudelwohl fühlen werde.
Was war dann der Grund für Ihren Abschied?
Es war einfach ein Zeitpunkt gekommen, an dem für mich und für den Verein klar war, dass es für beide Parteien Sinn macht, nach einer Zukunft zu suchen, die nicht miteinander ist. Das gehört zum Geschäft dazu.
Ich habe mich dann für den Weg in die Türkei entschieden. Nach den ersten Wochen kann ich sagen, dass es der richtige Schritt war.
Sie haben beim Erstligisten Denizlispor unterschrieben. Warum?
Es ist ein sehr besonderes Projekt. Denizlispor gehört nicht zu den Kandidaten auf den Meistertitel, wir haben 40 Ligaspiele und einen Trainer (Robert Prosinecki, Anm.d.Red.), den ich enorm respektiere, der früher unter anderem für den FC Barcelona gespielt hat und in Jugoslawien eine Legende ist. Wir können hier etwas aufbauen – und da sehe ich mich jetzt auch in der Pflicht, das zu realisieren. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch ich bin auch niemand, der Sudoku auf leicht spielt.
Und nicht nur von der sportlichen Seite her ist es interessant. Ich erlebe eine neue Kultur, die hauptsächlich muslimisch geprägt ist. In dieser Region zu sein, ist extrem bereichernd – ich möchte etwas für das Leben mitnehmen und davon lernen.
Die Türkei und die Süper Lig haben in den vergangenen Monaten einige Negativschlagzeilen produziert. Stichwort Gehaltsstreit Max Kruse, Stichwort verschobener Saisonstart, Stichwort Präsident Erdogan. Hat Sie das bei Ihrer Vereinswahl nicht abgeschreckt?
Es gibt einige Leute, die gewisse Vorurteile haben, weil sie das Politische mit dem Gesellschaftlichen vermischen. Aber das Politische beeinflusst natürlich nicht so stark meinen Alltag. Für mich war es wichtig, vor allem auf die Stimmen zu hören, die die Erfahrung vor Ort gemacht haben.
Ich habe ein paar Freunde, die entweder hier Fußball gespielt oder gearbeitet haben, die nur Positives berichtet haben. Bevor ich bei Denizlispor unterschrieben habe, war ich selbst auch vor Ort, um mich davon zu überzeugen, wie die Lage ist.
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