Der internationale Fußball in dieser Saison erinnert an die späten 1970er-Jahre, als England das Geschehen dominierte und reihenweise Pokale abräumte. Doch was sind die Gründe dafür, dass in diesem Jahr mit Liverpool, Tottenham, Arsenal und Chelsea vier englische Mannschaften in den Endspielen von Champions und Europa League stehen?

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Die offensichtliche Antwort auf diese Frage ist: Geld. England hat seit Jahren einen finanziellen Vorteil gegenüber der Konkurrenz auf dem europäischen Festland. Die Premier League kassierte in der letzten Saison allein 5,4 Milliarden Euro durch TV-Einnahmen. Die spanische La Liga kam auf 4,5 und die Bundesliga auf 4,4 Milliarden.

Hinzu kommen Ticket- und Merchandising-Gewinne, die aufgrund der horrenden Preise noch mehr Geld in die Kassen der englischen Teams - gerade der großen sechs Clubs - spülen.

Andrea Agnelli, Vorstandschef von Juventus Turin, fordert daher eine Reform der internationalen Wettbewerbe. Agnelli möchte mehr prestigeträchtige Spiele unter den Spitzenteams in Europa und damit auf die Einnahmenlücke zwischen den einzelnen Ligen reagieren.

Doch eine solche Reform allein würde noch lange nicht ausreichen. Denn in England tummeln sich reihenweise Großinvestoren wie etwa Scheich Mansour, Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi und Besitzer von Manchester City. Für ihn und einige andere sind die hohen Gehaltsetats und Transfersummen leicht zu stemmen.

Das Ergebnis: Regelmäßig zieht es europäische Spitzenspieler auf die Insel. Darunter leidet auch die Bundesliga. In diesem Sommer wechselt beispielsweise Christian Pulisic von Borussia Dortmund zu Chelsea. Letztes Jahr verließ Naby Keita Leipzig in Richtung Liverpool. Sechs Monate zuvor hatte Dortmunds langjähriger Angreifer Pierre-Emerick Aubameyang beim FC Arsenal unterschrieben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Der alte englische Fußball hat ausgedient

Allerdings kauft England nicht erst seit Kurzem in diesen Größenordnungen ein. Eine Anhäufung an Stars ist die Premier League seit vielen Jahren - auch schon zu Zeiten, als kein englischer Club das Halbfinale der Champions League erreichte. Die wahre Reform in der Spitzengruppe der Liga fand auf den Trainerbänken statt. Dort sitzen seit geraumer Zeit vor allem Ausländer.

In Liverpool ist es bekanntermaßen Jürgen Klopp. Bei Tottenham leitet seit einiger Zeit der Argentinier Mauricio Pochettino das Geschehen. Chelsea spielt in dieser Saison unter dem Italiener Maurizio Sarri und Arsenal unter dem Spanier Unai Emery. Hinzu kommt Pep Guardiola in Diensten von Manchester City.

All diese Trainer unterscheiden sich stark von den alteingesessenen englischen Trainern, die jahrelang den Fußball der Premier League beeinflussten. Heute ist rein körperbetontes, aber taktisch limitiertes Spiel st immer seltener zu sehen.

Jürgen Klopp ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel. Sein Pressing- und Ballbesitzstil ist ein wichtiges Rezept für Liverpools Erfolg. Der hochkarätige Angriff um Mohamed Salah, Sadio Mané und Roberto Firmino würde ohne taktisches Konzept nicht zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren in einem europäischen Endspiel stehen.

RB-Leipzig-Trainer Ralf Rangnick brach den Aufschwung der Premier League kürzlich auf die "drei großen Ks" herunter: "Kapital, Konzept und Kompetenz."

Der momentane Erfolg englischer Teams auf der internationalen Bühne hat aber auch mit dem Zustand der anderen europäischen Topklubs zu tun.

Real Madrid, das den Champions-League-Titel zuletzt dreimal in Folge gewann, steckt in einer ernsthaften Krise. Beim FC Barcelona wird in diesen Tagen über eine Entlassung von Trainer Ernesto Valverde spekuliert. In Turin muss Juventus-Trainer Massimiliano Allegri seinen Hut nehmen. Der FC Bayern München erlebte unter Niko Kovac trotz Double-Gewinn eine für seine Verhältnisse durchwachsene Saison.

Dunkle Wolken am Horizont?

In den Vorjahren waren es gerade diese Clubs, die Stabilität ausstrahlten und den englischen Clubs mit ihren Spielsystemen überlegen waren. Insofern ist der Europapokal mit zwei rein englischen Endspielen zunächst nur eine Momentaufnahme. Inwieweit die Premier League der Konkurrenz wirklich enteilt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

Denn die nächste Krise könnte bereits auf sich warten. "Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf", analysiert Simon Chadwick, Professor für Sport-Ökonomie an der Universität in Salford. "Der Brexit, Veränderung in der Fernsehlandschaft und im Konsumverhalten sowie wachsende Konkurrenz unter anderem durch die spanische La Liga bedrohen bereits den globalen Vorsprung des englischen Fußballs."

Eventuell ist diese Europapokal-Saison schon der Höhepunkt für den englischen Club-Fußball.

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